Du sollst mein Glücksstern sein (Singin' in the Rain, USA 1952)
Uhrwerk Orange (A Clockwork Orange, GB/USA 1971)
Diese Leichtigkeit und Eleganz auf der einen Seite, diese abgrundtiefe Bösartigkeit auf der anderen. Da ist jemand total verliebt, er tanzt auf der Gasse und kümmert sich keinen Deut darum, dass es in Strömen regnet. Er stapft durch Pfützen, lässt den Schirm rotieren und stellt sich unter den Wasserstrahl aus einer Regenrinne. Eine Art Schwebezustand des reinen Glücks ist das, ein Tanz in einer Welt, die abgehoben ist von der schnöden Wirklichkeit. Gene Kelly bewegt sich in der ihm so eigenen leichtfüßigen Weise durch eine Revue an eingängigen Musicalnummern rund um die Turbulenzen, die das Aufkommen des Tonfilms in Hollywood verursacht. Seine tänzerische Präzision wird gebrochen durch die liebevolle Ironie und den spielerischen Übermut der Inszenierung; was sich hier auf der Leinwand vor uns abspielt, ist getragen von unbändiger, lustvoller Freude am Tanz und am Leben an sich.
Um so etwas wie Lust geht es auch in Stanley Kubricks Uhrwerk Orange, doch hier ist alles ganz anders geartet. Es ist „the old in-out“, wie es Alex (Malcolm McDowell), der Anführer einer Jugendbande, in seinen sarkastischen Kommentaren aus dem Off bezeichnet. Aus purer Langeweile und der Lust an Zerstörung und Gewalt dringt Alex zusammen mit seinen Ganovenkumpeln in einer regnerischen Nacht unter dem Vorwand eines Unfalls in die Villa eines Schriftstellers ein. Er schneidet den Hosenanzug von dessen wehrloser Frau in aller Seelenruhe mit einer Schere auf, währenddessen singt er „I’m singin’ in the rain“ und schlägt ihren Mann im Takt des Liedes zum Krüppel. Er knebelt und vergewaltigt die entblößte Frau und grölt „I’m ready for love“, und dazu wippt die phallusartige Plastiknase seiner Augenmaske. Mit ihren schwarzen Melonen, den Schlagstöcken, ihren riesigen Penishülsen und den schweren Stiefeln wirken Alex und seine Kumpane wie gestapomäßig-verzerrte Chaplinkarrikaturen. Das Leid seiner Opfer scheint Alex nicht zu berühren, er setzt seine brutalen Akte mit der gleichen unbekümmerten Selbstverständlichkeit, mit der Gene Kelly durch den Regen tanzt. Es genügt, dass ein Polizist die Hände in die Hüften stützt und streng schaut, und schon sieht sich Kellys schelmischer Übermut gebremst. Eine solche Autorität würde Alex im Rausch der Gewalt wohl nicht einmal zur Kenntnis nehmen.
Später wird Kubrick Alex in einer psychiatrischen Anstalt einer Gehirnwäsche unterziehen, bei der er ohne Unterlass Bildern von jener abartigen Art ausgesetzt wird, die er bislang selbst produziert hat. Wiederholt wird Alex eine Lösung in die Augen getropft, die dabei durch Klammern aufgespreizt sind, er kann den Blick nicht abwenden von dem, was sich vor ihm auf der Leinwand abspielt. Auch diese Momente sind in die Filmgeschichte eingegangen, in ihrem Gegensatz zwischen der Brutalität des Gezeigten und der heiteren Musik erscheint uns die regenmusikalische Folterszene aber noch stärker.
Kubricks Inszenierung nimmt Anleihen beim klassischen Ballet und dem Ausdruckstanz, wie
auf einer Bühne bewegen sich die Figuren durch ihren perversen Reigen. Sie unterhalten sich in einer Kunstsprache mit eigenem Vokabular, ihre Mimik und die Gesten wirken auf uns outriert, die
ganze Szenerie atmet eine Art von Künstlichkeit, wie sie mit den klassischen Musicalverfilmungen Hollywoods vergleichbar ist, unter denen Singin’ in the
Rain zweifellos eine der gelungensten ist. Auch Kubricks Bilderfolgen vermitteln eine Art von traumhaft-fantastischer Qualität, doch befinden wir uns hier zweifellos in einem Albtraum. Gene
Kellys Verliebtheit trägt ihn direkt in den siebenten Himmel, Kubricks Orgie der Gewalt hingegen ist ein „highway to hell“.