Dressed to Kill (USA 1980)
Psycho (USA 1960)
Was im Medium von Computerspielen unter Gegenständen verstanden wird, die aufzuspüren dem Gamer aufgetragen wird, obwohl sie sich alsbald als völlig nutzlos erweisen, hat Alfred Hitchcock, der um die spannungssteigernde Wirkung solcher Finten nur allzu gut Bescheid wusste, als „MacGuffin“ bezeichnet. Erst mal in die Handlung eingebaut, spielen solche Gegenstände oder Personen in deren weiteren Verlauf zwar keine weitere Rolle, treiben diese jedoch zumindest in die gewünschte Richtung voran. In seinem berühmten Interview mit Francois Truffaut verwies Hitchcock dabei auf die Geschichte von zwei Männern während einer Zugfahrt. „One man says ‘What’s that package up there in the baggage rack?’, and the other answers ‘Oh, that’s a MacGuffin’.” Und auf die logische Frage, worum genau es sich dabei handeln würde: ‘It’s an apparatus for trapping lions in the Scottish Highlands’. Auf den Einwand, dass es dort aber keine Löwen gebe: ‘Well, then that’s no McGuffin!’. Und Hitchcocks Schlussfolgerung: „So you see, a MacGuffin is nothing at all.“
Hingegen erfüllt der sogenannte „red herring“ eine mitunter essentielle Funktion. Egal, welche Herleitung dieses Terminus nun zutrifft, ob auf jene der Kriminellen auf der Flucht, die im 17. Jahrhundert Heringe auslegten, um Spürhunde von der Fährte abzulenken, oder aber auch auf einen Artikel des Schriftstellers William Cobbett in einer Ausgabe der Wochenzeitung „Political Register“ von 1807, in dem die Metaphorik der stark riechenden Räucherfische für die Irreführung der Presse steht - heute und in Bezug auf Literatur und Film dreht sich, wenn vom durch das Pökeln und Räuchern rötlich gefärbten Hering gesprochen wird, alles um das lustvolle Spiel mit Täuschung, mit Hinweisen, die ins Nichts führen, und Spuren, die uns in die Irre leiten.
Diese falsche Fährte des „red herring“ führt den Zuschauer von der eigentlichen filmischen Handlung weg, ins Zerrspiegelkabinett des cinematoprafischen Lugs und Trugs, der, wird er denn von einem echten „Master of suspense“ gespielt, herrlich viel Vergnügen bereitet. Dass sich Marion Crane, die blonde Heldin in Psycho, mit gestohlenem Geld auf jene Flucht einer endlosen Autorfahrt durch dunkle Regennächte macht, ist der Trick, den uns Hitchcock spielt, letztlich aber ein Handlungsstrang ohne weitere Bedeutung – außer jener, dass diese Flucht die Blondine schließlich in ein abgelegenes Motel führt, wo in der legendären Duschszene auf effektvollste Weise dahingemetzelt wird. Janet Leigh, der Star des Films, ist nach vierzig Minuten nicht mehr am Leben – die allenthalbende Verwirrung muss 1960 beim Start des Films grenzenlos gewesen sein.
Der Schatten hinter dem Duschvorhang entpuppt sich später als Norman Bates, der Serienkiller mit dem Problem der gespaltenen Persönlichkeit, den niemand besser als der schlacksige Anthony Perkins hätte verkörpern können, und nicht als dessen dominante Mutter, wie man zuerst vermuten mag. Von den fünfundsiebzig Einstellungen dieser legendären fünfundvierzig Filmsekunden, für die Hitchcock eine ganze Drehwoche benötigte, wurde schon viel geschrieben, doch auch mehr als ein halbes Jahrhundert, nachdem sie das damalige Publikum völlig unvorbereitet trafen und in wahre Schockzustände versetzten, ist das ganz einfach immer noch verdammt effektives Kino: von den extremem Großaufnahmen auf den gedoubelten Körper der Hauptdarstellerin, die Hand mit dem Messer, das man in keinem Moment tatsächlich in das Opfer eindringen sieht, die Geräusche dieser Einstiche, die mit Hilfe einer Wassermelone verursacht wurden, den Duschkopf, aus dem das Wasser wie Nadeln schießt, den Abfluss mit der Schokosauce, die für Blut herhalten musste, weil dies in den wunderbar durchkompoinierten Schwarz-Weißbildern realistsicher wirkte, der nervenaufreibende Score von Bernard Herrmann, der die stakkatohafte Schnittfolge perfekt aufnimmt und längst zum Inbegriff von Thrillermusik geworden ist, die an den Mord anschließende Plansequenz des betont langsamen Schwenks von den starren Augen der Leiche aus der Dusche hinaus, durch das Schlafzimmer, vorbei an dem Nachttisch mit dem unterschlagenen Geld, aus dem Fenster und hinauf zu Bates' Wohnhaus.
Als höchst aufschlussreich erweist sich dabei die Interpretation des slowenischen Philosophen Slavoj Zizek, der in The Pervert’s Guide to Cinema (2006), seiner vergnüglichen Reise quer durch die Filmgeschichte, den dreigeschossigen Aufbau des düster-gotischen Psycho-Hauses und damit verbunden auch Norman Bates’ Persönlichkeit mit Freuds Theorie von Ich, Über-Ich und Es vergleicht. Das Erdgeschoß, auf dem sich Normans Alltagsleben abspielt, der Stock darüber, wo seine „Mutter“ lebt und von wo aus sie ihren Sohn mit Aufträgen, Regeln und so manchem sarkastischen Kommentar zu leiten versucht, schließlich der Keller, in dem Normans triebgesteuerte Ängste in Form der mumifizierten Leiche vor den Blicken der Außenwelt verborgen sind – erst Hitchcocks punktgenaue Verortung der kranken Psyche seines Killers öffnet uns den Blick in seine Innenwelt.
Psycho gilt als großes Vorbild der Vertreter des italienischen Giallo, eines Genres, das seinen besonderen Reiz aus der Überhöhung von Motiven des trashigen Kriminalfilms bezieht und in den 1970er-Jahren seinen Höhepunkt fand. Giallo ergeht sich in der detailverliebt-spektakulären, fast opernhaft opulenten Inszenierung von Morden, wobei der meist maskiert auftretende Serienkiller, die psychosexuelle Pathologie als Erklärungshintergrund und der Einsatz von fetischhaftem Zuwerk wie dunkler Sonnenbrille, Perücken und Leder gewichtige Rollen spielen. In diesem Sinne lässt sich Dressed to Kill des Hitchcock-Epigonen Brian De Palma wie die Hollywood-Hochglanzversion des Giallo lesen. Zwanzig Jahre nach Psycho nahm sich De Palma die hochstilisierte Machart des Mordes unter der Dusche zum Vorbild und versetzte sie in einen Aufzug – und jede Einstellung, jedes Bild wird ihm zur Huldigung seines Idols.
Der Vogelflug der Kamera ganz zu Beginn des Streifens, das voyeuristische Spähen durch ein Fenster, das Eindringen ins Persönliche eifert Hitchcock ebenso nach wie zwei Duschszenen, eine zu Anfang, die andere am Ende des Streifens. Bei der Premiere des Films sorgte die Szene von Angie Dickinsons Masturbation unter der Dusche für gehöriges Aufsehen und einen veritablen medialen Skandal. Das Katz-und-Maus-Spiel, mit dem sie als gelangweilte und sexuell frustrierte Ehefrau Kate und der Mann, mit dem sie kurz darauf den Nachmittag im Bett verbringen wird, einander in einem Museum umkreisen, dieses lange Hinauszögern von Entscheidungen und Aktionen, das die Spannung beträchtlich zu steigern weiß, dann schließlich der Mord im Aufzug, in dem der Star des Films unerwarteterweise nach fünfzig Handlungsminuten aus dem Leben scheidet – der Moment des Übergangs von einer tragenden Figur, Kate, zu einer anderen, der Edel-Prostituierten Liz (Nancy Allen), die sich als Zeugin des grausigen Geschehens alsbald in die Rolle der Tatverdächtigen gedrängt sieht.
Nachdem sie erfahren hat, dass der Mann, mit dem sie gerade geschlafen hat, an einer Geschlechtskrankheit leidet, entdeckt Kate im Aufzug, dass sie ihren Ring in dessen Wohnung vergessen hat. Was folgt, ist ein genial-böseses Treiben in beengtem Raum: das Öffnen und Schließen der Aufzugstüren, ein kleines Mädchen, das Kate geradewegs in die Seele zu blicken scheint, die Tränen in den Augen, die bald nichts mehr sehen werden, dann das blitzende Skalpell, das spritzende Blut, die tiefen Schnitte ins Fleisch, die, anders als bei Hitchcock, in Nahaufnahme erfolgen, die Reflexion der grausigen Geschehnisse in einem Spiegel, das Opfer, das schreit und um Gnade fleht, das sich zu schützen sucht und zu Boden sinkt, und letztlich eine Mörderin, die nicht ist, was sie zu sein scheint: De Palma versteht sein Geschäft aufs Trefflichste, und Michael Caine in einer Rolle, die Ähnlichkeiten mit der von Anthony Perkins nicht verleugnen kann, ist ihm dabei eine nicht zu unterschätzende Stütze.