Bonnie und Clyde (Bonnie and Clyde, USA 1967)
Django (Italien/Spanien 1966)
Der Mann mit dem Sarg, das ist natürlich Franco Nero in seiner Rolle als Django, dem Inbegriff des schweigsamen Rächers als zentraler Figur des Genres der Italowestern. Neben Sergio Leone, mit seiner Dollar-Trilogie Wegbereiter der Gattung, war es Django-Regisseur Sergio Corbucci, dessen Werk spätere Filmemacher, allen voran Quentin Tarantino, essenziell zu beeinflussen wusste. Gleich zu Beginn des Films, wenn noch die Credits in grellroten Lettern ablaufen und dazu der geradezu ikonische Titelsong von Rocky Roberts ertönt, inszeniert Corbucci seinen Protagonisten als Statement für jene Art filmischer Coolness, die im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. Angetan in einer Nordstaatler-Uniform, die schon bessere Zeiten gesehen hat, dem Militärmantel und schmutzigen Stiefeln, einen Sattel auf der Schulter und das bartstoppelige Gesicht unter einem breitkrempigen Hut verborgen, stapft Django über schlammigen Erdboden und zieht einen Sarg hinter sich her – und wenn er denn mal den Kopf hebt, trifft uns sein Blick aus stechend blauen Augen.
Was viele der anderen Figuren in dem Film trifft, sind in der Folge die Kugeln aus Djangos Revolver – und in einer legendären Szene aus einem Maschinengewehr. Ein solches befindet sich nämlich in dem genannten Sarg und verschafft einen beträchtlichen Vorteil in der Auseinandersetzung mit der Rotkapuzenhorde eines gewissen Major Jackson, der, wie wir erst später erfahren werden, Djangos Frau auf dem Gewissen hat. Schauplatz dieses Kampfes ist eine fast ausgestorbene Westernstadt nahe der mexikanischen Grenze, wie sie heruntergekommener kaum darzustellen wäre. Die Gebäude aus verwittertem Holz wirken, als würden sie jeden Moment im pfeifenden Wind in sich zusammenbrechen, die Hauptstraße ist eine einzige Kloake aus Schlamm, außer dem Besitzer des Saloons und einigen Animierdamen ist keine Menschenseele zu sehen. Django hat sich mit seinem Sarg hinter einem umgestürzten Baumstamm verschanzt. Da tauchen, wie erwartet, unter dem Wasserturm am Ende der Straße zu Pferd und zu Fuß die Gangster auf. Das Bild der einreitenden Bösewichter ist uns aus unzähligen Western geläufig, nicht zuletzt lässt Fred Zinnemanns Zwölf Uhr mittags (High Noon, 1952) grüßen, nur dass es diesmal nicht Sherriff Gary Cooper ist, der sich mit einer Überzahl an Gegnern konfrontiert sieht, sondern eben unser Django. Die Männer des Majors kommen mit gezogenen Colts und schussbereiten Gewehren näher und treten auch zwischen den Häusern hervor. Angeblich waren die schauspielerischen Fähigkeiten vieler Statisten so beschränkt, dass ihre roten Halstücher, wie auch der Major eines trägt, beim Dreh kurzerhand zu Kapuzen umfunktioniert wurden. Jedenfalls unterstreicht diese Referenz auf den Ku-Klux-Klan und Themen wie Unterdrückung und Rassismus die gesellschaftskritische Note, die in Analysen des Films immer wieder angesprochen wird.
Django fackelt nicht lang herum. Er klappt den Deckel des Sarges hoch, entnimmt diesem das Maschinengewehr und mäht die wild ballernde Horde kurzerhand nieder. Es sind Momente wie dieser, deren Brutalität, zuweilen vermischt mit sarkastischem schwarzem Humor, die Italowestern letztlich von traditionellen US-amerikanischen Streifen unterscheiden. Django ist ein gebrochener Antiheld, der das Gesetz in die eigenen schmutzigen Händen nimmt und Selbstjustiz übt, wo und wie es ihm gefällt. Auf diese Weise verweigert er sich dem Schema des klassischen Gut-Böse-Dualismus. Einer wie er steht wohl stets mit einem Bein im Grab; dass er einen Sarg hinter sich herzieht und sich darin als Sinnbild seines Hasses und seiner Rachegelüste eine todbringende Waffe befindet, kann als Visualisierung seiner zerrissenen Seele gesehen werden. Im Kugelhagel, mit dem er seine Gegner überschüttet, stirbt auch, was einmal an Gutem in seinem Leben gewesen sein mag; die geliebte Frau liegt ja bereits auf dem Friedhof des Ortes begraben.
Ähnlich kompliziert zu lesende Charaktere in einem vergleichbar gewaltbereiten Umfeld führt uns die Gangsterballade Bonnie und Clyde vor Augen, und auch hier endet alles im Gewitter der Schüsse. Nachdem der französische Filmemacher Francois Truffaut das angebotene Drehbuch abgelehnt hatte und es auch mit seinem „Nouvelle Vague“-Kollegen Jean-Luc Godard aufgrund dessen mit Hollywood nicht kompatiblen Vorstellungen zu keiner Zusammenarbeit kam, ist es der amerikanische Regisseur Arthur Penn, der die Geschichte des Verbrecherpärchens Bonnie Parker und Clyde Barrow erzählt. Sie waren in den Depressionsjahren der 1930 durch Banküberfälle zu beträchtlicher Berühmtheit gelangt, Penns Inszenierung verlässt sich aber nicht auf Nostalgie und Verklärung. Hingegen gilt Bonnie und Clyde in seiner Nähe zu erzählerischen und stilistischen Mitteln des europäischen Kinos als eine der Keimzellen des sogenannten „New Hollywood“ und seines Ausbruches aus den allzu starren Konventionen des bis dahin üblichen Studiosystems. Verkörpert von Faye Dunaway und Warren Beatty, einem Traumpaar dieser Zeit, handelt es sich, wie schon bei Django, weder um althergebrachte Schurken, noch um astreine Heldenfiguren. Diese Art der Differenzierung zwischen Sympathie erzeugendem Augenzwinkern und psychopathologischen Zügen der Protagonist*innen war es wohl, die einen Teil des damaligen Publikums und auch der Kritik verstörte.
Die finale Szene, in der Bonnie und Clyde ihr Ende finden, ist von einer auch heute noch beeindruckenden Stringenz – auf das Wesentlichste reduziert und vielleicht gerade deshalb so überzeugend. Gerade noch haben die beiden auf einer Wiese zum ersten Mal miteinander geschlafen – Clydes Bisexualität in frühen Fassungen des Scripts wurde in späteren zur Impotenz geändert. Doch ihr Untergang ist bereits beschlossene Sache. Der Vater ihres Bandenkumpanen C. W. macht zu diesem Zweck mit den Sherriffs gemeinsame Sache in Form einer vorgetäuschten Reifenpanne.
Bonnie und Clyde sind mit dem Auto unterwegs, das ist ein verliebtes Turteln, als ahnten sie insgeheim, dass ihnen keine Zukunft mehr bleibt. Bonnie holt aus den Einkäufen vom Rücksitz eine Birne. Sie nimmt einen Bissen und bietet die Frucht dann Clyde an, der so herzhaft zubeißt, dass ihm der Saft übers Kinn läuft. Da sehen sie vor sich auf der staubigen Straße den Vater ihres Freundes neben seinem Pickup stehen und winken. Clyde stoppt arglos den Wagen, steigt aus und besieht sich den abmontierten Reifen. Dann geht alles ganz schnell. Aus der Distanz nähert sich ein Lieferwagen, Vögel brechen aus Bäumen und Büschen wie ein böses Omen. Der alte Mann wirft sich unter den Pickup und wie Momente in einem Blitzlichtgewitter sehen wir in Close-ups die Gesichter von Bonnie in ihrem Wagen und Clyde davor, wie sie zuerst mit der Situation nichts anzufangen wissen und sie dann der Schock der Erkenntnis packt, in einen Hinterhalt geraten zu sein. Und dann setzen die Salven aus den Waffen der Sherriffs ein. Ein wahrer Kugelhagel durchsiebt die Körper der beiden und versetzt sie in einen zeitlupenartigen Totentanz und in zuckende Bewegungen, selbst als eigentlich kein Leben mehr in ihnen ist. Bonnie hängt kopfunter aus der offenen Wagentür, Clyde rollt vor den Kühler, das Gefährt ist durchlöchert wie das Gaunerpaar. Was folgt, ist totale Stille, einzig durchsetzt vom Rauschen des Windes in den Blättern der Bäume und Büsche, hinter denen nun die Gesetzeshüter hervortreten. Zwei Schwarze laufen von ihrem Lieferwagen, der ein Stück abseits angehalten hat, zögernd herzu, der alte Mann kriecht aus seiner Deckung hervor. Die Sherriffs kommen nahe heran und begutachten die Leichen, wir sehen aus dem Blickwinkel durch die zerschossenen Scheiben, wie sie langsam die Waffen sinken lassen. Dies alles ohne Musik, die Dramatik der Situation genügt sich selbst, und dann der Schnitt in ein schwarzes Bild mit dem Schriftzug „The End“. So direkt und schnörkellos enden Filme nur selten und nicht oft bleibt man mit einem so bangen Gefühl zurück, die abrupte Zäsur vom Leben zum Tod miterlebt zu haben.