Mit einem Blick

Boulevard der Dämmerung (Sunset Boulevard, USA 1950)

 

Es ist eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte, wenn Gloria Swanson im Finale von Billy Wilders Sunset Boulevard Schritt für Schritt die große, geschwungene Treppe herunterkommt und dann ihren legendären Satz sagt: „I’m ready for my close-up.“ Swanson spielt die Stummfilmdiva Norma Desmond, die am Übergang zum Tonfilm gescheitert ist und sich in den Wahnsinn geflüchtet hat, immer noch ein großer Star zu sein. Sie lebt in dem Glauben, gemeinsam mit dem Regisseur Cecil B. DeMille an der Realisierung eines Salome-Projekts zu arbeiten. Gloria Swanson war selbst eine der berühmtesten Schauspielerinnen der Summfilmära gewesen, der Verlauf ihrer Karriere ähnelte jenem der Figur von Norma Desmond, sie hatte deren Ende aber akzeptiert und neuen Lebenswegen zugewandt – kein Hadern mit der Vergangenheit, kein zum Scheitern verurteilter Versuch, an etwas festzuhalten, das in dieser Form gar nicht mehr bestand. Dennoch akzeptierte sie nach anfänglichem Zögern Billy Wilders Ruf und machte aus dem Comeback die Rolle ihres Lebens.

Zu Beginn des Films treibt der Leichnam des jungen Drehbuchautors Joe Gillis (William Holden) im Pool der Diva; er wird aus dem Jenseits die Geschichte erzählen, an deren Ende er zu Tode kommt. Gillis wird von der zurückgezogen lebenden Norma Desmond engagiert, das von ihr verfasste Salome-Drehbuch zu überarbeiten und dabei im Laufe der Zeit immer tiefer in ihre Welt der konsequenten Verleugnung der Realität gezogen. Wilder entwickelt seinen Film als Farce zwischen Drama und Ironie, indem er einerseits am Image Hollywoods kratzt, es gleichzeitig aber in den Status des Magischen überhöht. Dies kulminiert in der finalen Szene, als Norma von der Polizei abgeführt werden soll. Plötzlich sieht sie sich von Journalisten und Fotografen umlagert wie zu ihren besten Zeiten. „Camera! Action!“, ruft Max, ihr treues Faktotum, und bombastische Historienschinkenmusik wallt auf. Norma zelebriert ihren Auftritt: „I can’t go on with the scene. I’m too happy.“ Doch auch dieser Einwand dient nur der Steigerung des Effekts, und dann kommt sie, die Aufforderung zur Großaufnahme, und Norma schreitet – es ist das einzige Vokabel, das für diesen Prozess gültig scheint – auf die Kamera zu, ins Licht, das für sie zur einzig gültigen Wirklichkeit geworden ist. „I am big“, lautet der zweite von Desmonds berühmten Sätzen, „it’s the pictures that got small.“ In diversen Rankings der prägendsten Filmzitate kommen die beiden Aussprüche auch heute noch auf obere Plätze.  

„We didn’t need words, we had faces“, fällt in Wilders Klassiker einmal über den Unterschied zwischen Stumm- und Tonfilm. Diese Idee verarbeitete auch Andrew Lloyd Webber in seiner Musicalversion des Stoffes. „With one look I put words to shame/Just one look sets the screen aflame/Silent music starts to play/One tear in my eye makes the whole world cry“, heißt es in einem der Lieder so trefflich über den unbedingten Willen zur Überlebensgröße und die direkte Wirkung auf das Publikum: „those wonderful people out there in the dark.“ Im Laufe der Filmgeschichte gab es immer wieder Schauspielerinnen, die nichts brauchten als eine Großaufnahme, und das Publikum lag ihnen zu Füßen. Die oft „göttlich“ genannte Garbo etwa oder Marilyn Monroe, Liz Taylor und Grace Kelly, natürlich auch Audrey Hepburn in ihrer fast überirdischen Zerbrechlichkeit. Das waren Gesichter, denen selbst die Kamera zu Füßen liegen schien, und wenn sie auftraten, war es, als würde die Leinwand vor Liebe Feuer fangen.