Die traurige Weise von Liebe und Tod

Mad Circus (Balada triste de trompeta, Spanien/Frankreich 2010)

 

Schon die Einstiegssequenz ist heftig: Republikanische Kämpfer bringen 1937 während einer Vorstellung Zirkusleute in ihre Gewalt und zwingen sie, auf ihrer Seite gegen die Soldaten des General Franco zu kämpfen. Ein wahres Gemetzel, ein surrealer Totentanz ist das, wenn auch der lustige Clown in seiner Schminke, mit der roten Nase und einem Tüllröckchen als Kostüm mit einer Machete bewaffnet seine Gegner abschlachtet. Viele Jahre darauf wird sein Sohn Javier wie in einer wahnwitzigen Parodie dieser Geschichte mit Maschinenpistolen ein Blutbad anrichten.

Álex de la Iglesias Filmdrama Balada triste de trompeta funktioniert als Metapher auf die Zeit des spanischen Faschismus und in der genialen Maßlosigkeit seiner Gestaltungsweise als überbordende Groteske zwischen Genie und Wahnsinn. Nicht nur die große Welt befindet sich am Abgrund, auch Javiers Leben ist in den Irrsinn gedriftet. Carlos Areces ist dieser traurige Clown, hinter dessen Schminke eine verwundete Seele brütet. In der stilisierten Welt des Zirkus, in der Javier als Weißclown arbeitet, tun sich Abgründe auf, die in einem wahren Alptraum münden. Sergio (Antonio de la Torre), Javiers nach außen hin lustiger Partner in der Manege, entpuppt sich als jähzorniger, brutaler Sadist, der seine Geliebte, die Trapezkünstlerin Natalia (Carolina Bang) schwer misshandelt. „Jetzt brauchst du dich nicht mehr zu fürchten“, versichert ihr Javier, nachdem er aus Liebe zu Natalia Sergios Gesicht mit einer Trompete zu Brei geschlagen hat. Die Prozession der Zirkusleute im strömenden Regen, der halbtote nackte Sergio auf dem Rücken eines Elefanten, all die traurigen Gestalten rundum – als handelte es sich um Bilder aus einem Film von Fellini. Während ein Tierarzt Sergios zerstörtes Gesicht zu einer grauenhaften Fratze zusammenklammert, flüchtet Javier in den Wald. Er versteckt sich in einer Erdhöhle; zitternd vor Kälte und verdreckt isst er das rohe Fleisch eines verendeten Tieres. Die Ballade von Liebe und Tod – Javiers Wandlung vom mitfühenden Menschen zu einer Art mitleidloser Mordmaschine nimmt hier ihren Anfang.

Später vollzieht Javier diese Transformation auch äußerlich. Eingesperrt in der Kapelle eines schlossartigen Anwesens, bleicht er sich sein Gesicht mit ätzendem Natron und verbrennt sich Wangen und Lippen mit einem Bügeleisen – die Perversion eines Clowns, der sich seine Maske nie wieder abschminken kann. Angetan mit einem Bischofsgewand samt Mütze und einem Arsenal an Feuerwaffen, zieht Javier als Todesengel durch die Straßen. Er spürt Natalia auf, doch diese entscheidet sich in einer direkten Konfrontation für Sergio. Der Showdown führt uns zum Valle de los Caídod, einem während der Franco-Diktatur errichteten 150 Meter hohen Monumet in Form eines Kreuzes. Javiers Vater ist bei der Arbeit daran zugrunde gegangen, und auch Natalia wird hier zu Tode kommen. „Ich will nicht, dass du Mitleid mit mir empfindest“, meint Javier zu Natalia, die er hierher entführt hat. „Hasse mich lieber!“ Und dann doch: ein Moment des Stillhaltens in der Spirale des Schicksals, ein zarter Tanz und ein Kuss in einer Höhle voller Totenschädel, wo in Käfigen Löwen und Tiger hausen und in einer Projektion ein trauriger Clown von unglücklicher Liebe singt.

Ein wahres Crescendo von Bildern einer entfesselten Kamera – im Kugelhagel der Verfolger geht es durch ein Labyrinth von Stollen und in einem Zitat von Hitchcocks Krimiklassiker Vertigo (1958) eine schwindelerregend enge Treppe im Inneren des Kreuzes hinauf. Immer höher geht es zu den windumtosten Armen des Kreuzes – eine weitere Anspielung auf Hitchock, diesmal auf den Film Der unsichtbare Dritte (North By Northwest, 1959), in dem Cary Grant und Eva Marie Saint die Präsidentenköpfe auf dem Mount Rushmore erklettern. Javier und Sergio sind längst in ein beinhartes Handgemenge verwickelt, die Kamera umkreist sie wie ein Wirbelsturm. Natalia hingegen versucht, mit Hilfe einer langen Stoffbahn zu flüchten. „Ich will nicht, dass du lustig bist – ich liebe dich!“, hat sie Javier noch zugerufen. Dann springt sie in die Tiefe und reißt Sergio mit sich. Ihr Sturz ist schier endlos, sie dreht sich wie ein Kreisel, die Stoffballen rollen sich auf. Und dann ein Ruck, der Natalia das Rückgrat bricht.

Als sie später weggetragen wird, bildet der rote Stoff für sie eine Schärpe wie aus Blut. Javier und Sergio werden festgenommen und sitzen einander in einem Transportwagen gegenüber – als wäre der Joker in der Hölle dazu verdammt, auf immer und ewig in sein Spiegelbild zu starren. Sergio beginnt wie irr zu lachen, Javier hingegen weint, er schluchzt, er schreit voller Pein. Sein Leben hat nichts mehr mit dem Slapstick eines Clowns zu tun; der völlige Absturz hat längst stattgefunden, der Wahnsinn hat sie alle in den Abgrund gezogen.