Der gar nicht diskrete Charme des ganz banalen Bösen

Inglorious Basterds (USA/Deutschland 2009)

 

Kein Wunder, dass Monsieur La Padite Schlimmes schwant, als sich der Militärwagen seinem Bauernhof nähert. Zwar kann der Monsieur im Gegensatz zu uns die unheilschwangere Musik jener Art nicht hören, die in Western meist Duelle mit blutigem Ausgang heraufbeschwört; doch im von den Nazis besetzten Frankreich des Jahres 1941 sowie im Wissen, unter den Bodendielen seines Hauses die jüdische Familie Dreyfus, Milchbauern aus der Nachbarschaft, versteckt zu halten, ist seine offensichtliche Nervosität durchaus nachvollziehbar.

Diese Beklommenheit zur veritablen Angst um Leib und Leben auszubauen – des eigenen und das seiner Töchter –, darauf zielt das perfide Spiel ab, das SS-Standartenführers Hans Landa, der dem Nazigefährt entsteigt, sogleich mit dem armen Bauern beginnt. Wie eine Spinne um ihr Opfer, so webt Landa sein Netz um den Monsieur. Es gibt kein offenes Drohen, es gibt keine Ausbrüche; mit ausgesuchter Höflichkeit und leutseligem Charme, mit Augenzwinkern und einladendem Lächeln preist Landa die Milch des Bauern, philosophiert alsdann über die Sinnhaftigkeit seines Spitznamens „The Jew Hunter“, um dann penibel Papier, Feder und Tinte zurechtzulegen, um einige, wie er meint, kleine bürokratische Fragen über den Verbleib der Familie Dreyfus zu klären.

Indes erkennen wir durch die Ritzen zwischen den Dielenbrettern unter dem Tisch, an dem Landa und der Bauer einander gegenübersitzen, die schreckgeweiteten Augen der Versteckten. Dass er die Bezeichnung als Judenjäger durchaus verdient habe, stellt Landa fest und benennt in diesem Sinne Juden als Ratten und Deutsche als Falken. Ein Sinnieren über die Art und Weise, wie sich Menschen von Ratten abgestoßen fühlen würden, während Landa genussvoll an seiner ziemlich großen Pfeife zieht und dem Bauern als Lohn für die Preisgabe des Verstecks der Familie Dreyfus die Immunität seiner eigenen in Aussicht stellt. Und all dies im weichen wienerischen Singsangenglisch, ein Märchenonkel, dem man beim bloßen Zuhören nichts Böses zutrauen würde, in dessen Augen jedoch immer wieder ein eiskalter Ausdruck aufblitzt, der den Bauern wie auch uns beim Zuschauen schaudern lässt.

Eines der primären Markenzeichen des amerikanischen Regiestars Quentin Tarantino sind diese extrem langen Dialogsequenzen, meist eher Monologe mit schockiertem Gegenüber als Stichwortgeber, die dann unvermittelt in einen Ausbruch extremer Gewalt kippen, wie er auch eines Italowestern oder südkoreanischen Gangsterfilms würdig wäre. John Travolta und Samuel L. Jackson gaben 1994 in Pulp Fiction diese Richtung vor, der österreichische Schauspieler Christoph Waltz folgt in Inglorious Basterds ihrem Vorbild und setzt in seiner brillanten und nicht zu Unrecht oscargekrönten Darstellung einen Höhepunkt an hinterfotziger Bösartigkeit, mit der es ihm gelingt, den Milchbauern schließlich zum Kollaborateur zu machen, der das Versteck der Familie Dreyfus verrät. 

Als „Banalität des Bösen“ charkterisierte die Philosophin Hannah Arendt in ihrem 1963 erschienenen Bericht über den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem die Rolle des Nazischergen. In ihrer kontroversiell rezipierten Theorie bezeichnete sie Eichmann entgegen üblicher Dämonisierung nicht als Ungeheuer, sondern als „normalen Menschen“, der, eingespannt in den nationalsozialistischen Vernichtungsapparat, eben auch zu „bösen“ Taten fähig gewesen sei. Tarantino übt sich in vielen seiner Narrative im historischen Revisionismus. Da befreien sich Sklaven selbst aus der Unterdrückung (Django Unchained, 2012), findet der Mord an der Schauspielerin Sharon Tate nicht statt (Once Upon a Time in Hollywood, 2019) und wird am Ende des kontrafaktischen Kriegsfilms Inglorious Basterds in einem Pariser Kino sogar an Joseph Goebbels und Hitler selbst Vergeltung geübt. Hans Landa hat sich in dieser Handlung völlig den Gegebenheiten seiner Lebensumstände verschrieben. Er lässt sich von Monsieur La Padite bestätigen, dass die Versteckten bislang nichts von ihrem in englischer Sprache geführten Gespräch verstanden hätten und sich in relativer Sicherheit wiegen würden. Alsdann wechselt er ins Französische, bedankt sich überschwänglich für die Gastfreundschaft des Milchbauern und gibt seinen Soldaten, die inzwischen den Raum betreten haben, stumme Zeichen, wohin sie zu feuern haben.

Was folgt, ist ein Gewitter der Salven aus den Maschinengewehren, ist das Aufspritzen der Holzsplitter aus dem Boden, sind das Entsetzen und das Blut der Menschen, die ihr Leben lassen müssen. Nur eine von ihnen, Shosanna (Mélanie Laurent), kann durch ein Kellerfenster entkommen, sie läuft über die Wiese davon und um ihr Leben. Landa steht in der Tür und hat die Pistole erhoben, er zielt auf die junge Frau, die Herzklopfdramatik erreicht ihren Höhepunkt – und als er die überraschenderweise leere Waffe abdrückt und der gefürchtete Schuss nicht fällt, Landas zynischer Kommentar, in liebevollstem Stimmfall: „Bumsti!“

Die Gefährlichkeit der Pythonschlange Kaa aus Disneys Klassiker Das Dschungelbuch (The Jungle Book, 1967), die ihre Opfer zu hypnotisieren versucht, um sie dann mit Haut und Haar zu verschlingen: In diesem Sinne wird Landa im Verlauf des Films seine aufgesetzte Liebenswürdigkeit des öfteren über sein Gegenüber ausgießen – sei es die unter einem anderen Namen lebenden Shosanna bei Strudel mit Obers, sei es über Dianne Krüger mit Gipsbein, der er wie der Prinz seinem Aschenbuttel einen Schuh anprobiert, um sich dann mit ausgestreckten Würgegriffhänden auf sie zu stürzen, sei es nicht zuletzt über Brad Pitt, mit dem er bei einer Flasche Rotwein sein Schicksal nach dem unausweichlichen Sieg der Alliierten verhandelt.

Die Aussicht auf Landas weiteres Leben in der erhofften Freiheit, jedoch mit dem Makel des von Pitt in seine Stirn geschnittenen Hakenkreuzes, stellt den vor Sarkasmus triefenden Kontrapunkt zu seiner bisherigen Art und Weise dar, die Dinge zu seinen Zwecken zu verbiegen. Nun wird ihm all sein Charme zur Täuschung der Umwelt nicht genügen.