Agent of Chaos

The Dark Knight (USA/GB 2008)

 

Mit Superhelden ist das ja so eine Sache: Ihre Unbesiegbarkeit macht sie zu den wohl langweiligsten Charakteren im Kinouniversum. Das war auch Christopher Nolan klar, als er sich 2005 mit Batman Begings an den Reboot des Mythos um den Ritter mit dem hautengen schwarzen Fledermauskostüm machte. Mehr Realismus war nun angesagt, und der psychologische Background des Helden wurde mit Rissen und dunklen Abgründen, mit Selbstzweifeln und durchaus auch unliebsamen Eigenschaften ausgestattet, die ihm im Gemüt brodeln. Mittlerweile ist die Gebrochenheit der zuvor doch so unbrechbaren Supermänner für sich schon fast wieder zum Klischee geraten. Trotzdem führt sie in The Dark Knight auch zu faszinierenden Konfrontationen wie dieser: Sie sitzen einander in einem Verhörraum gegenüber, Batman, der seine Verletztheit und Wut nur mühsam in Zaum halten kann, und seine clowneske Nemesis, der Joker, und gurrend, säuselnd und raunend stellt der Bösewicht fest, dass er nie und nimmer daran denken würde, Batman zu töten – was würde er denn ohne ihn anfangen? Und er fügt mit schrillem Lachen die Erklärung hinzu: „You complete me.“

In seinem Kampf gegen die Unholde Gotham Citys ist Batman an einen geraten, der ihm zum ersten Mal Paroli zu bieten vermag. Er ist kein muskelbepacktes Monster wie Bane in The Dark Knight Returns (2011), dem finalen und nicht ganz so makellos gelungenen Teil von Nolans Neuerfindung des Batman-Mythos, aber auch nicht dieser schrille Aufschneider Jack Nicholson in Tim Burtons Version von 1989. Hingegen kommt er in der brillanten Interpretation durch Heath Ledger als eher schmächtiger Typ mit fettig-zerstrubbelten Haaren und seltsam hüpfendem Gang daher. Die zerronnene weiße Schminke, die schwarz umrandeten Augen, das blutrote Narbengrinsen – Ledgers Joker ist ein Anarchist, wie er im Comicbuche steht, ein schmatzendes, lispelndes, züngelndes Reptil, vor dem sogar der Titelheld der Filme Angst haben muss, schlichtwegs die personifizierte Zerstörungswut. Dieser Joker könnte quasi als Antithese zu Hannah Arendts freilich in einem gänzlich anderen Umfeld formulierter „Banalität des Bösen“ dienen, denn banal und alltäglich ist gar nichts an diesem Charakter, er ist kein Schreibtischtäter mit seinen Schreckliches bewirkenden Unterschriften, sondern genießt es sichtlich, selbst ganz im Mittelpunkt seines Zerstörungswerks zu stehen. Konsequent und durch nichts und niemanden irritierbar, zieht er seinen Masterplan durch, mit einer Intensität, die allen, die mit ihm zu tun kriegen, das Fürchten lehren.

Besonders trifft dies auf jene Szene zu, in der der Joker das Gothham Central-Krankenhaus in die Luft sprengt. Er besucht Harvey Dent, den nach einem Attentat durch seine von Säure zerfressene linke Gesichtshälfte schrecklich entstellten Bezirksstaatsanwalt, drückt ihm einen Revolver in die Hand und hält sich den Lauf gegen die Stirn, alles nur sein perfides Spiel. In Schwesterntracht, weißen Gesundheitsschlapfen und dunklen Socken watschelt er dann durch die Gänge und löst mit Hilfe einer Fernbedienung eine Explosion nach der anderen aus. Und jetzt kommt der Griff in die Hitchcock’sche Manipulationskiste. Der Joker befindet sich bereits vor dem Gebäude, als das Gerät nicht zu funktionieren scheint, er drückt daran herum und ärgert sich sichtlich. Für diesen Moment sind wir auf einmal auf seiner Seite wie in Psycho (1960) auf der von Anthony Perkins, als das Auto mit der in der Dusche ermordeten Janet Leigh im Kofferraum für ein paar Sekunden im Sumpf stecken bleibt und sich der persönlichkeitsgespaltene Mörder nervös umzublicken beginnt. Wir können seine Irritation nachvollziehen, sie wird zu der unseren, und voller Erleichterung registrieren wir schließlich, dass das Auto doch noch vom Sumpf verschlungen wird. Ebenso ergeht es uns beim Joker vor dem Krankenhaus, als es mit dem explosiven Zerstörungswerk wieder losgeht. Dass er im ersten Moment sogar ein klein wenig zusammenzuckt, als es so richtig kracht, macht ihn uns sogar ein bisschen sympathisch.

Der Joker selbst gibt Hinweise auf sein Aussehen und seinen psychischen Zustand, den Hass auf seinen Vater etwa, der ihm die Verletzungen mit einem Messer zugefügt hätte, oder dass er sich selbst eine Rasierklinge in den Mund gesteckt hätte, um seiner Frau zu beweisen, dass ihn ihre Narben nicht stören würden. Doch nichts davon müssen wir glauben, auch hier ist alles Spiel. Ob er so aussehe, als ob er einen Plan hätte, fragt der Joker einmal rhetorisch. Manche Menschen würden einfach die Welt brennen sehen wollen. Nichts sei so lächerlich wie der Versuch der Kontrolle: „Introduce a little anarchy, you upset the established order, and everything becomes chaos. I am an agent of chaos.“

„Whatever doesn’t kill you, simply makes you … stranger“, formuliert Heath Ledger als Joker in einer anderen Szene sein Credo. Seine Sensibilität und Verhaltenheit in Rollen wie der von Ennis, dem schwulen Cowboy in Brokeback Mountain, auf der anderen Seite sein Hau-drauf-Spiel als Joker – welche Vielfalt an Rollen, welche Überraschungen hätte er in diesem Sinne wohl noch für uns bereitgehalten? Sein früher Tod im Jänner 2008, kurz nach dem Ende der Dreharbeiten zu The Dark Knight, lässt uns darüber im Ungewissen, er selbst wurde dadurch freilich, unterstrichen vom posthum verliehenen Oscar, zum Mythos in einer Reihe mit James Dean und River Phoenix. „Let me show you a magic trick“, tönt der Joker einmal. Heath Ledgers Darstellung war da an der Magie, die das Kino ausmacht, ganz nah dran.