Sisyphos als kleiner Mann

Hallo, Dienstmann (Österreich 1951)

Der zermürbende Klaviertransport (The Music Box, USA 1932)

 

Es ist eine an und für sich unproblematische Aufgabe, die Umstände sind eindeutig, es bedarf einer gewissen Meisterschaft im Verkomplizieren, daraus absurdes Theater werden zu lassen. Es gilt, die zahlreichen Gepäcksstücke einer Dame eine Treppe hinauf und in deren Wohnung zu bringen, darunter befindet sich eine Holzkiste. „Vorsicht Glas“ steht darauf geschrieben, was den zum Teil recht unbeholfenen Versuchen der beiden Dienstmänner, des richtigen (Hans Moser) und des falschen (Paul Hörbiger), die Sache anzupacken, eine unterschwellige Note des schwelenden Disasters gibt. Man würde glauben, die berühmten Zitate aus Hans Mosers Sketch „Der Dienstmann“ stammten aus dieser Szene: „Auf gebaut kommt’s net an“ und „Wie nehmen wir ihm denn?“ sind längst Sager der österreichischen Umgangssprache. Sie wurden nicht in den Film übernommen, wenngleich sich darin die legendäre, angeblich improvisierte Dialogpassage findet: „Geh sag, wo ist denn so ein schwerer Koffer besser zu tragen? Vorn oder hinten?“ – „Hinten natürlich, da ist er ja leichter.“ – „Dann nehmen wir ihn beide von hinten.“ 

Auch Stan Laurel und Oliver Hardy haben in vielen der herrlichen Situationen, in die es sie im Verlauf ihrer Filmhandlungen verschlägt, mit den Tücken des Objekts zu kämpfen: Sie scheitern an eigentlich lösbaren Aufgaben und retten sich in die Zerstörung physischen Inventars. In ihrem oscarprämierten Kurzfilm The Music Box befindet sich ein Piano in der großen Holzkiste, die sie in der Rolle von Lieferanten eine schier endlose Außentreppe hoch schleppen. Immer wieder sind sie fast am Ziel angelangt, da kommt ihnen Widriges wie ein Kindermädchen samt Wagen dazwischen oder ein Polizist als Bestrafungsorgan für aufmüpfiges Verhalten. Die Konsequenz ist stets die gleiche: Die Klavierkiste poltert die Treppe wieder hinunter, schleift dabei Ollie hinter sich her, überrollt ihn einmal sogar. Die Leiden des Sisyphos, hier im Gewand des kleinen Mannes.

Dazu kommt der Wille, nicht aufzugeben und aus dem eigenen Los, in das sie sich geworfen finden, das Beste zu machen. Als es endlich geschafft ist und die Kiste vor der Eingangstür steht, kommt ein Briefträger daher und erzählt von einer Straße und der einfachen Zufahrtsmöglichkeit bis direkt hinters Haus. Das ist der geniale Moment, in dem sich Laurel und Hardy einen dieser Blicke zuwerfen, die alles ausdrücken über die Hinterhalte des Lebens, die Absurdität ihrer Existenz und, wie es der dänische Philosoph Soeren Kierkegaard ausdrücken würde, die handlungsorientierte Reaktion auf die Unmittelbarkeit der sinnlichen Empfindung. Das eine zu tun oder ebenso gut das andere, sei dem Menschen freigestellt: „… that is to say: you cannot act and yet here is where I have to act.“ Zu Agieren heißt, all die  Unbill ohne Hilfe von außen, ganz allein mit eigenem Vermögen zu meistern – und, wenn es denn so sein soll, dieses verdammte Klavier die Stufen wieder hinunter zu tragen und auf den Wagen zu wuchten und die Straße zum Haus hinaufzufahren und die Kiste dort wieder auszuladen und dann auch noch, weil keiner auf das Klingeln reagiert, sie per Flaschenzug auf den Balkon zu hieven und von dort ins Wohnzimmer zu transportieren, wo dann der Hausherr dazukommt und in Wut gerät, weil er Pianos hasse und nie und nimmer eines bestellt habe, und er eine Axt nimmt und dem Objekt seiner extremen Verstimmung damit zu Leibe rückt.

Dem österreichischen Regisseur Franz Antel liegen in der flachen Inszenierung seines Lustspiels Hallo, Dienstmann solche Extreme fern. Trotzdem gibt es darin Momente höchsten Komödiantentums, dafür ist der brillante Hans Moser verantwortlich. Der Entwurf seines Dienstmanns ist in seiner Hintergründigkeit nicht so drastisch angelegt wie Helmut Qualtingers legendärer „Herr Karl“, dieser opportunistische Mitläufer und kaltherzig-skrupellose Profiteur im Schafspelz der Stimme des Volkes. Dennoch entspringt diese Figur derselben Grundidee, sie ist ein Charakter zwischen Besserwisserei und Raunzen und Granteln und Zwiderwurzigkeit auf der einen, Buckeln und Schleimen und Durchtauchen und Gefallen-Wollen auf Biegen und Brechen auf der anderen Seite. Da genügt in Mosers runzeligem Vogelgesicht oft ein Verziehen der kleinen schnabelartigen Nase über dem Seehundbärtchen, da genügt eine dieser winzigen abwiegelnden Gesten, um uns für einen Augenblick hinter die Fassade des angepassten Geistes schauen zu lassen. Und dann immer wieder das, was man heute als One-Liner bezeichnen würde. Nach getaner Arbeit, die Kiste ist sicher an der dicken Annie Rosar vorbei in der Wohnung abgeliefert worden, ist der Durst groß: „So eine Arbeit nimmt ja her.“ Und auf das Anbot eines Glases Wasser: „I trau mi net, weil i bin zu … erhitzt.“ Also ist es Wacholderschnaps, der die müden Dienstmänner stärkt, hat doch Moser zuvor schon bemerkt: „Der Körper braucht ja seine Karolin.“

Am Schluss des Films tanzen bei der Aufführung eines Singspiels die lieben Wiener Mädel in ihren weißen Kleidchen um die beiden betagten Herren herum. Hörbiger singt sein Lied, Moser nuschelt sich auf seine unnachahmliche Weise am Text entlang, Sisyphos ist eine Ruhepause vergönnt und alles ist so, wie es sich im biederen Nachkriegskino gehört. Selbst daraus sticht Hans Moser als einer der größten Komödianten überhaupt heraus, einer, der mit Jacques Tati, Louis de Funès und Peter Sellers, mit Buster Keaton, Laurel und Hardy und auch Charlie Chaplin in einem Atemzug genannt werden muss. Denn hinter all der Heurigen-Jovialität, die der Kritiker Bert Rebhandl so schön „Unterwerfungsschauder“ nennt, können wir bei ihm wie nur bei den bedeutendsten Darstellern immer wieder einen Blick in die Abgründe eines Menschen werfen, der darüber nur allzu gut Bescheid weiß, dass das Leben nichts ist als immer wiederkehrende Beschwernis, und der gelernt hat, über diese Erkenntnis nicht in totalem Trübsal zu verfallen, der über sie hinweglacht, wenngleich Tränen in seinen Augen glitzern.