Mensch und Monster

Der Pate (The Godfather, USA 1972)

 

Um ein Haar, so heißt es, hätte Marlon Brando die Rolle gar nicht gekriegt, die er zu der seines Lebens machen sollte. Zum einen galt er als äußerst schwierige Persönlichkeit, seine kreativen Auseinandersetzungen mit Regisseuren und Produzenten waren Legende. Zum anderen betrug der Altersunterschied zu seinen Filmsöhnen James Caan und Al Pacino nur sechzehn Jahre. In der Tat war Brando damals erst 47 und sollte in der Figur des Don Vito Corleone einen mindestens Fünfundsechzigjährigen verkörpern. Der Maskenbildner Dick Smith, der zuvor Dustin Hoffman in Arthur Penns Little Big Man (1970) zum 121-jährigen Greis geschminkt hatte, trug das Seine zum Gelingen des Vorhabens bei; in erster Linie jedoch ist es Brandons überragende Darstellung des Mafiabosses, die die Brüche und Widersprüche seines Charakters nachvollziehbar macht und damit der Figur Glaubwürdigkeit verleiht.

Nähern wir uns diesem Film, der zusammen mit seinen beiden Sequels eine fast neunstündige Trilogie in der ihm eigenen unnachahmlichen „Poesie der Angst“ (Pauline Keal) orchestriert, am besten von seinem Anfang aus. Wie der erste Satz eines Romans von Dickens oder Marquez stimmt dieser den Ton der Saga an und entwickelt davon ausgehend die folgenden Ereignisse von abgetrennten Pferdeköpfen und Mordanschlägen, von Verrat, Hinterhalt und blutigen Rachefeldzügen in barocker Opulenz und perfekt choreografiertem Rhythmus.

In seinem Bestseller The Godfather (1969), der Vorlage für die Filmadaption, charakterisiert der Autor Mario Puzo Don Corleone mit den Worten seines Sohnes Michael: „Du weißt doch, dass die Polarforscher sich überall auf dem Weg zum Nordpol Vorratslager anlegen? Nur für den Fall, dass sie sie eines Tages brauchen könnten. So ist es auch mit den Gefälligkeiten meines Vaters. Eines Tages steht er bei all diesen Leuten vor der Tür, und dann gnade Gott, wenn sie nicht spuren." Darauf bezieht sich Coppolas Einstiegssequenz. Draußen geht die Hochzeit seiner Tochter von statten, drinnen hält Don Corleone, einem Fürsten gleich, in seinem abgedunkelten Arbeitszimmer Audienz. Ganz langsam fährt die Kamera von den Lippen eines Bittstellers zurück, wir hören ihn von einem Vorfall berichten, bei dem seiner Tochter um ein Haar von zwei jungen Männern die Ehre geraubt worden sei. Jetzt würde sie im Krankenhaus liegen: „She couldn’t even weep because of the pain.“ Und die Schlussfolgerung: „For justice we must go to Don Corleone.“ Der Hinterkopf des Angesprochenen ist mittlerweile ins Bild gekommen, nun beugt sich der Bittsteller ganz nah zu Corleones Ohr und flüstert seinen Wunsch nach Rache: „I want them dead.“

Erst jetzt gibt es einen Schnitt, und wir haben Brando direkt vor uns. Im Smoking, mit einer roten Rose im Revers und einer Katze auf dem Schoß sitzt er hinter seinem Schreibtisch und wirkt indigniert: Weshalb er denn nicht gleich zu ihm gekommen sei, will er von seinem Gegenüber wissen, aus welchem Grund er dem amerikanischen Rechtssystem mehr Vertrauen geschenkt habe als ihm, dem Paten? Und es kommt, wie es kommen muss: Ein gebeugtes Haupt, ein Handkuss und das Wort, das die künftige Beziehung zwischen den beiden Männern besiegelt, in deren Namen eines Tages auch ein Gegendienst eingefordert werden wird: „Godfather.“

Das Mafiaepos von Shakespear’scher Wucht gilt als eines der künstlerisch herausragendsten Werke der Filmgeschichte, den damals noch jungen Francis Ford Coppola hob seine Arbeit in den Regie-Olymp des Neuen Hollywood. Und im Zentrum Marlon Brando, der uns trotz seines Mark Anton und des „Wilden“ auf seinem Motorrad, trotz seines Colonel Kurtz und des letzten Tangos in Paris zu allererst als nuschelnder Pate mit schiefem Gesicht, grauem Schnurrbärtchen und schweren Augenlidern in Erinnerung bleiben wird. Es ist allenthalben nachzulesen, dass sich Brando durch die eher hohe Stimme des realen Gangsters Frank Costello inspirieren ließ: Laut zu werden hat einer wie er nicht nötig. Fast nur eine Art Murmeln gibt er von sich, das vordergründig gesehen nichts Gefährliches an sich hat; dahinter jedoch lauert die latente Gewalttätigkeit, wenn die Ehre oder die der Familie gekränkt scheint und es um die Kontrolle von Einflussgebiet und Macht geht. Ein bürgerlicher Mann, ein liebevoller Großvater, dennoch auch einer, der ohne das geringste Erbarmen über Leben und Tod anderer Menschen gebietet: die furchteinflößende Grandezza eines Menschen, in dem ein Monster schlummert.