Der Mann mit der Peitsche

Jäger des verlorenen Schatzes (Raiders of the Lost Ark, USA 1981)

Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (Indiana Jones and the Last Crusade, USA 1989)

 

Es ist die vielleicht brillanteste Einführung eines Serienhelden in der Geschichte des Kinos, vergleichbar nur mit der Szene, in der sich dieser coole Gentleman im Smoking im Casino eine Zigarette anzündet und dann als Bond, James Bond vorstellt. Das Paramountlogo blendet gleich zu Beginn von Steven Spielbergs Jäger des verlorenen Schatzes auf Bergspitzen über, die aus dem südamerikanischen Dschungel ragen, und dann geht es auch schon los mit einer Abfolge von Aktionen, die, fallenden Dominosteinen gleich, eine die nächste nach sich ziehen.

Wir wähnen den Titelhelden mit der Lederjacke und dem Hut beim Entfalten einer Schatzkarte im Hinterhalt. Ein Bösewicht nähert sich ihm mit gezogenem Revolver, doch ein rascher Peitschenhieb bereinigt die Situation für den Professor im Abenteueroutfit, der erst jetzt mit dem Gesicht von Harrison Ford aus dem Schatten tritt. Doch schon tut sich der Eingang zu einer Höhle auf, einen düsteren Gang voller Fallen und Hinterhalte gilt es zu überwinden, Spinnweben und alles, was darin kreucht und fleucht, gespitzte Pfähle, die aus den Wänden schießen, tiefe Gruben und pfeilschussauslösende Bodenplatten. Dann steht Indie endlich vor der goldenen Statuette, dem Ziel seiner archäologischen Begierden. Damit, dass es erst jetzt so richtig losgeht mit den Falltüren und sich senkenden Steinplatten und einer riesigen Felskugel, die unseren Helden zu überrollen droht, hat Indiana Jones wahrscheinlich ohnehin insgeheim gerechnet, für uns jagt eine Überraschung die nächste, und es treten im Weiteren auf: ein französischer Archäologenrivale und eine Horde blasrohrblasender Indios, vor denen sich Indie nur in allerletzter Sekunde in ein startendes Wasserflugzeug retten kann. Dass er darin unter seinem Sitz eine Schlange findet, das Haustier des Piloten, entlockt ihm zum allerersten Mal jenen von Abscheu getragenen Fluch, der sich durch alle vier Teile der Reihe ziehen soll: „I hate snakes!“

Spielbergs herrlich unsinnige und nicht minder unterhaltsame Hommage an das klassische Abenetuerkino mit einem Helden, der von einer Cliffhanger-Situation geradewegs in die nächste stolpert, fällt, hechtet oder sich wie auch immer sonst flüchtet, funktioniert ganz nach Coleridges These über die Natur der dramatischen Illusion, der „willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit“, wonach sich das Publikum bereitwilligst auf das einlässt, was sich vor seinen Augen abspielt, ganz einfach, um dafür unterhalten zu werden. Spielbergs Maschinerie der Sensationen kreiert genau das, was der englische Poet Coleridge vor zweihundert Jahren als „waking-dream experience of imaginative fiction“ bezeichnete, heute nennt man das Popcornkino as good as it gets.

Mit großer inszenatorischer Eleganz verbindet Spielberg sein filmisches Überwältigungszahnwerk voller wunderbar (selbst)ironischer Momente und verblüffender Actionsequenzen wie der genannten, das, zu Beginn jedes der vier Teile einmal losgetreten, ein Atemholen erst wieder mit dem Abspann zulässt. Ob es die Szene in Jäger des verlorenen Schatzes ist, in der der abenteuerlustige Professor ohne lang herumzufackeln einen fuchtelnden Schwertkämpfer mit einem einzigen Schuss ausschaltet, ob die unter dem Motto Anything goes! als Persiflage von Revuefilmen angelegte hektische Suche nach einem Diamanten inmitten verschütteter Eiswürfel am Beginn von Indiana Jones und der Tempel des Todes (1984) oder die wilde Lorenfahrt auf der Achterbahn eines unterirdischen Feuerhöhlensystems später im selben Film, ob der Held nicht weniger als die Explosion einer  Atombombe in einem Kühlschrank in Indiana Jones und das Königreich der Kristallschädel (2008) übersteht oder die verbalen Scharmützel mit „Papa Jones“ Sean Connery in Indiana Jones und der letzte Kreuzzug – das ist schlicht und einfach Entertainment at its best.

In der letztgenannten Szene sind Vater und Sohn Jones wieder einmal auf der Flucht vor den Nazis. Indiana Jones startet einen Befreiungsversuch seines Vaters aus einem Schloss namens Brunwald, in einer Szene sind sie dort Rücken an Rücken aneinander gefesselt und Elsa, die böse Nazischergin, mit der sie beide ein Verhältnis hatten, verabschiedet sich von Jones junior auf, wie sie das nennt, österreichische Weise, mit einem Kuss und der ins Ohr geflüsterten Erinnerung daran, wie schön die gemeinsame Zeit doch gewesen sei, was der Senior, der diese Worte an sich gerichtet glaubt, geschmeichelt mit „It was rather wonderful“ kommentiert. Dabei gibt es auch einen offenen Kamin, der als Drehtür zur Funkzentrale fungiert, und einen unabsichtlich verursachten Brand, allesamt höchst vergnügliche Filmmomente in der Tradition einer veritablen Screwball-Comedy, in der die lang aufgestauten Konflikte zwischen Vater und Sohn mit präzise gesetzten Pointen süffisant ausgekostet werden. Später sind die beiden drauf und dran, sich in einem Zeppellin aus Berlin davon zu machen, als Indiana Jones wieder auf Elsa zu sprechen kommt: „You’re old enough to be her grandfather.“ - „I’m as human as the next man“, verteidigt sich der Papa, darauf sein Sohn: „I was the next man.“ Und dann der Vorwurf, der Vater wäre nie für ihn da gewesen: Ob er sich daran erinnern könne, wann sie zum letzten Mal zusammen etwas getrunken hätten? „I had a milkshake.“ Der Vater: „What did we talk about?“ - “We didn’t talk. We never talked.” Und die schon legendäre Antwort: “You left just when you became interesting.”

Die kulinarische Mischung aus diesen komödiantischen Intermezzi und den brillant choreografierten Actionsequenzen drumherum ist es, die den Reiz dieser Feuerwerkspektakel namens Indiana Jones geriert und sie so bekömmlich macht. „Augen zu und durch - wer diesen Rat im Kino befolgt, versäumt nicht einmal viel“, stand im „Spiegel“ zur Premiere von Jäger des verlorenen Schatzes zu lesen. Ja, so weit kann man mit einer Rezension daneben liegen.