12 Years a Slave (USA/GB 2013)
Ein Mann hat ein Seil um den Hals und hängt an einem Ast, und während um ihn herum das alltägliche Leben auf der Plantage abläuft, kämpft er um sein Leben. Die Hitze des Südens, das laute Zirpen der Zikaden, die Moosflechten auf den Bäumen – und in diesem Bild das Röcheln des Mannes: Die Eifersucht des Aufsehers hat zu einem Streit geführt, und Solomon Northup befindet sich auf dem schamlen Grat zwischen Leben und Tod. Was ihn noch in dieser Welt hält, sind die Spitzen seiner Schuhe, mit denen er sich im Schlamm unter seinen Füßen abstützen kann. Die Männer, die ihn lynchen wollten, sind abgezogen, doch nun wartet alles auf den Besitzer der Plantage; und sollte sich Solomon bis zu seiner Ankunft nicht am Leben halten können, so wäre das eben einfach Schicksal.
„Jeder von uns ist sein eigener Teufel, und wir machen uns diese Welt zur Hölle“, hat Oscar Wilde einmal gesagt. Solomon selbst wäre keiner mit einem Teufel im Leib. Dieser sitzt in den Köpfen der weißen Plantagenbesitzer, ihrer Frauen und Vorarbeiter, und sie machen mit ihrer Unberechenbarkeit und Brutalität den Sklaven, die für sie arbeiten, das Leben zur Hölle auf Erden. Wenn Unrecht sosehr zum System geworden ist, dass es als Solches gar nicht mehr auffällt und als gegeben hingenommen wird – für diese Schreckensidee hat der britische Regisseur Steve McQueen eine Szene gefunden, die uns ans Mark geht. Denn während Solomon zu sterben droht, spielt sich hinter ihm, vor ihm, rund um ihn das alltägliche Leben ab. Man macht sich zur Feldarbeit auf, Körbe werden herumgetragen, Kinder toben sogar lachend im Hintergrund herum. Von den verschiedensten Blickwinkeln aus beobachtet die Kamera die Szene, wir sehen das Bild des gequälten Solomon in langen Einstellungen von vorne, dann von hinten, von den Hütten der Sklaven aus ebenso wie von der Veranda des Herrenhauses. Und wie auch bei anderen Szenen seines Dramas, in denen Menschen ausgepeitscht werden, bis ihnen die Haut in Blut und Fetzen hängt, schaut McQueen so lange nicht weg, bis es wirklich weh tut.
Solomon, ein freier Mann, der mit seiner Familie Mitte des neunzehnten Jahrhunderts im Bundestaat New York lebt, ist entführt und in den Süden in die Sklaverei verkauft worden. Er bekommt es neben Benedict Cumerbatch als Plantagenbesitzer Ford und Paul Dano als rabiatem Aufseher auch mit Michael Fassbaender zu tun, der aufgrund seiner uneingestandenen Liebe zu einer Sklavin (wie der Film wurde auch Lupita Nyong’o mit einem Oscar ausgezeichnet) in Selbsthass zerfressen ist und die grausamste Auspeitschung des Films inszeniert. Ein Mensch zu bleiben in schier unmenschlichen Gegebenheiten, in einer Welt, die für ihn aus den Fugen geraten ist, einer Zivilisation, die sich unziviliserter nicht gebärden könnte – wie überleben, wenn dies nur in der völligen Abstumpfung, in der Negierung der eigenen Persönlichkeit möglich scheint? Diese Zerrissenheit von persönlichkeitsspaltenden Dimensionen vermittelt Chiwetel Ejiofor in der Rolle des Solomon mit zu Herzen gehender Glaubwürdigkeit.
Die finale Szene des Wiedersehens von Solomon und seiner Familie, in der er sich bei seiner Frau und den Kindern für sein Aussehen entschuldigt, das er auf die Schwierigkeit der vergangenen Jahre zurückführt, und seinen Enkel in den Arm nehmen kann, setzt in ihrer tiefen Rührung ohne Kitsch und falsche Töne einen Kontrapunkt zu dem Leid und dem Schmerz zuvor. Solomon ist wieder in der Normalität seines Lebens angekommen; die Peitschenhiebe auf seinen Rücken und das Seil um seinen Hals wird er aber wohl nie vergessen können.