Auftauchen ins Leben

Atmen (Österreich 2012)

 

Was in der amerikanischen Variety als Szene „von lyrischer Schönheit“ bezeichnet wurde, beginnt mit dem Sprung des neunzehnjährigen Roman in einen Pool. Er taucht bis zum Boden hinab, dort verharrt er, seine Arme und Beine liegen auf den Kacheln auf, es ist beinahe ein Zustand des Schwebens. Luftblasen haben sich in seinen Haaren verfangen, Roman hat die Augen geschlossen, kaum bewegt er den Kopf. Im Wasser sehen wir die Beine anderer Jungen, die am Beckenrand sitzen. Einer von ihnen springt ins Wasser, hält dort Ausschau nach Roman, sein Ausdruck schwankt zwischen Sorge und Belustigung, andere folgen ihm. Doch Roman reagiert nicht auf sie, ganz still und gelassen, in einer Art meditativer Ruhe, liegt er da.

An diesem Punkt der filmischen Handlung steht Roman kurz vor der vorzeitigen Entlassung aus der Jugendstrafanstalt. Als verschlossener Einzelgänger und ohne Rückhalt durch Freunde und Familie scheint er für eine Resozialisierung aber schlechte Karten zu haben. Diese Last und besonders die Belastung durch den Mord, den er begangen hat, ziehen ihn nach unten und halten ihn am Boden des Pools. Doch Roman hat die Initiative für sein Leben übernommen. Er hat sich auf die Suche nach seiner Mutter gemacht, von der er als Kind verstoßen wurde, und Arbeit bei einem Bestattungsinstitut gefunden. Es scheint, als würde dieser Umweg über den Tod Roman zurück ins Leben führen – wie auch zum Auftauchen aus dem Pool. Denn auf einmal beginnen sich Luftblasen zwischen seinen Lippen hervorzudrängen, und es ist, als wäre er aus einem langen Schlaf erwacht. Er stößt sich ab und beginnt, nach oben zu schwimmen, zur Luft und ins Licht. Die Metapher legt nahe: Der Aufbruch in ein neues, besseres Leben erscheint möglich.

Was der österreichische Schauspieler Karl Markovics in Atmen, seiner ersten Regiearbeit, auf die Szene im Pool folgen lässt, ist Romans direkte Konfrontation mit seiner Vergangenheit, seiner Straftat. Bei der Anhörung bezüglich der beantragten Bewährung werden ihm Videoszenen aus seiner Vernehmung vorgespielt, in denen er schildert, wie er bei einem Streit einen Jungen im Heim zu Tode brachte. Marcovics’ sachlich-nüchterner Zugang zu diesem doch sehr emotional konnotierten Stück Sozialrealismus besticht durch die geradlinige Dramaturgie zwischen unaufgeregter Einsicht und unaufdringlicher Stilisierung. Der Film verlässt sich weniger auf Sprache, obwohl die Dialoge in einem sehr authentischen Idiom gehalten sind, als vielmehr auf die Komposition der Bilder und das Mienenspiel im Gesicht seines Hauptdarstellers Thomas Schubert, aus dem wir all die Scham, die Zweifel und die Angst lesen können, die ihn im Pool und im Leben zu Boden drücken.

Was der österreichische Schauspieler Karl Markovics in Atmen, seiner ersten Regiearbeit, auf die Szene im Pool folgen lässt, ist Romans direkte Konfrontation mit seiner Vergangenheit, seiner Straftat. Bei der Anhörung bezüglich der beantragten Bewährung werden ihm Videoszenen aus seiner Vernehmung vorgespielt, in denen er schildert, wie er bei einem Streit einen Jungen im Heim zu Tode brachte. Marcovics’ sachlich-nüchterner Zugang zu diesem doch sehr emotional konnotierten Stück Sozialrealismus besticht durch die geradlinige Dramaturgie zwischen unaufgeregter Einsicht und unaufdringlicher Stilisierung. Der Film verlässt sich weniger auf Sprache, obwohl die Dialoge in einem sehr authentischen Idiom gehalten sind, als vielmehr auf die Komposition der Bilder und das Mienenspiel im Gesicht seines Hauptdarstellers Thomas Schubert, aus dem wir all die Scham, die Zweifel und die Angst lesen können, die ihn im Pool und im Leben zu Boden drücken.

Es sind zwei Szenen im Bestattungsinstitut, die auf diese Momente im Wasser hinführen. In der ersten werden Roman und ein Mitarbeiter (Georg Friedrich, authentisch wie immer) zu einem Todesfall gerufen. Roman bittet ihn um Hilfe beim Binden seiner Krawatte. Ob sie ihm bei der Gerichtsverhandlung denn sein Anwalt gebunden hätte, kriegt der Junge als unwirsche Abfuhr zu hören. Dass Roman allmählich den Respekt seiner Mitarbeiter gewonnen hat, zeigt sich in der zweiten Szene, als sich diese Situation eine Zeitlang später wiederholt. Wir befinden uns direkt vor ihm, der seinerseits vor einem Spiegel steht und sich wieder im Krawattenbinden versucht. Da tritt der Mitarbeiter hinter ihn und zeigt ihm wortlos und Schritt für Schritt die Handgriffe vor, wartet ab, wenn Roman Schwierigkeiten hat, und klopft ihm im Weggehen auf die Schulter. Was in dieser Szene an Akzeptanz und Mutmachen, fast könnte man es Zärtlichkeit nennen, zwischen den beiden passiert, kommt ganz unspektakulär daher und geht vielleicht gerade deshalb tief unter die Haut.

Am Ende des Films hat Roman gelernt zu atmen. Er hat gelernt, dass es wichtig ist, selbst Schritte zu setzen und durchzuhalten, hat sein lange Zeit defensives Verhalten beherrscht und Mut geschöpft – nicht als dem Gegenteil von Angst, sondern als Kunst, Angstgefühle zu überwinden, um keine Angst vor der Angst mehr zu haben. „Mut steht am Anfang des Handelns“, hat Demokrit geschrieben, „Glück am Ende.“ Von diesem Glück zu sprechen, dazu versteigt sich der Film nicht, das wäre seiner Schlichtheit nicht angemessen. Der angesprochene Anfang jedoch ist gemacht. Roman steht am Grab des Jugendlichen, dessen Tod er sein Leben lang auf dem Gewissen haben wird. Sein Luftholen begann im Nachahmen des Bindens einer Krawatte und im Auftauchen aus einem Pool. Nun besteht Hoffnung, dass dieser neue Anfang funktioniert und es für ihn eine Zukunft gibt.