Die Entrücktheit von der Schwere der Welt

La La Land (USA 2016)

Whiplash (USA 2014)

 

Wenn es um die Darstellung von Musik durch filmische Mittel geht, um die Entwicklung von Szenen aus einer musikalischen Exposition, ist Damien Chazelle, Drehbuchautor und jüngster jemals mit einem Regie-Oscar ausgezeichneter Regisseur, ein wahrer Meister. Eine erste und eine finale Szene aus zweien seiner Arbeiten mögen dafür furiose Zeugnisse ablegen. Im Musical La La Land ist es die brillante Plansequenz, die den Einstieg in die Liebesgeschichte um einen Jazzpianisten (Ryan Gosling) und eine angehende Schauspielerin (Emma Stone) bildet, die die brillante Kameraführung von Linus Sandgren als schwelgerische und immer wieder mit wilden Reißschwenks garnierte Umkreisung zelebriert. In Whiplash, einem wahren Musik-Psychothriller um das im Titel angesprochene „Schleudertrauma“ aus Zuckerbrot und der Peitsche in Form der sadistischen Strenge eines Lehrers (J. K. Simmons) gegenüber seinem talentierten Schüler (Miles Tenner), werden wir mitgerissen vom Glänzen und Glühen der Instrumente während eines Schlagzeugsolos am Rande der Maßlosigkeit und darüber hinaus.

Der Stadt Los Angeles stünde wieder einmal ein heißer Tag bevor, hören wir zu Beginn von La La Land. Der Blick der Kamera zeigt in den Himmel und dort direkt in die Sonne, bevor er auf einen enormen Stau auf einer mehrspurigen Autobahnbrücke hinunterfährt. Er gleitet an den offenen Fenstern der Fahrzeuge entlang, unterschiedliche Musikfetzen sind zu hören, unter die sich allmählich Klaviertöne der Einleitung des Songs „Another Day of Sun“ von Marius de Vries mischen. Nun befindet sich die Kamera zwischen zwei Reihen von Autos. Sie bewegt sich auf ein offenes Wagenfenster zu, in dem sich eine Schönheit gerade die Sonnenbrille ins lange schwarze Haar schiebt und zu singen beginnt – von ihrer Teenagerliebe, die sie mit siebzehn in Santa Fé zurückgelassen habe, weil sie einfach nicht anders konnte, als in die Welt des Technicolor aufzubrechen – wo sie eines Tages, so ihre Hoffnung, den Sprung auf die große Leinwand schaffen würde. Von einem großen Lebenstraum erzählt der Film, von „chasing all the lights that shine“, und derweil ist die Schöne längst aus ihrem Wagen gestiegen und hat sich in einem hübschen gelben Sommerkleid mit weißen Punkten schwingenden Schritts auf die Kamera zubewegt. Diese zieht sich im selben Tempo vor ihr zurück. Links und rechts befinden sich Autos, aus denen nun zwei coole Typen aussteigen. Sie übernehmen die eingangs angerissene Idee vom Weg zum Filmstar in ihren Gesangszeilen und tanzen zusammen mit anderen bereits zwischen den Wagen, aber auch auf Kühlerhauben und sogar Autodächern. Und der jazzige „walking bass“ hat uns längst den Rhythmus ins Herz und die mitwippenden Glieder gepflanzt.

Ein junger Mann beginnt im gleichen Sinn nun die zweite Strophe. Er habe an jede Tür geklopft und wenngleich vergebens: Sogar wenn er abgewiesen worden und kein Geld mehr vorhanden gewesen sei, der Traum, sein Gesicht auf der großen Leinwand zu sehen, sei lebendig. Die Kamera erhebt sich nun wie auf zauberhafte Weise und zeigt uns die gesamte Szenerie der vier Fahrspuren auf einer geschwungenen Brücke, die allesamt in Richtung LA führen, auf die Stadt offenbar aller Träume der hier versammelten tanzenden und singenden jungen und alten Menschen aller Hautfarben, also schön divers gecastet und alle in grelles Bunt gewandet, das unter der hellen Sonne auch so herrlich zum Leuchten kommt: „[…] reaching for the lights/and chasing all the lights that shine.“

Die Kamera steht nie still, sie ist ständig in Bewegung und senkt sich nun wieder nach unten, vom großen Ganzen zu den kleinen Details, den einzelnen Menschen, da hat jemand Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin mit dem Angriff auf die Stufen von Odessa studiert. Der coole Bursch von vorhin tanzt auf das Heck eines blauen Lieferwagens zu, dreht davor noch eine Pirouette, öffnet dann das Tor, und da drinnen spielt eine Combo, mit großen Trommeln, der Querflöte, die sich für einen Moment in den Vordergrund drängt, und dem die ganze Stimmung weiterhin antreibenden Bass. Ausgelassen hüpfen und tanzen alle davor, als der Blick jäh wieder zu der jungen Frau im gelben Sommerkleid schwenkt. Sie bringt kurz die Möglichkeit von Enttäuschung ins Spiel bringt, nur um sogleich wieder das Motto der jeden Tag aufs Neue keimenden Hoffnung zu zelebrieren: „Another day of sun.“

Jetzt sind alle außer Rand und Band. Skateboards, das Schwingen von Hulahoopreifen und eine Fahrradakrobatin kommen ins Spiel, die Autos sind offenbar nur dazu da, um darauf die tollsten Stunts inklusive Salti zu vollführen. Die Kamera ihrerseits greift diese Stimmung auf und fliegt ganz hoch hinauf, gibt uns abermals einen Überblick über die Szenerie, in der nun auf jedem Wagendach eine Tänzerin oder ein Tänzer stehen, die Arme zur Seite gestreckt – das Zelebrieren eines euphorischen Seelenzustandes der puren Lebensfreude, der selbstvergessenen Entrücktheit von der Schwere dieser Welt.

Doch dann muss sich auch dieser fast drogenartige Daseinsjubel der Wirklichkeit beugen. Das Singen und Tanzen gehen zu Ende, alle steigen in ihre Autos, erste Hupen mischen sich in den ausklingenden Song und der Stau ist wieder das, was er eben ist. Die Kamera sucht und findet Ryan Gosling in seinem Cabrio und die eigentliche Geschichte der Verneigung an die Musicals des sogenannten Goldenen Zeitalters des amerikanischen Kinos kann beginnen.

Schnitt zu einem anderen Film und darin ganz an das Ende der Handlung. Auch hier sucht sich ein Protagonist aus der Umklammerung des Irdischen zu lösen, in dem Fall des jungen Schlagzeugers Andrew ist jedoch nichts von Leichtigkeit zu spüren – sein wahnwitziges Trommeln ähnelt eher einem schweißtreibenden Kampf bis zur totalen Erschöpfung. Die Auseinandersetzung mit dem Lehrer Fletcher und den psychischen Qualen seiner berüchtigten Unterrichtsmethoden, die keine Grenzen zu kennen scheinen, spornt schließlich auch Andrew auf seinem Instrument dazu an, über die seinen zu gehen.

Fletcher hat einen Schüler zum Suizid getrieben, Andrew gegen den Lehrer ausgesagt. Trotzdem hat Fletcher Andrew dazu eingeladen, bei einem Konzert das Schlagzeug zu spielen. Diese Aufführung stellt die Klimax des Films dar und beginnt, zu Andrews Überraschung, mit einem ihm unbekannten Stück. Andrew kann keine Noten dazu finden, kennt nicht den Verlauf des Stücks, noch sein Ende, und bemüht sich, seinen Auftritt durch eine Improvisation zu retten; dass er sich dabei mancherlei Blößen gibt, nimmt Fletcher mit Genugtuung zur Kenntnis. In der betretenen Stille, die darauf folgt, tritt Fletcher zu ihm, die Schadenfreude ist ihm anzumerken: „Yeah, I guess maybe you don’t have it.“ Zum Publikum gewandt, bezeichnet er Andrews Leistung als „a bit of avant-garde“. Andrew sitzt vor dem blutorangenroten Vorhang und blickt auf das distanzierte Publikum, springt dann auf und stürzt von der Bühne. Sein Vater nimmt ihn in die Arme und Andrew reißt sich nochmals zusammen. Ein trotziges Aufbegehren, ein Jetzt-erst-recht: Er setzt sich wieder hinter die Drums, und als er anfängt, in Fletchers Moderation und seine Ansage des nächsten Stücks, „Caravan“, zu trommeln, wird klar, dass die folgende Szene auf ein Duell zwischen den beiden Männern hinauslaufen wird.

Eines nach dem anderen, holt Fletcher die einzelnen Instrumente der Gruppe zu sich und in die Melodie, den Bass, das Klavier, dann die Bläser; schließlich spielt die ganze Band zusammen und eigentlich ist es Andrew, der sie führt. Fletcher bleibt nichts übrig, als, im Takt nickend, danebenzustehen, er hat die Kontrolle über seine Musiker verloren. Kamera und Schnitt gehen völlig in der Musik und ihrem Rhythmus auf, die Instrumente sind, glänzend im Bühnenlicht, von oben zu sehen, im nächsten Moment streicht unser Blick an ihnen entlang, hier wird eine ganz eigene Form von Zärtlichkeit spürbar; gleich darauf gibt es wieder kurze Schnitte zu den einzelnen Tönen.

Fletcher grinst, ihm beginnt offensichtlich zu gefallen, was sich hier im wahrsten Sinne des Wortes abspielt. Shots zwischen Andrew und dem Lehrer führen zum Ende des eigentlichen Stücks – und zu einem Solo von Andrew, das es wahrlich in sich hat und nicht anders als manisch zu bezeichnen ist. „I’ll cue you!“, unterstützt Fletcher ihn, leitet ihn und treibt ihn gleichzeitig vorwärts. Eine entfesselte Kamera, Andrew in Ekstase. Auf einmal ist die Musik nicht mehr zu hören, Andrew befindet sich in einer Art Rauschen, in einer eigenen Welt, nicht mehr in diesem Konzertsaal und im Gefüge dieser Zeit. Schweiß läuft ihm über die Stirn und die Ohren, aufs Gesicht, seine Haare sind verklebt, die Finger wund, Blut tropft auf das Instrument, doch Andrew nimmt das alles gar nicht wahr, er ist nicht mehr von dieser Welt. Es bedarf der Unterstützung des Lehrers, der zu ihm tritt und ihn ganz allmählich und vorsichtig aus dem orgiastischen Trommelwirbel in die Realität zurück und in einen finalen Schlussakkord zusammen mit der Band holt.

Ganz am Schluss treffen sich in Großaufnahme ihre Blicke, Andrews triumphierendes Glück und Fletchers Lächeln, das diesmal ganz echt empfunden zu sein scheint - so etwas wie Einvernehmen zwischen den Kontrahenten; denn wie immer seine Methoden zu beurteilen sind, der Lehrer hat Andrews musikalisches Genie zum Leuchten gebracht.