Das Schweigen der Lämmer (The Silence of the Lambs, USA 1991)
Wir könnten uns an einem dieser messerscharfen Statements ergötzen: „A census taker once tried to test me. I ate his liver with some fava beans and a nice Chianti.” Oder an der genialen Doppeldeutigkeit in Hannibal “the Cannibal” Lecters Anruf am Schluss des Films: “I do wish we could chat longer, but I'm having an old friend for dinner.” Wir könnten uns über die clevere Täuschung bei der Erstürmung eines Hauses unterhalten oder über den schaurigen Moment, wenn wir erkennen, dass der irre Killer mit dem Spitznamen „Buffalo Bill“ drauf und dran ist, sich aus der Haut seiner korpulenten Opfer ein Kleid zu nähen, nicht zuletzt über Hannibal Lecters Ausbruch aus einem von Polizisten gesicherten Käfig und Gebäude und die blutige Drapierung seiner Opfer. Aber, wie Lecter selbst einmal in der Zitierung von Mark Aurel meint: „Of each particular thing, ask what it is in itself? What is its nature?“
Also das Wesentliche, die Natur des brillanten Psychopathen, was uns zu dem unglaublich intensiven psychologischen Katz- und Mausspiel zwischen dem Psychiater mit kannibalistischem Gusto und der jungen FBI-Agentin Clarice Starling führt. Ein Geben und Nehmen ist das, ein „quid pro quo“, wie es Lecter bezeichnet. Für jede Information, die er in Hinblick auf die Ergreifung des Serienmörders gibt, will er Einzelheiten aus dem Leben der Agentin hören. Dass es sich bei ihr um eine ehrgeizige Frau handle, „not more than one generation from poor white trash“ entfernt, die sich durch ihre Karriere von den Dämonen der Vergangenheit zu befreien versuche, hat Lecter in seiner gemauerten, fensterlosen Einzelzelle mit der gläsernen Wand, hinter der ihm Clarice gegenübersteht, schon bei ihrem ersten Gespräch erkannt. Dass sie eine ist, mit der man tatsächlich rechnen muss, hat uns ihr Schlagabtausch gezeigt: „Most serial killers keep some sort of trophies from their victims“, hat Clarice gemeint. „I don’t“, hat Lecter festgestellt. Darauf Clarices staubtrockener Kommentar: „No, you ate yours.“
Mit analytischer Einsicht, die Clarice merklich weh tut, deckt Lecter die Hintergründe ihrer Ängste und die Motivation ihres Handelns auf, dabei läuft Clarice und dem FBI die Zeit davon, hat der Killer doch erneut zugeschlagen und ein Mädchen namens Catherine in seiner Gewalt. Lecter hilft Clarice auf die Spur auf ihrem Weg in die kranke Psyche des Mörders, der sich von der Sehnsucht getrieben sieht, ein anderer zu sein, so wie die Schönheit eines Schmetterlings aus der Unscheinbarkeit der Motte hervorgeht, die die Pathologen im Hals der Opfer finden. Doch er fordert auch die Einhaltung ihres Deals ein: die Geschichte von Clarices Kindheit, vom Tod ihres Vaters, ihrem Leben als Waise auf der Farm von Verwandten. Und dann von der Nacht, in der sie vom Schreien der Lämmer vor der Schlachtung geweckt wird und vergeblich versucht, eines der Tiere zu retten. Dass sie immer noch nachts aufwache und das Schreien der Lämmer höre, vermutet Lecter: „And you think if you save poor Catherine, you could make them stop, don't you? You think if Catherine lives, you won't wake up in the dark ever again to that awful screaming of the lambs.”
Regisseur Jonathan Demme, dessen Thriller in allen wichtigen Kategorien mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, beweist in seiner Inszenierung viel Gefühl für die visuelle Faszination des Gefahrbringenden, Andersartigen, Angsteinflößenden. Dabei zeigt er nur ganz selten Blut und tatsächliche Gewalt, ihm genügen die Gesichter seiner brillanten Schauspieler. Jodie Foster gibt Clarice Starling mit großem Einfühlungsvermögen in die Zerrissenheit einer Frau auf der Flucht vor den Ängsten ihrer Kindheit, und Anthony Hopkins liefert in der Rolle seines Lebens eine Performance ab, die ohnehin ihresgleichen sucht. Noch vor Norman Bates aus Hitchcocks Psycho und Darth Vader aus der Star Wars-Reihe gilt sein Hannibal Lecter als vielleicht größter Schurke der Filmgeschichte: dieses Lauern, dieses Reizen und Ausreizen, dieses Abtasten mit Blicken, diese Großaufnahmen seiner eiskalten Augen, dieses Spiel mit der Unsicherheit und Verletzlichkeit seines Gegenübers, dazu diese Stimme mit ihrer vorgetäuschten Weichheit und dem schlangenhafte Säuseln und Zischen, die Hopklins selbst als „Mischung zwischen Truman Capote und Katherine Hepburn“ bezeichnete. Und wenn sich dann seine Finger und die von Clarice für einen Augenblick berühren und er über ihre Hand streicht, für eine Sekunde nur, treibt uns das die Gänsehaut über den Rücken. „Goodbye, Clarice“, verabschiedet sich Lecter von ihr, bevor er sich an den Ausbruch aus dem Käfig und an die Metzelei unter den Polizisten macht. Allein der Nachhall seiner Worte ist dazu angetan, dass die junge Agentin wohl noch lange Zeit keine ruhige Nacht haben wird.