Die Ballade vom traurigen Trinker

Die Katze auf dem heißen Blechdach (Cat on a Hot Tin Roof, USA 1958)

 

Es geht um den „absent gay man“, wie ihn der Literaturwissenschaftler William Mark Poteet in einer Analyse der amerikanischen Südstaatenliteratur als Konstante im dramatischen Personal des Pulitzerpreisträgers Tennessee Williams nennt. Damit meint er abwesende, meist tote schwule Männer, die nicht als Personen auf der Bühne von Williams‘ Theaterstücken stehen, den Verlauf der Handlung und die Befindlichkeit und Entwicklung der Figuren jedoch entscheidend beeinflussen, ja steuern. Die Dreiecksbeziehungen zwischen den Charakteren, die in den weiten Landschaften ihrer zerrissenen Seelen nicht ein, noch aus wissen, sind um diese abwesenden Männer gewoben. So nimmt sich Allan in A Streetcar Named Desire (Endstation Sehnsucht, 1947) das Leben, nachdem seine Frau Blanche seine Homosexualität entdeckt, nimmt in der Rekonstruktion durch diese und ihrer Schwester Stella aber trotzdem teil am Verlauf des Stücks. In vergleichbarer Hinsicht erfahren wir vom brutalen Lynchmord an Sebastian in Suddenly, Last Summer (Plötzlich letzten Sommer, 1958) durch die Erinnerungen seiner Cousine Catherine und Mutter Violet. Und auch Skipper in Die Katze auf dem heißen Blechdach kann mit seinen tiefen Gefühlen für seinen Jugendfreund nicht umgehen und richtet sich in einer Verzweiflungstat selbst. Dennoch steht er weiterhin zwischen Brick und seiner Frau Maggie, die in der betörenden Darstellung durch Paul Newman und Elizabeth Taylor in der Hölle ihrer unglücklichen Ehe zu ertrinken drohen. Die Schriftstellerin Lorrie Moore hat den von ihr so bezeichneten „Trost der Masken“ wie folgt definiert: „Wenn man sich einen Raum außerhalb des eigenen Lebens schafft, für das Leben, das im eigenen Leben keinen Platz hat, für alles aus dem Gedächtnis Verbannte.“ Es scheint, als würden Williams‘ Figuren solche Masken tragen und dahinter Gewissheiten über Aspekte ihres Selbst zu verbergen versuchen, die zu akzeptieren sie einfach nicht über sich bringen.

Eingeengt durch die Zensur des sogenannten Hay’s Code, wagt Richard Brooks‘ Adaption des Dreiakters Die Katze auf dem heißen Blechdach nicht, das Eindeutige direkt auszusprechen. Ein heutiger Blickwinkel weiß die Andeutungen zwischen den Zeilen aber zu lesen. Maggie und Brick, in den Szenen ihrer Ehe beide unglücklich bis ins Mark, umkreisen die Figur von Skipper, der auch nach seiner Selbsttötung geradezu magnetische Anziehung auf sie ausübt. Messerscharfe Dialoge zerschneiden in dieser psychoanalytischen Achterbahnfahrt ihre ganz persönliche Hölle von Hoffnungslosigkeit und einer Existenz, die ihnen nur noch leer erscheint. Die doch eigentlich verführerische Maggie fühlt sich im Kampf um ihre Ehe wie die im Titel des Stücks angesprochene Katze: „What is the victory of a cat on a hot tin roof? Just staying on it. […] I guess, as long as she can.“

Alles dreht sich um eine bestimmte Nacht, in der Maggie, der die innige Beziehung ihres Mannes zu seinem Freund ein Dorn im Auge war, den Versuch unternimmt, Skipper zu verführen. „I was trying to win back my husband. It didn’t matter how. I would’ve done anything. Even that.“ Doch sie habe in Panik das Weite gesucht, bevor etwas passiert sei – ein Umstand, der ihrem Mann seinerseits aber nicht bewusst ist. Brick glaubt an den Ehebruch und fühlt sich von beiden, seiner Frau und dem Freund, hintergangen. „You hated him so much that you got him drunk and went to bed with him“, wird er Maggie in einer späteren Szene vorwerfen. Skipper lauert als unausgesprochene Heimsuchung zwischen den Eheleuten – der Fluch einer Enthüllung, die die Lebenslügen in dem kaum noch aufrechten Gebäude ihrer Ehe zum Einsturz bringen könnte. „Brick’s homosexuality must remain clouded in secrecy“, drückt es Poteet aus, „but it must still be expressed.“ Maggie sieht in Skipper durch seinen Freitod als Gewinner im Duell um Brick: „I didn’t get rid of him at all. Isn’t it an awful joke? I lost you anyway.“

Über die wahre Natur der Freundschaft zwischen Brick und Skipper, so ist es das ungeschriebene Gesetz sowohl von Theaterstück als auch der Verfilmung, muss Stillschweigen bewahrt werden, lauern darin doch gefährliche Untiefen des Uneingestandenen und Verleugneten. Die Angst vor Heimsuchungen aus diesem Bereich des von Sigmund Freud bis Stephen King immer wieder verhandelten „Es“ ist es, die offene Worte in der Ehe von Brick und seiner Frau abwürgen. Seine unerfüllten und unerfüllbaren Begierden haben Brick zum Alkoholiker gemacht. Die Krücken, auf denen er nach einem Unfall durch das große Plantagenhaus humpelt, in dem sich die Großfamilie aus Anlass des Geburtstags seines Vaters, des schwerkranken Big Daddy, eingefunden hat, können wir als Symbole für seine Verletzlichkeit und seine Angst vor der Realität sehen.

Es kommt zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen Brick und seinem Vater (Burt Ives), der seinerseits dem von seiner Frau Big Mama und dem Rest der Familie aufrecht erhaltenen Trugbild aufsitzt, seine Krankheit besiegt zu haben. Brick schreit dem Vater das Urteil des nahen Todes ins Gesicht, Big Daddy nennt seinen Sohn einen Trinker und spricht aus, was alle denken: Dass der Tod von Skipper ihn zum Alkohol getrieben habe. Damit trifft er den für Brick wundesten Punkt, seine unterdrücke Homosexualität. „What are you suggesting?“, fährt ihn Brick an. „Come on, say what’s on your mind. Say it!“ Als Steigerung der dramatischen Umstände zieht ein Unwetter auf und rüttelt an den Türen der Veranda, es spiegelt das Gewitter in Bricks Seele wider und scheint die längt überfällige Aussprache zwischen Vater und Sohn zu schüren. Noch stemmt sich Brick gegen das Offensichtliche und besteht darauf, dass Skipper und er nur Freunde gewesen wären – und doch geben seine Worte mehr an Wahrheit frei als beabsichtigt. „Skipper is the only thing that I’ve got left to believe in! And you are dragging it through the gutter.“ Der Vater würde in den Schmutz ziehen, was allein für ihn das Leben lebenswert gemacht habe. „I could depend on him. Anytime, anywhere, anyplace.“ Es ist das Eingeständnis einer Schuld, die Brick noch immer martert, als er schließlich von dem Telefongespräch in der Todesnacht beichtet: „Skipper was so scared. Scared hat I’d walk out on him. I need you. Help me, help me. Me help him? – How does one drowning man help another drowning man?“ Er habe den Hörer aufgelegt und Skipper abermalige Anrufe ignoriert: „And the sound of that was like Skipper screaming for help. I let him down.“

Die Verwüstung, die das Gewitter rund um das Haus anrichtet, spiegelt die Zerstörungen der Krankheit in Big Daddys Körper und Bricks Raserei im Keller, wo er in Wut und Verzweiflung all die über lange Jahr angehäuften Dinge zerschlägt: „Waste! Worthless! You can’t buy love.“ Aber die Auseinandersetzung erweist sich als reinigendes Gewitter. Am Ende reicht der Vater dem Sohn die Hand: „I’ve got the guts to die. What I want to know is, have you got the guts to live?“ Dass er das nicht wisse, meint Brick. „We can try“, schlägt der Vater vor. „Could start by helping each other up these stairs.“ Er streckt Brick die Hand hin und dieser stützt sich auf ihn, als sie gemeinsam die Treppe hinaufsteigen; nachdem die unangenehmen Wahrheiten zum ersten Mal ausgesprochen wurden, scheint ein erster Schritt in ein neues Leben zumindest möglich.