Die Brücken am Fluss (The Bridges of Madison County, USA 1995)
Erbamungslos (Unforgiven, USA 1992)
Gran Torino (USA 2008)
Ein nicht mehr junger Mann, Robert Kincaid, steht im Regen. Er sieht zu, wie die Frau, die er erst seit ein paar Tagen kennt, mit ihrem Ehemann davonfährt. Er hätte nicht gedacht, dass er sich noch einmal verlieben würde, und doch liebt er diese Frau. Er ist in diese ländliche Gegend in Iowa gekommen, um die überdachten Brücken zu fotografieren, dabei hat er Francesca, die unter ihrer glücklosen Ehe leidet, kennen gelernt. Als Francescas Ehemann für einige Tage weg muss, ist den beiden Liebenden eine kurze Zeitspanne gegönnt, in denen sie sich ihren Träumen so nah fühlen wie nie zuvor. Doch jetzt, am Schluss von Die Brücken am Fluss, sehen wir Roberts nacktes, nasses Gesicht und darin all die Verzweiflung und die Liebe, all die Erfahrungen und Emotionen, die ein Leben ausmachen. Die einmalige Meryl Streep verkörpert Francesca mit der ihr eigenen emotionalen Reife. Doch auch Clint Eastwood, der große, stille Charakterdarsteller, gewährt uns für einen kurzen Moment einen Blick in die Seele keiner Filmfigur, sondern eines Menschen.
Im Laufe der Zeit hat Clint Eastwood eine Reihe von wortkargen Einzelgängern wie Robert Kincaid dargestellt – und die Filme dazu meist auch gleich selbst inszeniert. Er entwickelt dabei seine Geschichten aus den alltäglichen Details, seine Meisterschaft ist das Verweilen im vermeintlich Nebensächlichen. In dieser großen Genauigkeit des Privaten entstehen Charaktere von ungewöhnlicher Tiefe, Figuren, die mit großer Ruhe, mit lakonischer Gelassenheit und spröder Würde auf die Wirren des Lebens und der Gewissheit von dessen Endlichkeit reagieren. Auf diese Weise ist es ihm auch gelungen, die doch eher banale Romanvorlage von Die Brücken am Fluss zu einem wohltuend erwachsenen Film zu machen, zu einer wunderschönen traurigen Ballade über die Liebe als das größte, das einmaligste Gefühl.
Ein solcher Protagonist ist auch William Munny in dem oscargekrönten Western Erbarmungslos. Früher war Munny einer der gefürchteten Revolverhelden, die am Mythos des Wilden Westens mitschrieben. Was ihn von der Gewalt abgebracht habe, sei die Liebe zu einer Frau gewesen, die er nun aber begraben musste. „My wife, she cured me of that“, erklärt er einem jungen Burschen: „Cured me of drinking and wickedness.” Jetzt ist Munny alt, er geht gebeugt und trifft nur noch mit Mühe. Er steht am Grab seiner Frau und ist voller Reue: Die Bilder all der Frauen und Kinder, die er auf dem Gewissen hat, lassen ihn nicht mehr ruhig schlafen. Der Bursch, dem sich Munny erklärt, macht ihn auf das Kopfgeld aufmerksam, das auf Cowboys ausgesetzt wurde, die eine Prostituierte verstümmelt haben. Zuerst will Munny von einer Rückkehr in den Sattel nichts wissen. Doch als auf seinem Hof die Schweinepest ausbricht und ihm und seinen beiden Kindern der finanzielle Ruin droht, schnallt er sich ein letztes Mal den Pistolengurt um – auch wenn seine Schießübungen nicht sofort von Erfolg gekrönt sind. Dass sein Pferd nicht mehr daran gewohnt sei, gesattelt zu werden, meint Munnys Sohn. Das Pferd scheut tatsächlich, als Munny versucht aufzusteigen, er fällt vor den Augen seiner Kinder in den Staub, was er trocken kommentiert: „Ain’t been in the saddle myself in a while.“ Eine stimmungsvolle und menschlich stimmige Ausgangssituation für den folgenden Feldzug gegen das Unrecht, das in eine Regennacht und ein Massaker mündet, in der, wie Norbert Grob und Bernd Kiefer treffend analysieren, „Gewalt keine regenerierende Kraft mehr ist, sondern nur noch zerstörerisch.“ So wird Erbarmungslos zur entmythologisierten Reflexion eines Filmgenres, das Clint Eastwood maßgeblich mitgeprägt hat.
Tatsächlich ist Munny, der Antiheld, eine konsequente Fortführung jenes Charakters, der den Schauspieler in den Sechzigerjahren berühmt machte: des „Mannes ohne Namen“ aus Sergio Leones Italo-Western Eine Handvoll Dollar (1964). Der schweigsame Pistollero mit dem Zigarillo im Mundwinkel, der nichts als seiner eigenen Moral verpflichtet ist, könnte tatsächlich ein Bildnis Munnys als junger Mann sein, ebenso wie der desillusionierte Cop Calahan (Dirty Harry, 1971) in den Straßen von San Francisco dieses Charakters in mittleren Jahren. In späteren Arbeiten entwickelte Eastwood differenziertere Charaktere. Als todkranker Musiker folgt Eastwood seinem Traum, in der Grand Ol’ Opry in Nashville aufzutreten (Honkytonk Man, 1982), als Sheriff kämpft er um das Leben eines entführten Buben (Perfect World, 1993).
Und als Walt Kowalski, ein verbitterter Veteran aus dem Koreakrieg, der eigentlich nichts mehr will als den Rest seines Lebens auszusitzen, stellt er sich gegen eine Gang, die die Nachbarschaft im wirtschaftskrisengebeutelten Detroit terrorisiert, und gleichzeitig gegen seine eigenen Vorurteile gegen asiatische Immigranten. Wenn er in Gran Torino erfährt, dass er nicht mehr lang zu leben hat, beschließt er, die Sache, derer er sich angenommen hat, auf seine ganz spezielle Weise zu Ende zu bringen. Er sorgt dafür, dass es genügend Zeugen gibt, um eine spätere Verhaftung der Täter sicherzustellen, und provoziert die Mitglieder der Gang vor ihrem Haus. Dann greift er in die Innentasche seiner Jacke und ist sich bewusst, dass sie denken, er hätte eine Waffe. Im Kugelhagel sinkt er zu Boden und liegt da wie ein Gekreuzigter, in der Hand das Feuerzeug aus der Tasche.
Eastwoods berührendste Darstellungen zeigen Menschen, die in ihrer ganz persönlichen Tragödie verfangen sind, die darob aber nicht verzweifeln. Sie sehen ihrem bitteren Ende entgegen und bleiben dabei ganz ruhig. Je brüchiger ihre physische Erscheinung ist, desto wichtiger sind für sie ihre Ideale geworden. In der Szene im strömenden Regen respektiert Robert Kincaid Francescas Entscheidung, ihre Familie nicht zu zerstören. Er kommt nicht näher, er wartet ab, und dann steigt er in seinen Pickup und fährt davon. Indem er der Frau, die er liebt, die Wahl lässt, ohne sie zu bedrängen, und indem er die Einsamkeit eines Lebens ohne sie akzeptiert, weil es ihre Entscheidung ist, ist er sich selbst treu geblieben.