"Zum Trutz sich erhalten ..."

Drive (USA 2011)

Tödliche Entscheidung (Before the Devil Knows You're Dead, USA 2007)

 

Es gibt Filme, da liegt einer Metapause gleich ein Muster aus Schicksalsfäden über den Charakteren und dem Handlungsverlauf, die Figuren verfangen sich darin wie Laborratten in einem Versuch zur Abgleichung von Murphys Gesetz, nach dem, was immer schiefgehen kann, früher oder später auch tatsächlich schiefgeht. In der Kettenreaktion von unerwünschten Aktionen, die mit Gewalt über diese Figuren hereinbrechen, liegt für sie die Entscheidung, sich entweder fallen zu lassen in das Unabänderliche oder das Aufbegehren dagegen zu wagen, so unwahrscheinlich ein Erfolg auch sein mag. „Allen Gewalten/zum Trutz sich erhalten/nimmer sich beugen/kräftig sich zeigen“ beschwören Goethes Worte die Idee, sich „bänglichem Schwanken“ und der Ergebenheit in einen fatalistischen Schicksalsgedanken entgegenzustellen, wenngleich, wie wir wissen, erst gerade in der Auflehnung gegen die Prophezeiungen des Orakels klassische Helden wie Oedipus ihr vorherbestimmtes Schicksal selbst realisieren.

Der namenlose Driver im Hollywooddebut des dänischen Regisseurs Nicholas Winding Refn ist eine solche Figur, Ryan Gosling dominiert dieses Neo-Noir-Meisterwerk als personifizierte Coolness, als wortkarger Einzelgänger, wie man ihn seit Steve McQueen in Bullit (1968) auf der Leinwand nicht mehr gesehen hat. Was Drive mit dem genannten Klassiker noch verbindet, ist die legendäre Autoverfolgungsjagd, die hier brillant choreografierte moderne Entsprechungen findet. Doch davon ist anfangs, bei ruhigen, fast entrückten Fahrten durch das nächtliche Los Angeles, nichts zu spüren. Bald finden wir heraus, dass die Hauptfigur nicht nur als Mechaniker und Stuntfahrer arbeitet, sondern sich auch als Fluchtfahrer bei Diebstählen und Raubüberfällen verdingt. Dies läuft auf eine wohlkalkulierte Weise und, selbst mit der Polizei auf den Fersen, in großer Entspanntheit ab, quasi als Antithese zur Hektik anderer Filme des Genres, und ist mit bewundernswerter Klarheit, mit schnörkelloser Eleganz und mit einer für moderne Actionfilme seltenen Übersichtlichkeit inszeniert.

Die Dinge entgleiten dem Protagonisten, als er beginnt, sich auf andere Menschen einzulassen, auf eine Beziehung mit der blonden Nachbarin Irene (Carey Mulligan) und ihrem kleinen Sohn Benicio. Was sich zwischen ihnen entspinnt, ist ein zuerst zögerliches, ganz zartes Zulassen von Nähe. Diese sieht sich gestört, als Irenes Ehemann Standard (Oscar Isaac) mit hohen Schulden aufgrund von Schutzgeldzahlungen aus der Haft entlassen wird. Der Driver willigt ein, Verantwortung für andere zu nehmen und Standard zur Beseitigung dieser finanziellen Probleme bei einem Überfall auf ein Pfandhaus, als Fluchtfahrer zur Seite zu stehen.

Damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Der zeitlupenverzögerte, zuweilen hypnotische Handlungsverlauf entlädt sich in Momenten extremer Gewalt, ob in einem Lift, wenn der Driver einen Hitman ausschaltet und ihm das Gesicht zu Brei schlägt, in einem Motelzimmer, als ihm Gangster das erbeutete Geld abzunehmen versuchen und er sie mit brutaler Präzision ausschaltet, oder im Klimax der Geschichte, wenn es auf eine Konfrontation mit dem Gangsterboss Nino hinausläuft. Die musikalische Untermalung stimmt als Kontrapunkt eine Hymne auf das Leben an, auf die Sonne, die die Natur umarme und jeden Tag einen Neuanfang wage, unterdessen nähert sich der Driver in seiner Stuntmaske den Gangstern, er verfolgt Ninos Wagen und drängt ihn von der Straße und eine Klippe hinunter und Nino selbst ins Wasser des Pazifiks, wo er ihn schließlich ertränkt. Sich selbst aber drängt er genau durch diesen Kampf mit dem Schicksal aus den Möglichkeiten, die ihm das Zusammensein mit Irene in Aussicht gestellt haben. Er telefoniert mit ihr und versichert ihr, dass die Zeit mit ihr und Benicio das Schönste in seinem Leben gewesen sei – für einen wie ihn sind das sehr viele Worte. Schließlich fährt er einsam in die Nacht, so allein wie zu Beginn des Films.

„In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne“, heißt es in Schillers Wallenstein (1799), davon können auch die Charaktere im letzten Film des bedeutenden Regisseurs Sidney Lumet (Die zwölf Geschworenen, 1957) erzählen. Dabei handelt es sich um ein lupenrein gespieltes, originell strukturiertes und kunstvoll verschachteltes Familiendrama mit dem unschönen, weil völlig austauschbaren deutschen Titel Tödliche Entscheidung. Before the Devil Knows You're Dead hört sich im englischen Original sehr poetisch an und ist einem irischen Trinkspruch entnommen, der vorangestellte Satzteil „And may you be in heaven half an hour ...“ gibt dem Ganzen Sinn. In der Spannungsspirale der Geschichte geht es um Schuld und Sühne, im Speziellen um den fehlgeschlagenen Raubüberfall von zwei Brüdern auf das Juweliergeschäft ihrer Eltern. Ethan Hawke als Hank hat Probleme mit den Unterhaltszahlungen an seine Exfrau und seine Tochter, Philip Seymour Hoffman als Andy die profanere Motivation von Drogensucht und der Unterschlagung von Geld in seiner Firma, er ist auch die treibende Kraft der Unternehmung, bei der die Mutter der beiden ums Leben kommt. Charles, der Vater in der wuchtigen Verkörperung durch Albert Finney, erscheint zuerst als völlig gebrochener Mann, doch dann, unbewusst ganz trotziger Goethe-Epigone, nimmt er Nachforschungen auf und bringt am Ende des Films den angeschossenen Andy im Krankenhaus sogar zu einem Geständnis.

Was folgt, ist eine Szene von größter Eindringlichkeit. „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ – es ist, als versetzten die Worte der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte (1791) Charles’ Denken und noch viel mehr seine Seele in extreme Unruhe: „Tod und Verzweiflung flammet um mich her.“ Nach außen hin jedoch gibt er sich gefasst. Dass alles in Ordnung sei, versichert der alte Mann seinem Sohn und streicht ihm beruhigend über die Stirn wie ein Vater seinem Kind, wenn es Angst vor bösen Träumen hat. Dann klebt er sich die Sensoren von Andys Herzmonitor an die eigene Brust und erstickt den Sohn mit einem Polster. Dies geschieht unter Auferbietung aller Kraft, die noch in seinem alten Körper steckt, mit hervorquellenden Augen und fast irrem Blick. Anschließend geht er durch den Korridor des Krankenhauses davon, wie auf das Licht einer Erlösung zu; und doch ist er allein, bleibt gefangen in dem Spinnennetz des Schicksals, das für ihn, ebenso wenig wie für den Driver, ein wie auch immer geartetes Entrinnen vorgesehen hat.