Verstörungen

Blutgericht in Texas (The Texas Chain Saw Massacre, USA 1974)

Der Exorzist (The Exorcist, USA 1973)

 

Oftmals sind es die Behausungen, in denen oder von denen ausgehend Unholde des Horrorkinos ihr Unwesen treiben, die die ganz spezielle Atmosphäre eines solchen Films konstituieren und in diesem Sinne beinahe ein Eigenleben zu entwickeln scheinen: als heimlicher Rückzugsort für die Killer, vielleicht als Nest ihrer inneren Dämonen, als Brutstätte ihres Irrsinns und all jener schwarzen Triebe, die sie zu ihren unheilvollen Taten treiben. Im klassischen Gruselkino wird ein solches Haus oft und gern im gotischen Stil gezeigt, mit von Nebel umwallten Grundmauern und spitzen Dächern, Giebeln und Türmchen, die wie dämonische Krallenfinger in einen gewitterwolkig dunklen Himmel greifen – von Rebeccas Manderley über Poes House of Usher bis zu Hitchcocks Psychohaus sind uns diese Bilder vertraut. Zwei weitere Beispiele zeigen aktuellere und archetektonisch unterschiedliche Varianten für solche Hüllen des Bösen. In Tobe Hoopers unheilvoller Mär vom Kettensägenkiller handelt es sich um eine abgelegene texanische Farm im Stil eines Plantagenhauses samt Veranda und tiefen Kellern, in William Friedkins Versuchsanordnung einer Teufelsaustreibung um ein Backsteingebäude.

Butgericht in Texas, damals billig heruntergedreht und ob seiner Gewaltdarstellungen lange Zeit auf weltweiten Indices, gilt heute als immer noch ziemlich verstörender Eintrag in den Kanon der einflussreichsten Werke der Filmgeschichte. Der Inbegriff dessen, was wir heute als Genre des Slashers ansehen, stellt in puncto Setting, dem typischen Figurenpersonal und der erzählerischen Struktur von aufeinander folgenden Morden noch immer gültige Parameter auf, die in zahllosen Nachahmungen meist mehr schlecht als recht imitiert wurden und werden. In unnachahmlicher Intensität entwirft Regisseur Hooper ein Szenario des fast ausweglosen Terrors. Eine Gruppe fünf junger Leute gerät im hinterwäldlerischen Texas in die Gewalt einer Familie von Kannibalen, deren psychopathisch-degenerierter Vollstrecker ob seiner selbst angefertigten Masken aus menschlicher Haut den entlarvenden Namen Leatherface trägt.

Von den ersten Einstellungen an erzeugt der Film ein Gefühl latenter Bedrohung. Nachrichten im Radio berichten von Grabplünderungen und gewaltsamen Todesfälle, Blitzlichtaufnahmen erhellen grausige Motive – verwesende Leichen, Totenschädel, Skelettfinger, Knochen, auf einem Friedhof eine Skulptur aus verschiedenen Körperteilen. Wiewohl sich diese Bilder immer nur für kurze Augenblicke in unsere Wahrnehmung bohren, erzeugen sie zusammen mit dem ausgeklügelt-enervierenden Sounddesign ein morbides Gefühl von Irritation und Irrsinn, das den gesamten Film bis hin zu einem in fast unerträglicher Intensität inszenierten Abendessen im Kreise der ganz und gar nicht lieben Familie nicht an Dringlichkeit verliert.

Wenn wir zum ersten Mal das Gesicht von Leatherface zu sehen bekommen, den Gunnar Hansen als das unheilvoll knatternde Werkzeug mühelos schwingenden Hünen verkörpert – ein Schockmoment allererster Güte, wird uns doch der Ursprung seines Namens auf einen Schlag klar. Den Weg dorthin pflastert Regisseur Hooper mit den schauerlichsten Ideen. Jerry (Allen Danziger), einer der fünf jungen Leute, die nacheinander der Horrorfamilie zu Opfern werden, klopft mehrmals an die Tür des Hauses und tritt, als sich nichts rührt, aus dem flirrenden Licht und der Hitze in die Düsternis – nicht nur in optischer Hinsicht fehlt ihm der Durchblick und von dem, was ihm nun alsbald blühen wird, hat er keine Ahnung. Vor ihm liegt ein schmaler Flur mit bleichen Tierschädeln an den Wänden. Im hinteren Teil steht eine Tür offen; seltsame Grunzlaute sind zu hören, die uns beim Zuschauen wohl mehr Herzklopfen verursachen als Jerry, der sich nichts dabei denkt und genau darauf zusteuert. Unvermittelter Auftritt von Leatherface, ein herrlicher Jump scare. Sein Gesicht und damit die Maske sind in den Schatten halb verborgen, der Grund, dass seine Schürze so blutig ist, wird offensichtlich, als er einen Hammer hebt und auf Jerry einzuschlagen beginnt. Er zerrt den Burschen weg, eine Art Stahltür schließt sich geräuschvoll hinter ihnen; was folgt ist Stille.

Das bitterböse Spiel des Films ist kompromissloses Kino der Körperlichkeit und deren Zerstörung und, daraus resultierend, der Bewegung im Sinne der wiederholten und immer wieder auch scheiternden Fluchtversuche. Die Muster von Handlungsverlauf und dem Los der Charaktere, die wir mittlerweile in unseren rezeptiven Erwartungshorizont eingeschrieben haben, hat nicht zuletzt Blutgericht in Texas aufgestellt. Dass darin die Überlebenschancen von jungen Frauen ungleich höher als jene des männlichen Cast stehen, ist uns klar. Also hält sich das Drehbuch auch gar nicht mehr mit Jerry oder leerem Füllmaterial auf, sondern bleibt direkt im erstellten Spannungsbogen und wendet sich darin Jerrys Freundin Pam (Teri McMinn) zu.

Diese hat auf einer weißen Schaukel vor der Veranda auf ihn gewartet, sie wird nun aber ungeduldig. Sie ruft nach Jerry und betritt das Haus wie er zuvor; die anfängliche Wiederholung der Bilder von vorhin lässt uns jeden Moment das Auftauchen von Leatherface befürchten, doch dehnt Hooper diese zeitliche Spanne durch die nähere Erkundung des Hauses, die wir durch Pams Augen miterleben. Die Atmosphäre ist wahrlich unheimlich in dieser Abfolge von Großaufnahmen und gehetzten Kamerabewegungen. Eine Henne in einem Käfig, Armknochen auf einer Bank, drapiert wie in einer ausladenden Geste, Werkzeuge und Knochen und nochmals Knochen, der Boden voller Fellknäuel – fast wie eine Wasseroberfläche, in der Pam zu versinken droht. Dazu blechernes Scheppern und Hühnergackern, die Geräusche steigern sich zu einem Crescendo, das an ihren und unseren Nerven zerrt. Dann taucht abermals Leatherface auf und vereitelt Pams Entkommen an der Haustür. Jetzt sehen wir sein Gesicht zum ersten Mal klar und deutlich im Sonnenlicht und wird zur grausigen Gewissheit, was wir vorher nur ahnen und fürchten konnten, nämlich dass seine Maske aus keinem anderen Material als menschlicher Haut gefertigt ist. Der Unhold schleppt Pam in sein blutiges Schattenreich hinter der vorhin erwähnten Tür – ein Tisch, ein zerteilter Körper, Fleischerhaken hängen von der Decke. An einen von ihnen spießt Leatherface die arme Pam und es wird offensichtlich, dass zweifellos nicht ihrer Rolle die Möglichkeit, diesen Horrortrip zu überleben, zugeschrieben ist.  

Die Frage, ob dies der zwölfjährigen Regan in ihrem Unheilszenario gelingen wird, bleibt die gesamte Laufzeit von Der Exorzist in der Schwebe – und zwar nicht nur, wenn sich das Mädchen in eben dieser Position über ihrem Bett befindet. Auch Linda Blairs Gesicht ist unter einer Art von Maske verborgen, in ihrem Fall unter Schichten überaus grausigen Make-ups, zu der der Dämon, der das bemitleidenswerte Mädchen heimgesucht hat, ihre Züge fast bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Regans Figur wird nicht per se als gemein und böse dargestellt; sie ist an und für sich ein unschuldiges Kind, in das nur eben leider der Satan fährt und dessen sich dieser als Medium für sein Toben bedient – der Ansatz für eine psychologische Interpretation der Protagonistin an der Schwelle zur Pubertät und ihrer erwachenden Eigenständigkeit und Sexualität ist naheliegend. Gemeinsam mit ihrer Mutter (Ellen Burstyn), die als Schauspielerin zum Zeitpunkt der Handlung gerade einen Film in Washington, D. C. dreht, wohnt Regan in einem mehrgeschoßigen Backsteinbau am oberen Ende einer schmalen steilen Treppe, über die Pater Karras (Jason Miller), einer der beiden Geistlichen, die den Exorzismus an ihr vornehmen, im Finale aus dem Fenster von Regans Zimmer in den Tod stürzen wird.

Genau hier kommt in einer früheren Szene der auf Teufelsaustreibungen spezialisierte Pater Merrin (Max von Sydow) des Nachts im Taxi an. Es ist dunkel und nebelig, seine hagere Gestalt in Mantel und Hut und mit einer Aktentasche zeichnet sich im schwachen Licht einer Laterne ab; in dieser Stimmung wie vor dem finalen Duell eines Westerns läuft alles, soviel ist uns klar, auf eine tödliche Konfrontation hinaus. Schon die ersten Anzeichen von Regans Besessenheit waren drastisch: das Rucken des Bettes, die unflätige Sprache, der verdrehte Kopf, das Speien von grünem Schleim, die Botschaft „Help me“, die sich auf dem Bauch des Kindes abzeichnet.

Nun betritt Pater Merrin im schwarzen Talar ihr Zimmer. In der Kälte sind Atemwolken sichtbar, wenn er ein goldenes Kreuz küsst und beginnt, Regan aus einer Glasflasche mit Weihwasser zu besprengen. Er betet das Vater Unser, da bäumt sich der Dämon in Regan und mit ihm das Mädchen wie unter panischen Schmerzen auf: abermals Stöhnen und Speien, Züngeln, die Beschimpfung als „cocksucker“, gruselig pupillenlose Augen. Der Pater kniet sich neben das Bett, sein Kollege Karras ist jetzt an seiner Seite, Regan keucht und gibt Laute eines rasenden Raubtiers von sich, ihre lange grüne Zunge schlängelt sich aus der Dämonenfratze, dazu der Schleim und dieses grauenhafte Lachen. Es zerspringt das Holz der Tür und entstehen Risse in der Decke, das gesamte Zimmer bebt. Wo Regans Körper vom Weihwasser getroffen wird, klaffen Wunden wie Peitschenstriemen auf. Ihr Kopf dreht eine Runde, ihre Fesseln reißen und ihr Körper erhebt sich und schwebt mit zur Seite gestreckten Armen wie die Verhöhnung der Darstellung von Jesus am Kreuz. Haben wir solch filmischen Schrecken einmal miterlebt, bekommen wir ihn wohl nicht mehr aus dem Kopf, das betrifft Leatherfaces blutiges Wüten ebenso wie jenes des Teufels im Körper des Kindes, in dieser Essenz grandioser Momente der Verstörung.