Verhandlungssache

Pelle, der Eroberer (Pelle Erobreren, Dänemark/Schweden 1987)

 

„In faith, I do not love thee with mine eyes,/For they in thee a thousand errors note.“ Die Fehler am jeweils anderen, wie sie Shakespeare in seinem Sonett mit der Nummer 141 anspricht, bleiben zweifellos auch dem bitterarmen schwedischen Witwer Lasse Kalrlsson und der ebenfalls verwitweten Seemannsfrau Anna nicht verborgen. Doch die Umstände auf der dänischen Insel Bornholm an der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert sind so feindselig, die sklavenartigen Zustände auf dem Gut, auf dem sich Lasse als Landarbeiter verdingt, so entwürdigend und die Großgrundbesitzer in ihrem Verhalten dermaßen despotisch, dass ein Abwägen von Kosten und Nutzen die Vorstellung einer Verehelichung aus rein wirtschaftlichen Gründen als logische Folgerung erscheinen lässt.

Max von Sydow und Kristina Törnqvist geben Lasse und Anna, Pelle Hvenegaard ist Lasses achtjähriger Sohn, der Bille Augusts Auswandererdrama, ausgezeichnet mit der Goldenen Palme in Cannes und einem Oscar, seinen Titel gibt. Trotz all der stimmungsvollen Bilder und beachtlichen Schauwerte ist es eine kurze intime Szene, die im Gedächtnis bleibt: zwei Menschen, die keine Illusionen mehr vom Leben haben, verhandeln in ruhiger, sehr erwachsener Weise ihre gemeinsame Zukunft.

Den sosehr ersehnten sicheren Lebensabend vor Augen, macht sich Lasse eines Abends zur Brautwerbung auf. Im Sonntagsstaat kommt er zu Annas Hütte, schlacksig und unbeholfen steht er in der Tür, bis sie ihn hereinbittet. Er würde sich bei ihr nur bedanken wollen, dass sie sich um seinen Sohn Pelle kümmere, stammelt Lasse, da gießt ihm Anna, in Nachthemd und Haube, auch schon einen Schnaps ein und stellt einen Teller mit Essen vor ihm auf den Tisch: „That’s how you get to know something about a man.“ Sie setzt sich neben ihn, die beiden beäugen einander, eine Art Handelsgespräch läuft ab. Dass sie ihrem Mann eine gute Ehefrau gewesen sein müsse, mutmaßt Lasse, worauf Anna die Undankbarkeit des Angesprochenen betont. Und Lasse: Seine Frau hätte wohl nie so über ihn gesprochen. Es gäbe hier am Hof viel zu tun für einen Mann, stellt Anna Lasse in Aussicht, sie habe ein Stück Vieh, daraus könnten auch zwei werden. Worauf Lasse sich selbst einen „armen Teufel“ nennt, jedoch einen mit ordentlicher Kleidung und kräftigen Händen zum Zupacken. Anna: Und wohl keine Angst, sie zu benutzen. Als Lasse dann noch als einziges Zugeständnis Kaffee im Bett am Sonntagmorgen einfordert, besiegelt Anna den Handel: „Then I think I should have a kiss.“ Sie lädt ihn gleich darauf ein, doch über Nacht zu bleiben, und ruscht in ihrem Bett zur Seite.

Ganz einfach und unspektakulär gibt sich diese Szene, wohltuend zurückgenommen in der Inszenierung und reduziert auf das Wesentliche, auf das, was sich zwischen diesen beiden Menschen an vorsichtigem, jedoch von Anfang an recht deutlichem Abtasten der Möglichkeiten abspielt. Diese Berechnung stößt uns nicht sauer auf, denn sie zielt auf keine Täuschung ab: Zu offensichtlich gehen die beiden vor, zu offenherzig geben sie sich dem anderen gegenüber in ihrer Übereinstimmung, aus den armseligen Gegebenheiten das beste zu machen und dabei ihren Bedürfnissen so etwas wie Würde abzutrotzen. Es sind Momente von stiller Poesie, die daraus entstehen, bei flackerndem Kerzenschein, bei fragenden Blicken mit leiser Hoffnung in den Augen. Dass Annas tot geglaubter Ehemann schließlich zurückkehrt, soll Lasses Wunschtraum nach ein bisschen persönlichem Glück bald darauf zunichte machen. Pelle wird in Richtung Amerika aufbrechen, in eine ungewisse Zukunft, die jedoch nur besser sein kann als die Zustände auf dem Gutshof. Lasse wird zurückbleiben: zu alt, zu schwach, zu mutlos und desillusioniert für einen Neubeginn. Die Zukunft, die ihm in den Momenten des Verhandelns mit Anna noch vor Augen stand, gibt es für ihn nicht mehr.