Arielle, die Meerjungfrau (The Little Mermaid, USA 1989)
Der Glöckner von Notre Dame (The Hunchback of Notre Dame, USA 1996)
Der König der Löwen (The Lion King, USA 1994)
Einige der herrlichsten Bösewichter des Kinos finden sich in einem Genre, wo man sie gar nicht erwarten würde, nämlich den allenthalben doch stets als so familienfreundlich apostrophierten Zeichentrickfilmen aus dem Hause Disney. Von der bösen Königin aus Schneewittchen und die sieben Zwerge, dem ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm aus 1937, der Stiefmutter aus Cinderella (1950), der Hexe Malefitz aus Dornröschen (1959) und der verrückten Cruella De Vil aus 101 Dalmatiner (1961), vom, um zu den männlichen Vertretern in dieser Riege vorzustoßen, Tiger Shir Khan aus dem Dschungelbuch (1967) und dem Zauberer Jafar aus Aladdin (1992) bis hin zu Ratcliffe, dem selbsternannten Gouverneur von Virginia in Pocahontas (1995), und Hades, dem Herrscher der Unterwelt aus Hercules (1997) – diese stechenden Augen, diese eiskalten Blicke, diese Heimtücke und Hinterlist haben wohl auf ganze Generationen von jungen Kinobesucher*innen gehörigen Eindruck gemacht und sie um Leib und Leben der Heldinnen und Helden dieser Geschichten bangen lassen.
Die inhaltlichen Konstruktionen von Disneyfilmen stellen sich nie auf die Seite von politischen oder sozialen Veränderungsprozessen, sie vermitteln diese sogar als Art von Störfaktoren, als veritable Bedrohung von wertkonservativen, selten demokratisch legitimierten, sondern eher monarchistischen Systemen, die zu hinterfragen bereits einer – im wahrsten Sinne des Wortes – Majestätsbeleidigung gleichkommt. Unter solchen Parametern ist verdächtig, wer den „Kreislauf des Lebens“ oder mit welch schönen Phrasen eine Legitimation der Machtverhältnisse, zum Beispiel einer geregelten Thronfolge, vorgenommen wird – und es obliegt der Handlung fast aller dieser Erzählungen und ihrer heroischen zentralen Figuren, die durch die Aktionen der Antagonist*innen in Frage gestellte „naturgegebene Ordnung“ wieder herzustellen. Unter anderen Vorzeichen wären solche Ideen, die Ketten der Unterdrückung zu sprengen, revolutinäres Gedankengut im Sinne von Entwicklungen der Demokratisierung, im Disney’schen Animationsuniversum – ebenso wie in Superheldenabenteuern wie Black Panther (2918) – geben sie den Background für die Schurken im filmischen Personal. Dabei sind diese „bad guys“ die wirklich interessanten Figuren, sie bieten weit mehr Reibungsfläche und Funkenflug als die zuweilen allzu glatt entworfenen und lieblichen „Guten“. Drei von ihnen würde man gern noch ein zweites „böse“ voranstellen, denn sie sind den Produktionen dermaßen übergroß gelungen, dass der Entwurf ihres Charakters geradezu ins Psychoanalytische vordringt.
Da ist zum Beispiel die Hexe Ursula aus Arielle, die Meerjungfrau, ein ordinäres, dralles, Weib, man muss sie einfach so nennen, eine Domina von korsettsprengender Üppigkeit wie aus dem Fetischshop. Angeblich wurde Ursula dem Transvestiten Devine nachempfunden – es hätte mich nicht gewundert, sie im Lack-Leder-Nieten-Fummel die Peitsche schwingen zu sehen. Mit ihren unterwürfig-geifernden Muränen als Handlangern und so manch fiesen Tricks macht sie sich daran, die Titelheldin zu umgarnen. Dass sie „armen Seelen in Not“ beistehen möchte, eben allen, die sich voller Hoffnung an sie wenden, dass ihr aus diesem Grund nichts weniger als ein Glorienschein gebühre, singt sie im Refrain ihres grandios-perfiden Songs. Im Grunde genommen muss Arielle ihrem Selbst abschwören, ihrer Eigenständigkeit und Fähigkeit, mit anderen Menschen in Interaktion zu treten, nämlich ihrer Stimme, um außerhalb des Meeres mit ihrem Prinzen zusammensein zu können. Dass sie Ursulas Versprechungen Glauben schenkt, verkompliziert den folgenden Handlungsverlauf drastisch.
Auch Frollo, der Richter in Der Glöckner von Notre Dame, ist beseelt davon, das Glück, das sich vor seinen Augen abzeichnet, zu zerstören. Dass das schöne Zigeunermädchen Esmeralda und Phoebus, der junge Hauptmann der Stadtwache von Paris, füreinander zärtliche Gefühle entwickeln, weckt seinen Neid und gleichzeitig Ängste, die er eigentlich in die Tiefen seines Seelen-Es verbannt zu haben glaubte. Weihrauchdüfte und Choralgesänge dringen von der prächtigen Kathedrale bis zu Frollos Haus. Was mit einem Gebet zur Gottesmutter Maria beginnt, wird aus seinem Munde alsbald zu einem Aufwallen von verdrängten Sehnsüchten und nicht eingestandenen Gelüsten, von Begierden, die ihm als unrein erscheinen, die ihn deshalb martern und deren Brennen dem der Flammen in seinem riesigen offenen Kamin in nichts nachsteht. Der Freud hätte seine Freud, wenn Frollo sich selbst als besonders tugendhaft wahrnimmt und wahrscheinlich sogar selbst an das glaubt, wovon er in einer Projektion von der für ihn unerreichbaren Esmeralda als Hexe singt, die mit dem Teufel im Bunde stünde. „Be mine or you will burn!“, beschwört er sie, dann in fast unerträglicher Selbstgerechtigkeit: „God have mercy on her.“ Und die Schatten der Inquisition senken sich bedrohlich über diese gespenstische Szenerie, die uns fast wie ein Lehrstück über Bigotterie und die Wurzeln von religiösem Fanatismus anmutet.
Das waren immer die stärksten Szenen in Disney-Filmen: diese kleinen, subversiven Überraschungsmomente, deren Wirkung gerade deshalb so stark ist, weil sie unvermutet daherkommen und uns ohne Vorwarnung, ohne dass wir vorher noch einmal nach Luft schnappen könnten, die Gurgel zudrückt. Den gehörigsten Schritt in diese Richtung gehen die Allmachtsfantasien von Scar, dem fiesen Onkel des jungen Löwen Simba, dessen erklärtes Ziel es ist, dessen Vater, König Mufasa, zu stürzen und selbst an die Macht zu gelangen. „Be prepared!“, tönt er von einem Felsen aus vor seiner Armee stramm im Gleichschritt marschierender Hyänen, die riesenhafte Schatten werfen, als wären sie geradewegs Leni Riefenstahls Olympiafilm von 1938 entsprungen. Er verspricht ihnen, nie wieder hungern zu müssen, und malt das Bild einer „chance of a lifetime“ an die im Feuer der Fackeln flackernden Wände seiner Höhle. Scars Kriegserklärung an den friedlichen Kreislauf des Lebens, der in Der König der Löwen das Leben in der afrikanischen Savanne kennzeichnet, könnte den Propagandafilmen der Nazis und stalinistischen Militärparaden entstammen, er ist ein Moment Orwell’scher Klarsicht über die Entwicklung von politischen Abläufen zu einem Punkt, an dem Tugenden wie Vernunft und Besonnenheit nicht mehr zählen. Disneys „bad bad villains“ sind zwar „bloß“ gezeichnet, dennoch sorgen sie für unvergessliche Filmszenen.