Hello, Dolly (USA 1969)
Yentl (USA 1983)
Natürlich ist Barbra Streisand keine wirklich herausragende Schauspielerin in dem Sinne des Verschmelzens mit unterschiedlichen Charakteren; sie verkörpert eigentlich immer eine Rolle, das ist sie selbst, die Diva aller Diven, in wechselnder Garderobe und passendem Dekor. Aber wen kümmert das bei solch umwerfenden Ergebnissen wie dem Titellied in Hello, Dolly!, der Verfilmung von Jerry Hermans Broadwaymusical, das 1964 seine Premiere erlebte. Als verwitwete Heiratsvermittlerin hat sie in und um New York bereits ganze Paraden, Parks, Avenuen und Vorstädte samt Bahnhof und fahrenden Zügen in wunderbar einstudierte und buntestes Technicolor getauchte Massenekstasen versetzt, als sie dann ganz oben auf der Treppe des Harmonia Gardens steht, bis zum Tode ihres Mannes ihr Lieblingsrestaurant. Ihr Erscheinen hat sich schon angekündigt und die Bediensteten in hellste Aufregung und nicht minderes Verzücken versetzt, nun herrscht Totenstille und alle Augen sind auf dieses fast überirdische Wesen im golden schillernden Kleid und den Federn im rötlichen Haar gerichtet. Dolly setzt den ersten Schritt, da setzt die Musik ein, und wir werden Zeugen eines Eroberungsfeldzuges, der mit Augenaufschlag und Charme und kleinen Schmeicheleien schon gewonnen ist, bevor der Chor der rotlivrierten Kellner und weißbeschürzten Köche auch nur zu singen und tanzen begonnen hat. Alles schmilzt dahin, wenn Dolly im Wintergarten vor Brunnen und Palmen lobt, wie fesch die Herren denn seien, und mit ihnen beschwingte Steps setzt, die man fast als Schweben bezeichnen möchte. Acht grandiose Minuten dauert die Szene, die Choreografie unter Gene Kellys Regie ist ein einziges swingendes Fließen, das kaum durch Schnitte unterbrochen ist und dem man, anders als in vielen heutigen Tanzfilmen, deshalb tatsächlich noch folgen kann. Und wenn sich der Leiter des Orchesters dann auch noch als Louis Armstrong entpuppt, der in einem herrlich jazzigen Duett Dolly versichert, dass sie nirgendwohin gehöre als genau an diesen Platz, und sie ihm, dass sie auch nicht vorhabe, von hier noch einmal wegzugehen, sind wir natürlich absolut ihrer Meinung und überhaupt hin und weg.
Dass die Streisand auch bescheidener kann, dadurch aber nicht weniger beeindruckt, zeigt uns die Szene aus Yentl, in der sie Michel Legrands Lied „Papa, can you hear me?“ singt. Basierend auf einer Kurzgeschichte von Isaac Bashevis Singer, rekonstruiert der Film die Welt des Ostjudentums der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert. Unter ihrer eigenen Regie schneidet sich Streisand als jüdisches Mädchen nach dem Tod ihres geliebten Vaters die Haare ab und verkleidet sich als junger Mann, um an einer Religionsschule studieren zu können. In all der rollenspielverursachten Verwechslungsdramatik in Liebes- und anderen Dingen und den von allerlei Gesang durchzogenen Konfusionen gibt es diesen Gänsehautmoment der Stille. In der hereinbrechenden Dämmerung kniet Yentl auf einer Waldlichtung vor einem Baumstumpf, darauf entzündet sie eine Kerze, und in deren Licht beginnt sie ein Gebet, das sich bald von Gott zu ihrem Vater wendet, „who is also in heaven“: „May the light of this/Flickering candle/Illuminate the night the way/Your spirit illuminates my soul.“ Sie fleht um des Vaters Beistand, um seine Hilfe im Kampf gegen ihre Furcht und die Unsicherheit ob der Richtigkeit ihres Tuns. Dabei spielt der Wind mit der Kerzenflamme und bewegen die Emotionen in der Stimme unsere Herzen und umkreist die Kamera die Betende wie die Augen eines Liebenden und fängt die Tränen in den ihren ein, wenn sie ihrem Vater versichert, wie sehr sie ihn vermisse, „kissing me goodnight“. Und dann zieht sich die Kamera zurück und belässt Yentl in ihren Gedanken und in der Dunkelheit, die sie umgibt.
„On her stage she sings her story“, inszenieren Dana International in „Diva“, ihrem Song Contest-Siegertitel von 1998, die Titelfigur ihres Liedes, und weiter: „Pain and hurt will steal her heart alight/Like a queen in all her glory …“ Die Streisand erscheint mir als Verkörperung einer solchen Diva; und wenn sie in ihren Filmen auch ihre unterschiedlichen Seiten zeigen mag, ist sie doch eine, die stets nach dem bestimmten Artikel vor dem Nachnamen verlangt.