Pans Labyrinth (El laberinto del fauno, Spanien/Mexiko 2006)
Das leise Summen einer Melodie, das Gezirpe von Grillen, das Wehen des Windes, und dazu das Keuchen eines sterbenden Kindes. Ein Mädchen liegt auf kalten Steinen am Boden, die blutige Hand von sich gestreckt, mit einem Mal jedoch wechselt der Fluss des Blutes die Richtung, fängt an, ihr in die Nase zurückzurinnen. Eine magische Weltverzauberung: Aus dem Off erfahren wir von der Geschichte einer Prinzessin, und die Erinnerungen an all das Leid und das Schreckliche in der Vergangenheit des Mädchens werden ausgelöscht und machen einer erträumten Gegenwart Platz, in der sie die Heldin ist und ein ganzes Königreich zu retten vermag.
Traum und Wirklichkeit verschwimmen für Ofelia, die zwölfjährige Protagonistin in Giullermo del Toros todtrauriger Parabel, diesem tragischen, zum Teil gewalttätigen Märchen über die Schrecken des Faschismus und die heilende Kraft kindlicher Imagination. Es ist das Jahr 1944. Ofelia ist die Stieftochter von Hauptmann Vidal (Sergi López), dessen Auftrag ist, in den Bergen Nordspaniens Jagd auf Partisanen zu machen. Ihre Welt ist ganz anders als die grausame Wirklichkeit, die voll ist von den Brutalitäten ihres Stiefvaters, sie ist eine Art Zauberreich, in dem Feen leben und Ofelia einen versteinerten Faun aus einem langen Schlaf erweckt. Im Originaltitel wird an Stelle des griechischen Hirtengottes Pan die altitalienische Bezeichnung des Fauns verwendet – deutsche Filmtitel sind zuweilen ohnehin ein Mysterium für sich. Wie auch immer, das gehörnte Mischwesen berichtet ihr von der Prämisse der Wiedergeburt einer Prinzessin in Ofelias Gestalt. Die Prinzessin habe vor ewiger Zeit aus Neugier ihr unterirdisches Reich verlassen, sei menschlich geworden und habe dabei ihre wahre Identität vergessen. Noch immer warteten ihre Eltern, der König und die Königin, auf sie. Den Fluch, so erfährt Ofelia, könne sie brechen und der sterbenden magischen Welt zu neuem Leben verhelfen. Zu diesem Zweck gelte es laut dem Faun, drei Prüfungen zu bestehen – denn unter Umständen habe die Prinzessin durch den langen Aufenthalt in der Menschenwelt längst ihre Unsterblichkeit verloren.
Eine riesige Kröte aufzustöbern, die in einer Höhle unter den Wurzeln eines uralten Baumes lebt, sie zu töten und auf diese Weise einen Schlüssel zu organisieren, birgt weniger Gefahren in sich als die Sache mit einem blinden Ungeheuer, und hier befinden wir uns schon inmitten einer er brillantesten phantastischen Szenen der gesamten Filmgeschichte. Durch ein geheimes Tor, das aus ihren Kreidestrichen an der Wand ihres Zimmers entsteht, gelangt Ofelia in ein unterirdisches Reich, in dessen Zentrum an einem reich gedeckten Tisch ein Monster sitzt. Das Scheusal mit bleicher Haut, faltig-fahlem Körper und kahlem Schädel scheint zu schlafen, seine Augäpfel liegen auf einem Teller vor ihm. Für Ofelia gilt es, mit Hilfe des Schlüssels, den sie von der Kröte erbeutet hat, an einen goldenen Dolch zu gelangen, doch sie schlägt die Warnungen der kleinen fliegenden Feen, die sie begleiten, in den Wind und kostet von den herrlich reifen Trauben – was wiederum das Ungeheuer zum Leben erweckt. Mit den langen schwarzen Fingernägeln schlägt es auf einmal den Takt auf der Tischplatte, dann setzt es sich die Augäpfel in die Innenflächen seiner Hände. Ofelia ist ganz in den seltenen Genuss der Früchte versunken und sieht das Monster hinter ihrem Rücken nicht näherkommen. Dieses beisst den Feen den Kopf ab, es hält sich die Hände vors Gesicht und macht sich mit staksigen Schritten an die Verfolgung des Mädchens. Eine Sanduhr hat für Ofelia die Zeit angezeigt, während der die Tür zurück in ihr Zimmer geöffnet bleibt, diese rinnt nun ab, und der Durchgang schließt sich. In allerletzter Sekunde, das Monster greift schon nach ihren Füßen, schafft es das Mädchen, durch ein neues Tor, das sie in die Decke des Gewölbes zeichnet, zu entkommen.
In aller Opulenz der Ausstattung, der brillanten Masken und technischen Raffinesse schlägt del Toros Inszenierung nie über die Stränge, sie ist blutig und unheimlich und hält sich dennoch soweit zurück, dass es selbst in einer Schockszene wie dieser in erster Linie immer um ein kleines Mädchen (Ivana Baquero mit ihren großen dunklen Augen) in all seiner Unschuld und das geht, wovor sie die allergrößte Angst hat. In den finalen Momenten des Films kehren wir an den Anfang zurück. Ofelia ist das sterbende Mädchen vom Beginn, erschossen von ihrem Stiefvater. Sie haucht ihr Leben aus und träumt dabei die Geschichte mit sich selbst als der Prinzessin, die das Reich ihrer Eltern gerettet hat. Denn sie hat auch die dritte Prüfung bestanden, hat sich geweigert, mit dem Dolch aus der Kammer des Ungeheuers ihren neugeborenen Bruder zu ermorden, und dadurch ihre eigene Unschuld und damit auch die des Feenreiches bewahrt. Goldener Glanz legt sich auf sie, sie schreitet durch einen Thronsaal, der wie eine Kathedrale anmutet, und trifft nach so langer Zeit ihre Eltern wieder. Die kindliche Melodie, die die Partisanin Mercedes an Ofelias sterbendem Körper summt, wird für sie zur Musik, die die heimkehrende Prinzessin willkommen heißt. In der realen Welt lächelt Ofelia, bevor ihr Traum, der doch nichts war als der letzte winzige Rest von Leben in ihr, zu Ende geht.