Winter des Lebens

Am goldenen See (On Golden Pond, USA 1981)

 

Schon als Teenager konnte ich mich für die Stars des klassischen Hollywood und für diesen Film begeistern, der einen wahren Triumph für zwei der größten von ihnen, Katherine Hepburn und Henry Fonda, bedeutete. Ich schrieb sogar in meiner Englischmatura über sie und ihre Schauspielkunst – damals war man noch nicht in das Korsett von normierten Textsorten gezwängt und durfte in solch freien Themen sein Talent beim Verfassen von fremdsprachigen Essays beweisen. Schon damals beeindruckte mich auch der Subtext, den Fondas Tod kurz nach Beendigung der Dreharbeiten Mark Rydells wahrlich zu Herzen gehendem Film an zusätzlicher Bedeutung einschrieb. Ethel und Norman, das alte Ehepaar, das seit Jahrzehnten den Sommer in ihrem Ferienhaus an einem idyllischen und im Titel genannten See verbringt, der Besuch ihrer Tochter Chelsea (Jane Fonda), die sich nie so recht mit ihrem schwierigen Vater verstand, die zögerliche Annäherung zwischen Norman und Billy, dem pubertierenden Sohn von Chelseas zukünftigem Ehemann – immer wieder treiben die Szenen dieses wunderbaren Dialogstücks nicht nur den Charakteren, sondern auch uns Zuschauern die Tränen in die Augen.

Norman, der Inbegriff eines „grumpy old man“, hadert mit dem Schicksal des Älterwerdens, seine Frau gibt sich alle Mühe, mit zuweilen penetranter Fröhlichkeit die Ängste vor dem Alleinsein und dem Tod zu überspielen. Ein Kritiker meinte einmal bissig, im Grunde genommen könnten die Hepburn und Henry Fonda das Telefonbuch vorlesen, es würde nicht weniger eindringlich wirken. Wie auch immer, die Darstellungskraft von zwei Schauspielern auf der Höhe ihrer Kunst weiß auch heute noch zu faszinieren. Wenn Norman eines Tages vom Erdbeepflücken nicht mehr zur Hütte zurückfindet und ihn Ethel dann „my knight in shining armour“ nennt – darin findet sich kein Funke Kitsch, stattdessen die Einsicht von zwei Menschen im Winter ihrer Jahre, die eigentlich von den Klippen zur Verzweiflung erzählen, an denen sie tagtäglich entlang balancieren, und dem Galgenhumor, der sie doch noch ans Leben bindet. Als Billy ihn als ziemlich alt bezeichnet, meint Norman: „You should meet my father.“ Und auf die erstaunte Frage, ob dieser denn noch am Leben sei: „No, but you should meet him.“

Es sind die Details dieser jahrzehntelangen Beziehung, die Ethel und Norman auf herrlich pointierte Weise auskosten. „You really are the sweetest man in the world“, meint Ethel einmal zu ihrem Mann und fügt hinzu: „But I’m the only one who knows it.“ Ihr Spiel gipfelt in der unnachahmlichen Szene, in welcher der sosehr gefürchtete Augenblick des Abschiednehmens gekommen zu sein scheint. Ethel und Norman haben sich daran gemacht, die Rückfahrt in die Stadt vorzubereiten, da krümmt sich Norman plötzlich vor Schmerzen. Ein Karton fällt zu Boden, das Porzellan darin zerbricht, Norman wankt auf die Veranda und sinkt dort in die Knie. „Dear God, don’t take him now!“, fleht Ethel, als sie neben ihm kauert und versucht, ihm eine Pille unter die Zunge zu schieben. „You don’t want him. He’s just an old poop.“ Wie diese Frau gegen einen unsichtbaren und eigentlich übermächtigen Gegner ankämpft, ihr Schluchzen, ihre Verzweiflung, und wie sie doch all ihre Kraft zusammen und Norman in ihre zitternden Arme nimmt – ein Gänsehautmoment, wenn jemals einer auf der Leinwand zu sehen war. Und dann, als es Norman wieder ein wenig besser zu gehen scheint, das Aufblitzen jener Gewitztheit, die vielleicht die einzige Waffe gegen den Tod ist, die uns Menschen bleibt: „My heart stopped hurting. Maybe I’m dead.“

„This is the first time I’ve really felt that we’re gonna die“, meint Ethel und beschreibt, dass sie ihren Mann bereits aufgebahrt vor sich gesehen habe. „How did I look?“, will dieser wissen. „Not good, Norman“, ist die Antwort, die ganz tief in eine entsetzte Seele blicken lässt. Der Ruf der Eistaucher, die die beiden immer beobachtet haben, reißt sie aus ihren Gedanken. Norman kommt wieder auf die Beine, und dann stehen sie auf dem Steg beisammen, sie betrachten die Vögel auf dem Wasser und verabschieden sich von diesem Sommer. Obwohl schon damals eine alte Dame an die achtzig, sollte Katherine Hepburn Henry Fonda um mehr als zwanzig Jahre überleben. Seinen Oscar konnte Fonda nicht mehr persönlich entgegennehmen, und auch die ebenfalls ausgezeichnete Hepburn blieb der Zeremonie fern. Heute wissen wir, dass diese letzten Augenblicke, als über dem See der Abend hereinbricht, auch ein Abschied voneinander und für Henry Fonda einer vom Leben waren.