Black Swan (USA 2010)
„In der Regel kann ich Schmerzen sehr gut erdulden, als Tänzer hat man eh ständig welche. Die Hebefiguren quälen den Rücken und Nacken. Die Füße sind oft wund, die Arme verkrampft, der Körper ist gezeichnet von Blutergüssen, Prellungen und Schwielen.“ Sätze wie diese, die Vladimir Malakhov 2007 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung äußerte, offenbaren, auf welche Weise und bis zu welchem Grad Ballettänzer ihre Körper quälen, ja quälen müssen, um den gewünschten Standard ihrer Kunst zu erreichen. Qualen, die auch Nina Sayers, die überaus ehrgeizige Ballerina in Darren Aronofskys Psychothriller Black Swan, am eigenen Leib verspürt.
Natalie Portmans oscargekrönte, was die Tanzszenen betrifft durch die medial aufbereitete Kontroverse mit ihrem Double Sarah Lane hingegen umstrittene Performance, trägt uns durch den Film und damit auch durch Tschaikowskis Schwanensee. Nina kämpft um die Doppelrolle des unschuldigen Weißen und des verführerischen Schwarzen Schwans mit einer Verbissenheit, die zu Halluzinationen, Paranoia und Selbstverstümmelung führen. Ein lyrischer Charakter und sein dämonischer Gegenpart: Den Weißen Schwan, in Wahrheit die vom Zauberer Rotbart verwandelte Prinzessin Odette, die nur durch wahre Liebe erlöst werden kann, würde sie perfekt beherrschen, so der Choreograf Thomas (Vincent Cassel), für den Schwarzen jedoch, Odettes negatives Ebenbild namens Odile, fehlten ihr die nötige Tiefe und die Leidenschaft: „You could be brilliant, but you’re a coward.“
Nina sieht sich ihrer Kontrahentin Lily (Mila Kunis) unterlegen, sie kratzt sich nachts im Schlaf die Schulter blutig, später wird sie eine schwarze Feder aus der Wunde ziehen. Sie sieht Fotos ihrer Mutter (Barbara Hershey) sprechen, in deren Apartment sie noch immer in einem Mädchenzimmer voller rosa Kuscheltiere wohnt, ihre Beine verwandeln sich in die eines Schwans, ihre Augen verfärben sich rot. Aronofsky entwickelt für die Darstellung von Ninas seelsicher Pein mitunter drastische Bilder eines Spannungsfeldes, in dem sich die Tänzerin zwischen den beiden Polen ihrer Persönlichkeit zerrissen fühlt. Rehäugig und fragil wie die junge Audrey Hepburn ist sie auf der einen Seite, auf der anderen jedoch auch bereit, in ihrer Leidensfähigkeit, was die Schmerzempfindlichkeit ihres auf unbedingten Erfolg getrimmten Körpers betrifft, bis zur völligen Selbstaufopferung zu gehen. Im Verlauf der Probenzeit lernt Nina Emotionen wie Neid und Hass und die eigene Sexualität kennen und verliert dabei jene Reinheit und Unschuld, die der Figur des Weißen Schwans entspricht.
Wie in einem finsteren Sog findet Ninas Befreiung von unterdrückter Lust statt, ihr Weg zu einem selbstbestimmten Wesen ist ein äußerst harter. Was sich dabei tatsächlich und was nur in Ninas Vorstellungswelt abspielt, wird in diesem Schwanengesang einer verwirrten Seele, die zur Geburt eines starken, neuen Ichs führt, nicht geklärt. „What happened to my sweet girl?“, fragt Ninas Mutter, die sie ständig bevormundet und wie ein kleines Kind behandelt. „She’s gone“, ist die knappe Antwort.
„The only person standing in your way is you“, hat Thomas einmal zu Nina gesagt und sie aufgefordert: „Lose yourself.“ Den Prozess der Auflösung der Metapher von der Abtötung des Kindes in sich und der Entwicklung zu einer erwachsenen Frau, illustriert der Höhepunkt des Films, der gleichzeitig die Premiere des bislang geprobten Stücks darstellt. Nach einem Sturz im ersten Akt, noch als Weißer Schwan, flüchtet Nina in der Pause in ihre Garderobe und findet dort Lily im Kostüm des Schwarzen Schwans vor. Es kommt zum Streit, während dem Nina Lily gegen den Spiegel schleudert und ihr eine der Scherben in den Bauch sticht. Sie versteckt die Leiche im Badezimmer und gibt daraufhin eine geradezu orgiastische Darstellung ihrer Rolle, bei der ihr sogar schwarze Schwanenflügel zu wachsen beginnen.
Gehörige Irritation bei Nina wie auch bei uns Zuschauern, als in der Pause vor dem letzten Akt die totgeglaubte Lily an der Tür von Ninas Garderobe klopft, um ihr zu ihrer einmaligen Leistung zu gratulieren. Das Blut, das eben noch unter der Tür zum Badezimmer durchgesickert ist, ist ebenso verschwunden wie die Leiche selbst. Und Nina greift sich an den Bauch, entdeckt dort eine blutende Wunde und zieht die Scherbe heraus, mit der sie sich vorhin selbst verletzt hat. Aronofsky hält die meiste Zeit nur auf Natalie Portmans Gesicht, in dem sich die unterschiedlichesten Regungen spiegeln: Der Schock, die Ungläubigkeit, das Realisieren der Wahrheit. Schließlich reißt sich Nina noch einmal zusammen, um den Auftritt, auf den im Grunde genommen ihre ganze bisherige Existenz hingeführt hat, nicht zu verpassen. Der fulminante Tanz, der Taumel zwischen dem Prinzen und dem Zauberer, schließlich der Todessturz des Schwans von einem Turm aus. „What did you do?“, bedrängt sie Thomas, als sie, umringt von den anderen Tänzerinnen, hinter der Bühne auf einer Matte liegt und zu Tode blutet. „I felt it“, sind ihre letzten Worte: „Perfect. It was perfect.“