Burning (버닝, Südkorea 2018)
Die initiale Einstellung von Lee Chang-dongs Thriller Burning zeigt ein Scharnier der verschlossenen Tür eines Lieferwagens. Als die Kamera davon ein Stück zurückzuweichen beginnt, kommt Jongsu ins Bild, ein auf den ersten Blick recht unscheinbaren jungen Mann, der seine Zigarette wegwirft und die Tür des Lieferwagens öffnet – und so kommen die Dinge in Gang, die uns in eine Dreiecksgeschichte voller Rätsel, Unsicherheiten und bewusster Leerstellen und Jongsu in Situationen führen, die er für sich selbst und sein Leben wohl nie und nimmer für möglich gehalten hätte. Um das Öffnen verschlossener Türen geht es in diesem Film, was sich auf zwischenmenschliche Komponenten bezieht und auf solche, die das eigene Ich betrifft, besonders aber auch auf die eingeschränkte Durchlässigkeit zwischen sozialen Ebenen; und dann, sobald zumindest ein Spalt offensteht, um das Spähen in innere und äußere Schattenwelten, in das Verborgene in den Lebensrealitäten der Charaktere.
Der Schauspieler Yoo Ah-in verkörpert Jongsus Ambivalenz auf brillante Weise, seine Entwicklung vom recht unbedarften Jedermann, einem Nobody am unteren Rand der Mittelklasse, zum Rächer einer jungen Frau, die für ihn immer das Gegenteil eines offenen Buches geblieben ist. Er läuft dieser ehemaligen Klassenkameradin namens Haemi (Jeon Jong-seo) ganz kurz nach der Einstiegsszene über den Weg, und obwohl sie ihn nicht zu erkennen scheint, kommt es zu einem gemeinsamen Essen und zum Besuch ihrer kleinen Wohnung. Dort stellt sich Jongsu beim Sex ziemlich unbeholfen an; Haemi übernimmt die Initiative und muss ihm sogar beim Anlegen des Kondoms helfen, und was darauf folgt, ist auch nicht sehr berauschend – eine krasse Diskrepanz zu seinem späteren zielgerichteten Verhalten.
Gegensätze wie diese sind es, die die Struktur dieser Filmerzählung bestimmen. Das Leben in einer landwirtschaftlich dominierten Grenzregion etwa, wo Jongsu in einem kleinen und ziemlich heruntergekommenen Bauernhof lebt, und in Seoul, wo sich die Luxuswohnung von Ben (dargestellt von Walking Dead-Star Steven Yeun) befindet, eines geheimnisvollen Mannes, der von sich behauptet, nie zu weinen und in einer späteren Szene zugibt, sich fast damit brüstet, Gewächshäuser niederzubrennen; ein nächstes Ziel in Jongsus Umgebung, so Ben, habe er bereits im Auge. Sie sitzen vor Jongsus Haus und rauchen Marihuana, kurz zuvor hat sich Haemi ausgezogen und nackt vor der untergehenden Sonne getanzt – eine der zahlreichen wunderbar komponierten und in ihrer bewussten Einfachheit sehr poetischen Einstellungen von Kameramann Hong Kyung-pyo.
Die Kennzahlen einer Dreiecksgeschichte: Laut eigenen Worten hat Haemi Ben während einer Reise nach Afrika kennengelernt. Dass Jongsu Haemis Katze, um die er sich während ihrer Abwesenheit kümmern sollte, nie zu Gesicht bekommen hat, erscheint ebenso unerklärlich wie Haemis Verschwinden einige Zeit darauf. Sie habe sich „in Rauch aufgelöst“, meint Ben lakonisch. Jongsu beginnt, ihn zu bespitzeln und findet schließlich Haemis Armband in Bens Badezimmer. Dieser besitzt auf einmal auch eine Katze, die auf den Namen von Haemis Haustier hört. Abgesehen davon gibt es nichts wirklich Konkretes zu entdecken und keine Beweise, für Jongsu verdichten sich jedoch die Hinweise zu einem Gesamtbild, in dem Ben gar kein anderer als ein Täter sein kann. Und jetzt kommt es zu dieser von ungeheurer innerer Ruhe getragenen Szene in nicht mehr als zwei langen Einstellungen, die einen Mord als notwendigen Akt der Reinigung darstellt.
Abermals der Gegensatz zwischen Jongus altem Pickup und Bens schnittigem Porsche, der sich durch den ganzen Film zieht. Auf einem freien Landstück zwischen Gewächshäusern ist ein Treffen vereinbart. Ohne lang zuzuwarten, sticht Jongsu sein Messer in Ben, als dieser auf seinen Pickup zukommt. Die Szenerie ist verhalten, es gibt kaum Farben und kaum Laute, die ganze Zeit spricht keiner der beiden Männer – nur entferntes Motorengeräusch in der Dämmerung. Es ist kalt, es liegt etwas Schnee, über allem ragen Hochspannungsleitungen auf, was an die finale Szene von David Finchers Sieben (1995) erinnert. Ben macht ungelenke Versuche, sich von Jongsu zu befreien, schwer verwundet wankt er auf den Porsche zu, doch Jongsu folgt ihm und zerrt ihn wieder heraus. Nun stehen die beiden einander gegenüber, Ben rücklings ans Auto gelehnt, denn allein könnte er sich wohl nicht mehr auf den Beinen halten. Jongsu sticht abermals zu, Ben und er sind in einem langen Blick verbunden, darin liegt Schmerz, liegt Trauer, vielleicht sogar ein Anflug von Erleichterung und dem Sehnen nach dem Tod. Wie in einer Umarmung sackt Ben dann auf Jongsu leblos zusammen. Dieser lässt sein Messer fallen, er hievt Ben ins Auto und macht sich daran, aus seinem eigenen einen kleinen Plastikkanister mit Benzin zu holen. Da krümmt er sich und kotzt auf den gefrorenen Boden, und immer noch hat es keinen Schnitt gegeben. Ein Lastwagen kommt angefahren und wir erkennen den typischen Kunstkniff aus Psycho, der uns zum Komplizen des Mörders macht und mit ihm hoffen lässt, nicht entdeckt zu werden. Jongsu wirft das Messer zu Bens Leiche in den Porsche und wendet dem vorbeifahrenden Wagen den Rücken zu – Aufatmen, als dieser nicht hält. Dann verteilt Jongsu das Benzin im und auf dem Auto, immer wieder zögert er kurz, aber im Grunde genommen ist es so, als würde hier alles seinen rechten und geradezu vorbestimmten Lauf nehmen. Jongsu zieht seine verschmutzte und blutverschmierte Kleidung aus und wirft sie in den Wagen und das brennende Feuerzeug dazu. Schon wendet er sich ab, er keucht und röchelt wie ein verwundetes Tier, als er nackt zum Pickup zurückgeht, und erst jetzt, als er im Wagen sitzt, gibt es einen Schnitt.
Nicht minder meisterhaft zeigt sich die Choreografie der letzten Einstellung des Films. Wir bleiben im Freien und können Jongsu nur durch die nasse und verschmierte Windschutzscheibe ausmachen, genauso wie Jongsu in früheren Momenten von außen durch das transparente, aber verschmutzte Plastik in den leeren, nutzlos gewordenen Raum eines unbenützten Gewächshauses starrte – die Welt im Inneren, die Welt im Äußeren, und beides scheinbar ohne Sinn und Zweck. Es hat leicht zu schneien begonnen, Jongsu erscheint in unserem Blick so verschwommen wie ihm selbst wohl sein Leben und das, was sich um seine Person, unter Umständen aber auch in seinem Kopf, abspielt. Er fährt los, erst jetzt bekommen wir eine Ahnung des Feuers, das sich warm und rot im Glas der Windschutzscheibe spiegelt; beim Vorbeifahren am brennenden Auto und dann durch die Heckscheibe des Pickups sehen wir die Flammen lodern. Jongsu hat keine Augen dafür, er verlässt den Ort seiner Tat, ohne zu wissen, was weiter geschehen wird – langsames Fade Out. Die musikalische Untermalung mit Gitarre und Trommel ist so minimalistisch wie die Bildgestaltung, so elegant und fast beiläufig und in solch bestechender Gelassenheit ist in einem Film noch nie ein Wagen ausgebrannt und dadurch eine Leiche beseitigt worden.
Regisseur Lee verglich in einem Interview die Lücken in seiner Geschichte, das fehlende Stück, ohne das man nie die Wahrheit kennen würde, mit der Welt unserer Zeit. Etwas laufe falsch, so Lee, aber es gelänge uns nicht zu ergründen, was genau es sei. In Südkorea litten die jungen Leute an der steigenden Jugendarbeitslosigkeit und wüssten nicht, gegen wen sie ihre Wut richten sollen. Gleichzeitig habe es den Anschein, als entwickle sich die Welt zu einem zunehmend hochentwickelten, komfortablen und perfekt funktionierenden Ort. Die Diskrepanz zwischen diesen Lebenswelten – die Welt als Rätsel ohne Code, es zu dechiffrieren, und darin der Zorn der Menschen. Im Film wird William Faulkner als Jongsus Lieblingsautor genannt. In seiner Kurzgeschichte „Brandstifter“ („Barns Burning“), einem Lehrstück über Wut, schreibt der Literaturnobelpreisträger über „das menschliche Herz im Konflikt mit sich selbst“. In diesem Sinne entwickelt Burning seine Metapher auf Ungerechtigkeit und Verbrechen und zieht uns in ihren geradezu hypnotischen Sog.