Die Maske fällt

Gefährliche Liebschaften (Dangerous Liaisons, GB/USA 1988)

 

Eine Frau, die Marquise Isabelle de Merteuil, ist am Ende. Das, was ihr im Leben das Wichtigste war, ihre gesellschaftliche Stellung und ihre Repu­ta­tion als Dame der Aristokratie, der die Männer zu Füßen liegen, ist unwiederbringlich ver­loren. Sie wird im Theater ausgebuht und zur Geächteten durch die Gesell­schaft, deren Mittelpunkt sie einst war. Die Marquise hat ihr In­tri­genspiel zu weit getrieben. In einer Wette zwischen Liebe und Betrug hat sie dem galanten Vi­comte de Valmont (John Malkovich), ihrem ehemaligen Liebhaber, für die Ver­führung der verheirateten und gottesfürchtigen Madame de Tour­vel (Michelle Pfeiffer) nicht weni­ger als eine Liebesnacht verspro­chen. Doch Madame de Tourvel stirbt an gebrochenem Herzen und der Vicomte in einem Duell. Zuletzt sitzt die Marquise vor dem Spiegel und wischt sich die Schminke ab; was darunter hervorkommt, ist das Gesicht eines gebrochenen Menschen.

Es gibt zwei ähnliche Szenen, in denen sich jemand vor dem Spiegel abschminkt und dabei die Maske fallen lässt. Da ist Chaplins Calvero in Rampenlicht (Limelight, 1952), ein Varietékünstler, der erkennen muss, dass für ihn und seine Kunst die Zeit abgelaufen ist. Und da ist Hans Mosers Clown Pipo in Zirkuskinder (1958), der nach der Pleite seines Unternehmens vor dem Nichts steht. Die Bühne, auf der sich der Niedergang der Marquise in Gefährliche Liebschaften abspielt, sind kein Varieté und nicht die Manege, stattdessen die Spielgelfluchten der Schlösser und Heckenlabyrinthe in den Gartenanlagen des Rokokos. Das Scheitern der Marquise findet sich darin dennoch wie mit Scheinwerfern angestrahlt. Christopher Hampton adaptierte für Stephen Frears‘ Verfilmung des Briefromans Les liaisons dangereuses von Choderlos de Laclosist aus dem Jahr 1782 sein eigenes Bühnenstück und kreiert dabei eine Atmosphäre, wie sie aus den Arbeiten der amerikanischen Schriftstellerin Flan­nery O’Connor stammen könnte. Diese entwarf in ihren Er­zählungen das Konzept vom „Drachen, der am Weges­rand lau­ert“. Jeder, der in seinem Leben zu innerer Reife gelangen und zu Erkenntnissen über sich selbst und die moralischen Prin­­zipien in der Welt kommen wolle, müsse an diesem Drachen vorbei, und sei die Furcht noch so groß.

Die Mar­qui­se, die die leeren Rituale und hohlen höfi­schen Phrasen beherrscht wie sonst keine, führt dieser Weg aber bloß in den Untergang. Selbstver­lieb­ter Hoch­mut und die Lust an der Er­nie­drigung anderer, unterdrückte Eifer­sucht und der Wunsch nach Rache treiben sie an, dabei verbirgt sie ihre wahren Gefühle hinter einer Maske aus mani­pu­lativ-charmanten Um­gangs­for­men. Nun hat sie selbst das Duell mit jemandem gewagt, der ihr eben­­bür­tig ist und dem es gelungen ist, ihr diese Mas­ke vom Gesicht zu reißen. Was da­hinter zum Vorschein kommt, ist eine Frau jenseits ihrer besten Jahre, ist die Angst vor dem Al­ter, der Ein­sam­keit und dem Gefühl, die Liebe ver­spielt zu haben. Die Marquise, wie sie die wun­der­bare Glenn Close dar­stellt, hat keine Kraft mehr, ihrem Leben eine Wen­dung zum Besseren zu geben. Sie hat die Menschen zerstört, die sie ei­gentlich geliebt hat, nur um diese Liebe, die ihr als Schwä­che ausgelegt wer­den könnte, nicht zugeben zu müssen. You'll find the shame is like the pain, you only feel it once”, war einmal ihr Le­bens­motto. Nun schlagen Ent­täu­schung und Ernüch­te­rung über ihr zusammen wie eine gewaltige Welle am Rande eines Stru­dels; die Schande hat sie vernichtet.