Das Spiel der Lebenden mit den Toten

Bewegliche Ziele (Targets, USA 1968)

Frankenstein (USA 1931)

Die Mumie (The Mummy, USA 1932)

 

Als Schwanengesang auf das Werk Boris Karloffs wird Peter Bogdanovichs Bewegliche Ziele oft bezeichnet, der Film ist nichts weniger als eine Verbeugung vor einem ganz großen Schauspieler. Karloff gibt darin den alten Horrordarsteller Byron Orlok, einen Anachronismus in einer Zeit, deren Gewaltbereitschaft jene seiner Filme bei weitem übersteigt. Ihm gegenüber steht auch tatsächlich ein psychopathischer Vietnamveteran, der als Scharfschütze Besucher eines Drive in-Kinos ins Visier nimmt. Doch Karloff braucht keine großen Actionszenen, um uns in seinen Bann zu ziehen, ihm genügt es, mit seiner sonoren Stimme und ganz kleinen Gesten eine Anekdote zu erzählen, die die Kamera im langsamen Näherkommen und ohne Schnitt einfängt. Es geht um den Tod, der im Basar von Bagdad darüber erstaunt ist, den Diener eines reichen Kaufmanns zu sehen. Dieser erschrickt angesichts des Todes ganz gehörig und flüchtet auf einem Pferd seines Meisters in die Stadt Samara, wo ihn, wie er hofft, der Tod nicht finden würde. Der Kaufmann macht sich daraufhin selbst zum Basar auf und stellt den Tod zu rede: Weshalb er seinen Diener bedroht habe, will er wissen. „I was astonished to see him here in Bagdad, for I have an appointment with him tonight ... in Samara“, erklärt sich der Tod.

Boris Karloffs wichtigste Rollen waren stets in diesem Grenzbereich zwischen Leben und Tod angesiedelt. Eine kurze Geschichte, eine Einstellung von nicht einmal zwei Minuten, eine böse Pointe, und Karloff hat uns in seinen Bann gezogen und lässt uns nicht mehr los. Auch als Frankensteins unglückselige Kreatur und als verfluchter Hohepriester Im-Ho-Tep, seinen beiden berühmtesten Rollen in Horrorfilmen der Neunzehndreißigerjahre, waren es meist stumme Blicke in stillen Momenten, die dem damaligen Publikum Schreckensschauder über den Rücken jagten und uns auch heute noch ihre immense stilprägende Wirkung verstehen lassen. Karloff und sein Regisseur James Whale kreierten für Frankenstein jenen Look des aus Leichenteilen zusammengesetzten Ungeheuers, wie man es sich seitdem kaum anders vorstellen vermag, und insgesamt wohl die Urtextur des Horrorkinos. Karloffs Kunst ist die unbeholfene Annäherung der unglücklichen Kreatur, die kein Monster sein will, ist das Sich-Herantasten an das Menschliche, aus dem es sich ausgestoßen fühlt.

Die berührende Szene am See zeigt das auf überaus anschauliche Weise. Ein kleines Mädchen spielt dort in einer lichtdurchfluteten Szenerie, die in direktem Gegensatz zu dem Kerker steht, in dem die Kreatur bislang von seinem Schöpfer, dem mad scientist Victor Frankenstein, festgehalten wurde. Nur im ersten Moment ein unsicherer Blick, dann akzeptiert das Mädchen ihr Gegenüber, wie dieses eben ist. „Who are you? I’m Maria.“ Und sie fragt ihn, ob er mit ihr spielen wolle, nimmt ihn an der Hand und reicht ihm eine Blume. Zum ersten Mal sehen wir die Kreatur lächeln, sie betrachtet die kleine weiche Hand des Kindes und hält sie in ihren vernarbten Pranken. Doch gleich darauf wendet sich das Blatt; als keine Blumen mehr da sind, um sie ins Wasser zu werfen, packt das Monster das Mädchen und schleudert sie in den See. In Panik ergreift die Kreatur dann die Flucht, ihre Bewegungen sind voller Hektik und linkisch, sie wirken wie ein grotesker Tanz, und eine Überblendung führt uns tatsächlich in eine Volkstanzszene von Victors Hochzeitsgesellschaft, aus deren Teilnehmern sich alsbald der Mob in Lynchlust herauskristallisieren wird, der das Ungeheuer schlussendlich in einer brennenden Windmühle zu Tode bringen wird.

Der verrückte Wissenschaftler, der Gott spielt in dem irren Glauben, aus toten Teilen Leben erschaffen zu können, findet seine Spiegelung in dem Archäologen, der an der ägyptischen Ausgrabungsstelle einen geheimnisvollen Papyrustext entziffert und dadurch Die Mumie zu Leben erweckt. Karl Freunds Inszenierung spielt mit Licht und Schatten und ist darin vom deutschen Expressionismus beeinflusst, lebt letztlich aber doch wieder in erster Linie von Boris Karloffs schauspielerischer Glanzleistung. In seiner aufwendigen und auch nach heutigen Maßstäben noch schlichtweg genialen Maske der Mumie öffnet Karloff ganz langsam die Augen. Die Kamera streift über die uralten Binden zu seinen Händen, Staub und Fetzen der Bandagen fallen zu Boden, und erst als sich die langen dürren Finger mit dem glänzenden Ring auf die Schriftrolle legen und diese wegziehen, realisiert der Archäologe, was geschehen ist. Sein irres Lachen hallt durch die Nacht, als Hilfe herbeieilt, ist der wiedererwachte Im-Ho-Tep, der einst bei lebendigem Leibe mumifiziert wurde, jedoch bereits verschwunden. „He just went for a little walk!“, ist die hysterische Reaktion des Archäologen.

Dieser Blick, diese Augen, in den späteren Szenen, in denen Im-Ho-Tep seine geliebte Prinzessin ins Leben zurückholen will, auch diese tiefe Stimme - keine heutigen Spezialeffekte vermögen eine solche Atmosphäre des Unheimlichen herzustellen. In Targets macht sich Peter Bogdanovich einen Spaß daraus, das Prinzip von Karloffs Horrorfilmen umzukehren. Hier sind es keine Lebenden, die glauben, den Tod manipulieren zu können, sondern es ist der Tod selbst, der seine grausamen Spielchen spielt. „When I was nine I played the demon king in Cinderella and it launched me on a long and happy life of being a monster“, meinte Boris Karloff einmal mit selbstironischem Humor. Der Schauspieler erhielt Namen wie „Boris the Uncanny“ (Karloff der Unheimliche) oder „The Master of Horror“ zugedacht, den tiefsten Eindruck machte er aber dann, wenn er hinter die gruselige Fassade seiner Figuren blicken ließ und dort die wunde Seele einer gemarterten Seele zum Vorschein trat.