Harte Kerle, weiches Herz

Hellboy - Die goldene Armee (Hellboy II: The Golden Army, USA/Deutschland 2008)

 

Vielleicht ist diese Szene auch deshalb so grandios, weil sie so ganz und gar unverhofft kommt. Freilich zieht sich durch Guillermo del Toros Hellboy-Filme ein (selbst)ironischer Unterton, der immer wieder zwischen die visuellen Sensationen seiner etwas anderen Superheldensaga leise, liebenswerte, witzige, einfach die Klischees brechende Momente setzt. Das originelle Design im Steam Punk, die zuweilen verschrobenen Einfälle und skurrilen Details, die märchenhafte Atmosphäre, die eingestreuten kleinen bösen Horrorelemente, die fantasievolle Zeichnung der Charaktere ausgehend von dem rothäutigen Muskelrecken mit den gestutzten Hörnern – diese ungewöhnliche Mischung macht den Reiz von del Toros Fantasie aus. Doch Superhelden, die sich ihren Liebeskummer von der Seele singen, hätte man nicht einmal in diesem Umfeld erwartet.

Hellboy – Die goldene Armee dreht sich um eine Truppe aus riesenhaften mechanischen Kriegern, um Schwärme spinnenartiger „Zahnfeen“, um einen Trollmarkt unter der Brooklyn Bridge, einen Waldgott in Form eines ungeheuren baumartigen Wesens, das halb New York verwüstet, und schließlich um einen Todesengel, der eine Speerspitze aus Hellboys Brust entfernt, indem er Liz, der Freundin des Helden, nahelegt, ihm einen Grund zum Leben zu geben. Ron Perlman und Selma Blair geben dieses Paar, dass Liz schwanger ist und somit einen sehr guten Grund kennt, weiß Hellboy noch nicht, als ihn sein Liebeskummer aus der Bahn wirft. Sie brauche eine Auszeit nur für sich, hat ihm Liz nämlich mitgeteilt, während im Hintergrund auf einem Fernsehschirm Frankensteins Monster und seine Braut zu sehen waren. Diese Mitteilung hat unseren Helden sosehr verunsichert, dass er in einem Streit im Umkleideraum sogar den menschenähnlichen Schutzanzug von Johann Krauss zerstört hat, einem aus Ektoplasma bestehenden Geist, der seit einiger Zeit Mitglied von Hellboys fantastischem Team ist und allenthalben durch seine ständige Besserwisserei und seinen köstlich übertriebenen deutschen Lispelakzent nervt.

Da hört Hellboy, der sich intensiv dem liebesfrustigen Biertrinken zugewandt hat, aus der Ferne des unterirdischen Bunkerkomplexes, der ihm und seinen Mitstreitern als Rückzugsort dient, ganz leise ein Lied. Vor flackerndem Kaminfeuer widmet sich Abe Sapien (Doug Jones), der Fischmensch und Hellboys „best buddy", gerade seinem ganz persönlichen Herzschmerz. Er hat sich in die Tennyson rezitierende Prinzessin Nuala verliebt, die Zwillingsschwester des Oberbösewichts der Geschichte. Sie hat seine neuen Kontaktlinsen bemerkt, da ist Abe dahin geschmolzen: „I’m trying a new look.“ Die Fernbedienung der Musikanlage in der Hand, behauptet Abe, er würde Vivaldi hören, als Hellboy ins Zimmer poltert. Hinter seinem Rücken jedoch verbirgt er eine CD mit „Popular Love Songs“. Hellboy lässt nicht locker, und Abe gibt klein bei. Statt Vivaldi erklingt Barry Manilows „Can’t smile without you“, die Bierdosen zischen, und da sitzen sie auf den Stufen vor dem offenen Kamin, die beiden Superheldenfreunde mit ihren aufgewühlten Gefühlen. „I wish father were here“, bricht es aus Hellboy heraus.

Die freundschaftliche Harmonie lässt dann alle Dämme bersten. Abe beginnt als erster mitzusingen, alsbald kann sich auch Hellboy nicht länger zurückhalten und stimmt mit ein. Die gar nicht so harten Kerle verbergen ihre weichen Herzen nicht länger, die Emotionen wallen, und schon singen beide aus voller Kehle und ein bisschen falsch, ohne sich darum zu kümmern, dass sie auch die Agenten in den Gängen des Bunkers hören können. Gab es je einen entspannteren Moment in einem Superheldenfilm als diesen liebevoll-ironischen Bruch mit den Standards des Genres?