E. T. - Der Außerirdische (E. T. - The Extra-Terrestrial, USA 1982)
Die Farbe Lila (The Color Purple, USA 1985)
Jurassic Park (USA 1993)
Poltergeist (USA 1982)
Das Reich der Sonne (Empire of the Sun, USA 1987)
Wenn es denn in einem Film einen Moment der reinsten Glückseligkeit gibt, dann wohl diesen in Steven Spielbergs E. T. Darin sehen wir den kleinen Elliott (Henry Thomas, neben Christian Bale vielleicht Spielbergs begabtester Kinderdarsteller) und seinen außerirdischen Freund auf dem Fahrrad. Die Handlung spielt zu Halloween, Elliotts Gesicht ist grau geschminkte, seine Augen sind rot umrandet, das kleine Alien ist unter einem weißen Laken mit Gucklöchern verborgen. Auf diese Weise ist es ihnen möglich, das Haus zu verlassen, ohne großes Aufsehen zu erregen. Die beiden befinden sich auf ihrer „phone home“-Mission – aus allerlei Spielzeug soll eine Art Funkapparat zur Kontaktaufnahme mit E. T.s Mutterschiff gebastelt werden. Der Außerirdische in einem Korb vorn am Fahrrad, geht es durch den Wald, bis Elliott feststellt, dass sie von nun an zu Fuß weitergehen müssten: „It’s too bumpy.“ Doch stattdessen, ganz und gar unerwartet, hebt das Rad vom Boden ab und fliegt vom Rand einer Klippe in den Himmel hinauf. Dazu setzt das musikalische Leitmotiv von John Williams ein, wie bei den meisten seiner Kompositionen wird es von diesem Moment an untrennbar mit diesen Charakteren und dem Film verbunden sein. Elliotts anfängliche Furcht verwandelt sich in reinste Freude, als sie ihre Bahn über den Wipfeln der Bäume und dann vorbei an der riesigen runden Scheibe des vollen Mondes ziehen. Ein Jauchzen kommt aus Elliotts Mund, so muss es für die Darling-Kinder sein, als ihnen Peter Pan das Fliegen beibringt.
Bei Elliotts und E. T.s Flugszene sind wir schon mittendrin in der dramatischen Handlung. Davor sind die Schilderung des Alltags von Elliotts Familie in einer typischen US-amerikanischen Vorstadtsiedlung und die liebenswert-komischen Szenen des Kennenlernens und der vorsichtigen Annäherung zwischen dem Buben und dem Außerirdischen gestanden. Ähnlich gelöst inszeniert Spielberg den Einstieg in seinen Film Die Farbe Lila. Zwei Mädchen, Celie und Nettie, spielen in einem Feld voll lila Mohnblumen. Sie laufen und springen umher, sie lachen und klatschen in die Hände. Eine unausgesprochene Gewissheit verbindet die beiden: Ihre Freundschaft wird ewig währen; und das warme Licht einer großen Sonne scheint ihr Bündnis zu segnen. Wie in fast allen seinen Arbeiten beschreibt Spielberg auch hier eine Idylle. Der Alltag in einer kleinen Küstenstadt in Der weiße Hai (1975), der Tanz der Verliebten in einer Pilotenkneipe in Always (1989), das grenzenlose Staunen über die wiedererstandenen Dinosaurier in Jurassic Park (1993): Spielbergs Grundton bei der Einführung seiner Hauptfiguren und der Schauplätze ist von einem Rhythmus der Ironie und der Leichtigkeit geprägt, der trotzdem große Genauigkeit in der Beobachtung der täglichen Abläufe, ihrer spezifischen Zeichencodes und Symbole zulässt.
Bald aber werden in Form von klug gesetzten Irritationen erste Risse sichtbar und die ursprünglich heiter-gelöste Atmosphäre erweist sich als allzu trügerisch. Es sind Vorzeichen des nahenden Unheils, wenn eigentlich vertraute Gegenstände aus der Umgebung der Charaktere und gewohnte Situationen in ihrem Lebensbereich ihre Dekodierbarkeit verlieren und geradezu dämonische Züge annehmen. Ein Fernlaster entpuppt sich als veritable Gefahr (Duell, 1971), ein Flugzeugmodell geht verloren (Das Reich der Sonne), ein Mann ahnt, dass es so nicht geht: nichts von all dem wissen zu wollen, was sich um ihn herum abspielt, und dabei ein aufrechter Mensch zu bleiben (Schindlers Liste, 1993).
Schon bricht die Katastrophe mit einer Gewalt über die Figuren herein, die sie eine Zeitlang orientierungslos herumtaumeln lässt. Feuersbrünste wüten durch die Wälder (Always), in den schwarzen Tiefen des Meeres lauert ein heimtückisches Ungeheuer (Der weiße Hai). Frauen und Männer finden sich in der stinkenden Enge eines Sklavenschiffes wieder (Amistad, 1997), Soldaten im Kugelhagel bei der Erstürmung der Normandie (Der Soldat James Ryan, 1998). Ein Neugeborenes wird seiner Mutter entrissen und in die eisige Kälte des Winters hinausgetragen (Die Farbe Lila), ein Junge im Menschengewühl von seinen Eltern getrennt (Das Reich der Sonne). Dabei gelingen Spielberg zuweilen Bilder von geradezu ikonografischer Dichte – nicht zuletzt beim Ausbruch eines T-Rex aus seinem Gehege in Jurassic Park.
Ein tropischer Sturm wütet über der Insel der geklonten Saurier, die Elektroautos, in denen der Großteil des tragenden Personals der Geschichte während einer Besichtigungstour unterwegs war, kommen direkt vor den hohen Zäunen, die eigentlich elektrisch geladen sein sollten, zum Stehen. Durch Sabotage eines Computertechnikers bieten sie aber keine echte Barriere mehr. Die Art und Weise, wie Spielberg den T-Rex ins Spiel bringt, ist einzigartig. Im vorderen der beiden Wagen befinden sich unter anderem die Enkelkinder des Park-Gründers Hammond, Lex (Ariana Richards) und Tim (Joseph Mazzello), im hinteren der Paläontologe Alan Grant (Sam Neill) und der Chaos-Forscher Ian Malcom (Jeff Goldblum). Tim trägt ein Nachtsichtgerät und starrt durch die regennassen Scheiben, da ist auf einmal ein Geräusch zu hören, das uns wie ein entfernter Donner oder Kanonenschuss erscheint. Der Bub stutzt und legt die Hand auf die Schulter der Schwester: „Did you feel that?“ Nochmals dieses Geräusch und dann der Blick auf zwei Plastikbecher, in denen beim nächsten Donner und dem kurz darauf folgenden übernächsten das Wasser vibriert. Etwas nähert sich den Wagen, soviel wird klar, und dieses Etwas muss sehr groß sein. Dieses Bild wird in einer späteren Szene nochmals aufgenommen, dann ist aber schon offensichtlich geworden, wobei es sich bei diesem Herankömmling handelt – wenn Malcolm, am Bein verwundet, auf dem hinteren Teil eines Jeeps liegt, vibriert auf dem Boden daneben das Regenwasser in einem gigantischen Fußabdruck, den der besagte R-Tex im Schlamm hinterlassen hat.
Zurück zu den Kindern am Gehege. Um das Raubtier anzulocken, wurde in einer frühen Szene eine Ziege auf eine Plattform hinter den Zäunen gehievt. Jetzt ist sie verschwunden. Lex macht große Augen: „Where is the goat?“ Just in diesem Augenblick fällt ein abgetrennter blutiger Ziegenschenkel auf das Glasdach über ihr. Und nun bekommen wir zum ersten Mal durch die Regenschlieren auf der Autoscheibe den Schädel des Giganten mit seinen riesigen Zähnen zu sehen, der gerade die Ziege verschluckt. Das macht einen Teil des Reizes von Spielbergs Filmen aus: Selbst in Szenen, die von beträchtlichen Emotionen getragen sind, sei es von großer Liebe oder ebensolchen Schrecken, geht er nie überhastet vor, er zelebriert diese Momente, in denen Film einfach Film ist und die Bilder, die einst das Laufen lernten, sich neu zu erfinden scheinen, er kostet sie aus wie vor ihm vielleicht nur David Lean (Lawrence von Arabien, 1962), der sich selbst einmal einen „picture chap“ nannte. Jedenfalls reißen die dicken Drähte des nicht mehr elektrisch geladenen Zauns und der Rex stakst über die Betonmauer des Geheges und nimmt die mittlerweile klassische und unzählige Male kopierte Pose ein: beugt den massigen Körper, reckt den Hals vor, reißt das Maul auf und gibt dieses elefantentrompetenhafte Brüllen von sich.
Wenn denn dann das Chaos in den Filmen endgültig losgebrochen ist, reißt Spielberg unter Aufbietung immer wieder verblüffender visueller Sensationen seinen handlungstragenden Figuren den Boden unter den Füßen weg; er stößt sie in einen Kampf mit den Elementen, in den archaischen Konflikt zwischen Gut und Böse. Dies geschieht stets in einer Bildsprache von höchster emotionaler Dramatik, die Spielberg mitunter, etwa bei der Räumung des jüdischen Ghettos in Schindlers Liste, zu surrealer Bitterkeit gerät. „Warum?“, weint Nettie in Die Farbe Lila, als Celies brutaler Ehemann sie von der Freundin trennt und von der Farm verjagt. Seine Antwort ist die zum Schlag erhobene Faust. Die Gewalttätigkeit der Menschen und Umstände stellt Spielbergs Charaktere an einen Punkt, an dem sie sich entscheiden müssen: den kleinen Außerirdischen sterben zu lassen oder seine Entführung zu riskieren; die Gefahr, die von dem Riesenhai ausgeht, zu ignorieren oder das eigene Unbehagen vor dem Wasser zu bezwingen; die Augen vor Unrecht zu verschließen oder für die Freiheit der Sklaven einzutreten, die Befreiung der Kameraden zu wagen, die hinter der Front eingeschlossen sind, oder auch, eine Liste zu verfassen, die über tausend Menschen das Leben retten könnte. Kurz: einfach aufzugeben oder den Kampf gegen seine größten Ängste zu suchen.
Es kann auch schon mal ein grinsender Kasperl mit hoher Mütze sein, der diese tiefe Furcht manifestiert. Offiziell fungierte Tobe Hooper als Regisseur von Poltergeist, sein Blutgericht in Texas (1974) stellt ja auch tatsächlich allerhöchste Referenzen im Horrorgenre aus. Der maßgebliche Einfluss Steven Spielbergs, besonders in der Postproduction des Films, von der Hooper ausgeschlossen war, kann jedoch nicht verleugnet werden. Es ist Abend in dem Haus in einem Vorort von Los Angeles, der dem, in dem Elliotts Familie in E. T. wohnt, zum Verwechseln ähnelt. Seit einiger Zeit bereits haben sich hier seltsame Vorkommnisse abgespielt, in dieser Nacht werden sie zu blankem Terror kulminieren. Die kleine Carol-Anne (Heather O’Rourke) und ihr Bruder Robbie (Oliver Robins) gehen zu Bett, da schwant, als das Licht abgedreht wird, dem Buben gleich Böses. Sein Blick fällt auf den Clown auf dem Stuhl am Fußende des Bettes. Dieser wirkt gar nicht mehr wie ein harmloses Spielzeug. Robbie versucht, seine Jacke über die Figur zu werfen, trifft aber daneben. Das Schellen der Glöckchen an der Mütze, das Schlenkern der Hand mit den langen Fingern – Robbie gibt sich Mühe, diese Anzeichen drohenden Unheils zu ignorieren. Eine lange Stille, die schlafende Carol-Anne, die Mutter (Jobeth Williams) in der Badewanne, Momente der bewussten Verzögerung, die die Spannung, die Erwartung des Schlimmen, das da noch kommen mag, grandios zu steigern wissen.
Wieviel Zeit vergangen ist, wissen wir nicht, als Robbie plötzlich die Augen öffnet und sich im Bett aufsetzt. Der Stuhl, auf dem eben noch der Kasperl gesessen ist, ist leer. Mit Entsetzen in den Augen schaut Robbie unter sein Bett, zuerst auf der einen Seite, dann auf der anderen: nichts zu sehen. Er richtet sich wieder auf, da ist der Clown hinter ihm und umschlingt Robbies Hals mit seinen dünnen Armen. Er zieht ihn unters Bett, dort entbrennt ein Kampf auf Leben und Tod. Auch die Mutter wird attackiert und von einer unbekannten Kraft von ihrem Bett hochgezogen, die Wand hinauf und quer über die Zimmerdecke. Einstweilen schwingt die Tür zum Nebenraum des Kinderzimmers auf und jenes Licht dringt heraus, in das Carol-Anne später gezogen, von dem sie geradezu verschlungen wird.
Dieser Kampf, in den sich Spielbergs Figuren gestoßen sehen, wird sie zu anderen Menschen machen. In Das Reich der Sonne wird der elfjährige Jamie (Christian Bale am Beginn seiner großen Karriere) durch den Irrsinn des Zweiten Weltkrieges aus seiner privilegierten Kindheit im britischen Viertel von Shanghai gerissen. Von den Eltern getrennt, nennt er sich fortan Jim und muss lernen, auf sich allein gestellt zu überleben: „I can’t remember what my parents look like.“ Als die US-Bomber im Angriff über das japanische Gefangenenlager brausen, in dem auch Jim inhaftiert ist, jubelt der Bursch ihnen zu. Spielberg zeigt uns die Szene konsequent aus der emotionalen Perspektive des Kindes, dem der Krieg die Kindheit geraubt hat. Jim klettert auf einen Turm, er jubelt und steigert sich in eine fast hysterische Euphorie, er imaginiert sogar das Zeitlupenwinken eines Piloten – und bricht dann jäh zusammen. In einer späteren Szene gelangt Jim mit einem Flüchtlingstreck in ein Stadium, das vollgestopft mit Wertgegenständen ist, die nun keinen Wert mehr besitzen: Kristallluster, Möbel, Gemälde, ein weißer Flügel, sogar der frühere Wagen seines Vaters. Der zerlumpte und ausgezehrte Jim stolpert zwischen den prunkvollen Gegenständen wie durch sein früheres Leben, er hat auf gewaltsame, auf überstürzte Weise seine Unschuld verloren: „I learned a new word today. Atom bomb. It was like a white light in the sky. Like God taking a photograph. I saw it.“ Der Aufruhr von Jims Gefühlen kulminiert in vergeblichen Wiederbelebungsversuchen an einem japanischen Freund. Momente zuvor betrachtet er seine Hände im Gegenlicht, als könnte er damit Wunder vollbringen: „I can bring everyone back. Everyone.“ Beschwörend, immer lauter, bis er sie herausschreit, wiederholt Jim die Worte – und sieht sich dabei selbst unter seinen Händen am Boden liegen, das Kind in der roten Schuluniform, das er selbst einmal war.
Steven Spielbergs Filme sind sehr konkrete Versuchsanordnungen über die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Menschen und über die innere Stärke, die sie bei der Überwindung dieser Abhängigkeit gewinnen. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ihrer Träume sind diese Figuren gezwungen, sich ihre wahren Gefühle einzugestehen. Sie gehen den schmerzlichen Weg vom fremd- zum selbstbestimmten Wesen, von der Marionette der Umstände oder anderer Personen zum eigentlichen Individuum. Die Auseinandersetzungen, die sie dabei zu bestehen haben, stellen die Möglichkeit einer Reinigung dar, einer Katharsis, die den Weg zu echter Reife weist. Und am Ziel angelangt, sind sie nicht mehr auf der Flucht vor sich selbst, sind sie zur wahren Solidarität mit anderen Menschen fähig.
In diesem Sinne hat Steven Spielberg einige der schönsten Erlösungsfantasien der Filmgeschichte gedreht: berührende Augenblicke der Menschlichkeit, wundersam-mystische Visionen von Licht und Wärme, vom Fliegen als dem Sich-Erheben-Können über menschliche Unzulänglichkeiten, von tiefer Freundschaft und Liebe. Das Sich-Fallenlassen in diese reine Liebe, ins Licht, dieses Eins-Sein mit der Schöpfung zelebriert Spielberg in der ihm so eigenen Weise – und am Ende seiner Filme ist aus dem gewaltigen Kampf der Elemente ein neues, ein überirdisches Element hervorgegangen. Die Außerirdischen in Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977) treten aus dem gleißenden Licht ihres Raumschiffes und der erwachsene Peter Pan erinnert sich daran, welch „wunderbarer Gedanke“ es ist, Vater zu sein, er nimmt seine Kinder an der Hand und fliegt mit ihnen in den strahlend blauen Himmel (Hook, 1991). Die Mutter stößt in Poltergeist die Tore der Hölle auf und bringt ihr Kind in einer Art zweiter Geburt ins Leben zurück und Jim kann in den Armen seiner Mutter seit langem wieder friedvoll die Augen schließen. Oskar Schindler erhält vom Juden Stern die Absolution: „Wer das Leben eines Menschen rettet, der rettet die ganze Welt!“ Und in einem tränenreicher kaum vorstellbaren Abschied („Come.“ – „Stay.“) legt E. T. seine leuchtende Fingerkuppe an Elliotts Stirn und versichert ihm: „I’ll be right here.“ Dann fährt er in einem weißen Feuerstoß, der sich in einen Regenbogen verwandelt, zu den Sternen auf.
Wenn am Schluss von Die Farbe Lila Celie und Nellie, nun dargestellt von Whoopie Goldberg und Akosua Busia, als alte Frauen wieder zusammentreffen, wenn sie wie in ihrer Jugend einander in einem Feld gegenüberstehen und in die Hände klatschen, dann sind sie im Geiste wieder jung und all die Demütigungen und das Leid in den Jahren zuvor haben ihre Selbstachtung nicht gebrochen. Und über all dieser Weltverzauberung thront der riesige rote Sonnenball wie das Auge eines Gottes, der seine Schöpfung betrachtet und sie gutheißt.