Das Lächeln des Bösen

Alpha Dog - Tödliche Freundschaften (Alpha Dog, USA 2006)

 

„One may smile, and smile, and be a villain”, heißt es in Shakespeares Hamlet, und welche Bedeutung diese Verse bekommen können, wenn Dinge so richtig aus dem Ruder laufen, zeigt uns Nick Cassavetes’ Alpha Dog auf sehr drastische Weise. Basierend auf einem von den Medien damals groß aufbereiteten Kriminalfall aus dem Kalifornien des Jahres 1999, geht es um eine Entführung und deren Eskalation in einer Spirale völlig unnötiger Gewalt. Johnny Truelove (Emile Hirsch), was für ein Name, will das Geld eintreiben, das Jake Mazursky (Ben Foster, wie so oft zum Fürchten) ihm schuldet, und zu diesem Zweck entführen er und seine Kumpels Jakes jüngeren Bruder Zach (Anton Yelchin, unschuldig, naiv), was diesem zumindest vorerst gar nicht so unangenehm ist. Zach zweifelt nicht daran, dass die Schuld bald beglichen und er wieder frei sein wird, und genießt inzwischen die Zeit mit Johnnys Clique, in der er sich gut aufgenommen fühlt, mit Parties am Pool und Alkohol und Drogen und erstem Sex. Dabei freundet er sich intensiv mit Frankie an (Justin Timberlake tritt den Beweis an, dass er nicht nur singen kann), der als Zachs Aufpasser eingesetzt wird. Es entsteht, was niemand erwartet hätte, nämlich eine echte brüderliche Freundschaft, wie sie Zach zuvor noch nicht erlebt hat. Genau an diesem Punkt setzt der Film seinen schockierenden Hebel an, und weil die Tiefe und Vertrauensbasis dieser Freundschaft so schrecklich missbraucht wird, treffen uns die Momente von Zachs Ermordung besonders direkt und eindringlich.

Im Verlauf der Geschichte entwickeln sich die Charaktere von Zach und Frankie aufeinander zu, Frankie wird zu einer Art Ersatzvater für Zach oder eben zu einem großen Bruder, der, ganz im Gegenteil zu seinem leiblichen Bruder, wirklich für ihn da zu sein scheint. Dass ihn Frankie nie und nimmer verraten könnte, darauf vertraut Zach auch noch, als er von ihm und anderen Mitgliedern der Clique in die Wüste gefahren wird. Es ist eine sternenklare Nacht, links und rechts der Straße drehen sich die Windräder, und Zach, dem glauben gemacht wurde, er würde an seine Familie übergeben, redet wie aufgezogen von seinem Entschluss, endlich etwas aus seinem Leben zu machen: nach Europa zu gehen, Gitarre spielen zu lernen: „It bugs me that I don’t know how to do anything.“ Und nie im Leben würde er die Jungs, die seine Freunde wurden, verraten.

Zwischen Felsen haben sie ihr Ziel erreicht, da hält einer der Jungen, Keith (Chris Marquette), die Anspannung nicht länger aus, er umarmt Zach mit Tränen in den Augen und läuft davon. „I have a faint cold fear thrills through my veins/That almost freezes up the heat of life.“ – Wie  Julia Unheil schwant, was ihre Zukunft mit Romeo betrifft, so steigt in Zach Unsicherheit hoch, ob denn vielleicht doch etwas nicht stimmt mit diesem Ausflug in die Wüste. Was denn los sei, wendet er sich an Frankie, und schaut sich um und kann, zitternde vor Angst, nicht glauben, was sich an Ahnung in sein Denken schiebt: Dass da niemand ist, um ihn abzuholen, dass die Unabänderlichkeit dessen, was mit seiner Entführung begonnen hat, unweigerlich einem Ende zutreibt. Doch Frankie beruhigt ihn abermals: „Everything’s cool, on my life.“

So klettert Zach mit den anderen zwischen den Felsen hoch und hat auf einmal auf einem kleinen sandigen Platz hoch über den Lichtern Los Angeles’ sein eigenes Grab vor Augen. Er beginnt zu schreien, er beginnt zu wimmern und zu weinen und versichert den anderen wieder und immer wieder, sie nicht verraten zu wollen. „Shut him down or I’ll shoot him!“, herrscht Elvis, der Redelsführer der Gruppe, Frankie an. In dem Machtkampf der muskelbepackt-tätowierten Alphamännchen innerhalb der Clique ist Elvis, der aus einer nicht so begüterten Familie stammt, der Underdog, dessen Frust sich in besonderer Bereitschaft zur Gewalt manifestiert. Der Gruppenzwang und die Angst, nicht mehr dazuzugehören, und vielleicht ein Gefühl von der Schicksalshaftigkeit der Ereignisse, aus der ein Entkommen ohnehin nicht möglich ist, siegen bei Frankie über die Empathie und die Freundschaft zu Zach, die auch von seiner Seite aus echt empfunden war. Er versucht, Zach zu beschwichtigen, er versichert ihm wie schon zuvor, dass alles in Ordnung sei, und dabei rinnen auch ihm die Tränen über die Wangen und wäre er unter seiner Kapuze am liebsten unsichtbar. Zach lässt es geschehen, dass ihm Frankie mit Tape die Hände fesselt: „I don’t wanna die, Frankie!“ Er lässt sich von ihm knebeln und hat selbst in diesem schrecklichen Moment der Todesangst noch das Versprechen von Freundschaft in den Ohren und klammert sich mit all seiner Kraft an das Vertrauen, dass dieses nicht nur so dahingesagt war.

Was in dieser starken, ernsthaften, authentisch beobachteten Gegenwartsgeschichte nun mit der unabänderlichen Logik und der eisigen Wucht einer antiken Tragödie folgt, ist die mitleidslos niedersausende Schaufel, sind die Schüsse, die in der Dunkelheit aufblitzen und in den Daliegenden fahren, und das Blut, das schwarz den Sand tränkt: „I no doubt deserved my enemies, but I don’t believe I deserved my friends", hat Walt Whitman einmal geschrieben. Zach hat sich die Feinde, die eigentlich die Feinde seines Bruders waren, nicht verdient, aber auch nicht seine neuen Freunde, denen so vieles wichtiger ist als das Leben eines fünfzehnjährigen Jungen, der gerade erst eine Idee davon bekommen hat, was er mit seinem Leben anfangen könnte.