Anfang 80 (Österreich 2011)
Liebe (Amour, Frankreich/Deutschland/Österreich 2012)
Eine Geschichte von der Liebe und dem Tod, erzählt von William Shakespeare in seinem Sonnet mit der Nummer 73. Ein Geliebter, der in sich schon den Tod spürt, der sich mit herbstlichen Blättern ergleicht und mit der Dämmerung zur Nacht, in der ihn der Schlaf zu überwältgen drohe: „Death’s second self.“ Und aus der unbedingten Vorstellung, bald sterben zu müssen, folgert die Beschwörung der Liebe zur Jugend: „This thou perceiv'st, which makes thy love more strong, / To love that well, which thou must leave ere long.“
Zwei Geschichten von der Liebe und dem Tod, fast zeitgleich gedreht. Michael Hanekes Liebe/Amour und Nikolaus
Geyrhalters Anfang 80 sind Studien vom Abschiednehmen und der Bereitschaft, für den geliebten Menschen zum Äußersten zu gehen. „Comes the darkness and
the frost, I get lost, I grow old,“, singt Frank Sinatra in „Stay With Me“, einem Lied vom Erkalten von dem, was das Leben lebenswert macht. Und er setzt fort: „I grow weary, and I know I have
sinned/And I go seeking shelter and I cry in the wind.“ Es gibt Szenen in Liebe und Anfang 80, die genau
dieses Hadern mit dem Unvergänglichen verhandeln, Haneke auf kühlere, distanziertere Weise, Geyrhalter zu Beginn zwischen eher peinlicher romantischer Komödie und Wirklichkeitsnähe schwankend, im
letzten Drittel des Streifens jedoch auf eine menschlich zutiefst berührende Art.
Michael Hanekes Liebe gelangte durch die Auszeichnungen mit der Goldenen Palme in Cannes, einem Golden Globe und einem Oscar zu allerhöchsten Ehren. Das kammerspielartige Drama besticht durch die stringente Geradlinigkeit seiner Bildkompositionen, Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant sind großartig als gut situiertes Pariser Ehepaar, Anne und Georges, das dem Ende entgegenblicken muss. Anne erleidet einen Schlaganfall und ist halbseitig gelähmt, sie will nicht mehr essen und trinken und kann sich kaum mehr artikulieren. Ihr Mann pflegt sie aufopferungsvoll, kommt mit ihrem Leiden aber nicht zurecht: ihre endlosen Rufe nach Hilfe, ihr Klagen, ihr Wimmern. Da beginnt Georges, ihr die Geschichte eines Sommers seiner Kindheit zu erzählen, eine lange Sequenz ohne Schnitt ist das, sie im Bett, er an ihrer Seite, ihre Hände in den seinen. Streicheln, die Beruhigung des Atmens, dann liegt sie wieder einmal völlig emotionslos vor ihm, wie eine Fremde. Da packt Georges plötzlich einen Polster und drückt ihn auf ihr Gesicht, er wirft sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie, ein Tötungsakt, der einem Liebesakt entspricht; und erst, als sie sich nicht mehr rührt, lässt er von ihr ab.
Der Verfall des Körperlichen, auch des Geistes. „Ich schreibe das ganz bestimmt aus Verzweiflung über meinen Körper und die Zukunft mit diesem Körper“ – Franz Kafka war bei dieser Selbstbetrachtung erst 27. In diesem Sinne auch die Geschichte von der krebskranken Rosa und dem verheirateten Bruno, das Aufwallen der Gefühle zwischen den beiden Achtzigjährigen, Christine Ostermeyer und Karl Merkatz verleihen ihnen so etwas wie Würde inmitten der größten vorstellbaren Verunsicherung darüber, die es mit ihnen weitergehen soll. Sie lassen sich auf ihre neue Liebe ein, obwohl es dafür kaum eine Zukunft gibt. Eines Tages kommt Bruno vom Einkaufen zurück, da sieht er Rosa im Vorzimmer auf den Fliesenboden liegen. Ihr Nachthemd und ihre Beine sind mit Kot beschmutzt, sie keucht, sie ringt nach Luft, sie schreit vor Schmerzen: Diesem Menschen ist die Möglichkeit genommen, Mensch zu sein. Bruno zieht Rosa an den Armen ins Bad und säubert sie. „Wenn du gehen willst …“, meint sie fragend. Er darauf: „Blödsinn!“ Später bringt er sie zu Bett, ist jetzt selbst völlig erschöpft von all der Anstrengung. Rosas Blicke sagen alles, dann spricht sie es auch aus: „Hilfst du mir, dass ich hier sterben kann?“ Und der Zusatz: „Ich meine bald.“
Den Abend von Rosas Tod lässt Geyrhalter mit unendlicher Zärtlichkeit vor uns ablaufen. Bruno hat Rosa ein letztes Mal gebadet, sie trägt ein schönes Kostüm und eine Halskette, als sie so auf ihrem Bett liegt. Indes zerstößt er in der Küche Tabletten, dann bringt er ihr das Glas. Ihr flehender Blick, als sie es ihm aus den Händen zerren muss. Ihr Kampf mit sich selbst vor dem ersten kurzen Schluck und dem zweiten langen, ihre Erleichterung, als sie das Glas geleert hat. Und dann die Nacht, als Rosa schon eingschlafen ist und nicht mehr aufwachen wird, als sich Bruno zu ihr ins Bett und den Arm um sie legt, damit sie auch in den letzten Momenten ihres Lebens nicht alleine ist.
Dass er im Grunde genommen nur leben würde, um letztendlich zu sterben, beklagt Jonny Lang in seiner herzzerreißenden Bluesballade „Dying to live“, und darüber hinaus sein Leid bei dem Gedanken, dass es niemanden wirklich kümern würde, ob er denn lebe oder sterbe. Und dann die alles entscheidende Frage, warum sich überhaupt noch am Leben festzuhalten: „Why am I dying to live/If I’m just living to die?“ Eine trotzige Antwort: „So I’ll keep fighting to live, Till there’s no reason to fight/And I’ll keep trying to see, Until the end is in sight/You know I’m trying to give, so come on give me a try/You know I’m dying to live until I’m ready to die.“ Die Szenen aus Liebe und Anfang 80: Momente vom Bereitsein, sich um einander zu kümmern, selbst in letzter Konsequenz, sowie Momente vom Bereitsein zu gehen.