Schuld und Sühne

Cal (Irland 1984)

 

Am Ende von Bernard MacLavertys Roman Cal aus dem Jahr 1983 treffen wir auf den Protagonisten, der von Schuld geradezu zerfressen, darauf wartet, für sein Vergehen zur Rechenschaft gezogen zu werden: „The next morning, Christmas Eve, almost as if he expected it, the police arrived to arrest him and he stood in a dead man’s Y-fronts listening to the charge, grateful that at last someone was hoping to beat him to within an inch of his life.“

Als Mitglied einer Untergruppe der IRA war Cal als Fahrer an der Ermordung eines protestantischen Polizisten beteiligt und hat sich dann in dessen Witwe, die wesentlich ältere Marcella, verliebt. Die Bilder in Pat O’Connors berührender Verfilmung sind so karg wie die nordirische Landschaft, der berühmte Score von Mark Knopfler bildet dazu den atmosphärisch zarten Hintergrund. Das hagere Gesicht von John Lynch und sein ausgemergelter Körper und die noch junge Helen Mirren (Preis für die beste Darstellerin in Cannes) – ihr Zusammenspiel geht zu Herzen. Wenn sich die beiden in einer bitterkalten Nacht näherkommen, zwei einsame Menschen voller Sehnsucht, wirkt nicht einmal das Flackern des Kaminfeuers kitschig. Schüchterne Berührungen, dann Marcellas Frage: „Would you die for me?“ Voreinander stehend, ziehen sie sich aus, und Cal kann die Blicke nicht von Marcella nehmen. Gleichzeitig und während sie miteinander schlafen, spulen sich die Bilder von jener Nacht vor seinen Augen und damit auch vor unseren ab, in der er Schuld auf sich geladen hat: die Regenschlieren auf der Windschutzscheibe, die Dunkelheit, die Eingangstür zu dem Haus, in dem Marcella nun ohne ihren Mann lebt, die Schüsse, die Schreie, das Blut. Als Cal in Marcella kommt, stirbt in seiner Erinnerung ihr Mann.

„Dass Menschen in Schuld geraten, ist schlimm; aber sich schuldig zu fühlen und nicht an Vergebung glauben zu können – das ist die Hölle“, schreibt der Theologe, Psychoanalytiker und Schriftsteller Eugen Drewermann in seinen „Medidationen zu Tod und Auferstehung“ mit dem Titel Ich steige hinab in die Barke der Sonne (1988). Diese persönliche Hölle durchlebt Cal selbst in den Momenten der Nähe zu Marcella, selbst in den wenigen Augenblicken des Glücks, die ihm das Leben zu gewähren scheint. Die Mitverantwortung an dem Mord frisst sich durch seine Seele, sein Wunsch nach Buße resultiert in der Beichte vor Marcella. Dennoch bringt ihm seine – ich will es so nennen – Gier nach gerechter Strafe an den Rand des Wahsninns; Cal kann dem übergroßen Druck seines Empfindens von Schuld nicht länger standhalten. Indem er letztlich jedoch die Verantwortung für seine Tag auf sich nimmt, kommt er mit sich selbst ins Reine. Die echte Reue weist ihm den Weg zur Reinigung – ob die Zukunft so etwas wie eine Chance für die Liebe zwischen Cal und Marcella bereithält, wird sich weisen.