Der Soldat James Ryan (Saving Private Ryan, USA 1998)
„This time it’s war“ lautete die Tagline zu James Camerons Aliens (1986), und tatsächlich: die Gruppe der Marines im Feldzug gegen die außerirdischen Ungeheuer, die panzerartigen Fahrzeuge, die schweren Waffen, natürlich auch die Choreografie der Gefechte – der Level des Martialischen versteht sich im Vergleich zu Ridley Scotts primärem Eintrag in die Weltraumsaga rund um Sigourney Weaver und die vom Schweizer Künstler HR Giger kreierten titelgebenden und stets hungrigen Wesen merklich hinaufgeschraubt. Dennoch hat man als Zuschauer in keinem Moment den Eindruck, sich nicht in einem Film zu befinden. Dies trifft auf alle Kriegsfilme zu, die ich kenne, mit einer Ausnahme: Steven Spielbergs Saving Private Ryan, so konnte man beim Start des Streifens vielerortens lesen, würde den Krieg zeigen, wie er wirklich sei.
Nun kann ich selbst den Wahrheitsgehalt dieser Aussage und ihre Berechtigung Gott sei Dank nicht einmal ansatzweise abschätzen. Eines ist aber unbestritten: Ob das Sterben am Omaha Beach am D-Day des 6. Juni 1944 so war wie von Spielberg gezeigt oder nicht – viel näher, unvermittelter, intensiver wird man ihm im Kino nicht kommen. Es ist, als wären Robert Capas legendäre Reportagefotos in ihrer ungeheuren Authentizität zu filmischem Leben erwacht: Janusz Kaminskis Handkamera ist mitten unter den Soldaten, wenn sie sich in den Landungsbooten übergeben, ist bei ihren zitternden Händen und ihren Gesichtern voll nur mühsam unterdrückter Angst. Noch bevor sich die Klappen der Boote öffnen, ist Geschützfeuer zu hören, und als sie dann gesenkt werden, sterben auch schon die ersten Männer. Die Wellen sind zu hoch, die Boote können nicht direkt am Strand landen, sie speien die Soldaten ins Wasser, sie führen sie den deutschen Schützen in den Bunkern auf den Klippen vor wie Schießbudenfiguren. Die ständig wechselnden subjektiven Bickwinkel der Kamera, das Tondesign, das zwischen Momenten über und unter Wasser unterscheidet, das fast taub wird nach einem Granateneinschlag in der Nähe, das absolute Chaos zu Beginn im Wasser und dann später auch auf dem Strand, das Sterben unter unerträglichen Schmerzen oder von einem Augenblick auf den anderen, die zerfetzten Leiber, das Blut, das aus den zurückgenommenen Farben hervorsticht – Spielberg zeigt die Gesichtslosigkeit und Willkür des Sterbens und schält nur einige wenige Charaktere aus der Masse der Soldaten, die als Kanonenfutter herhalten müssen und nicht wissen, wie ihnen dabei geschieht.
Tom Hanks, der Jedermann des amerikanischen Films, versucht als Captain John Miller, sich mit seiner Truppe – oder wer davon eben übrigbleibt – in den Schutz einer Düne durchzukämpfen. Um ihn herum spielen sich geradezu surreale Szenen einer Welt ab, die aus den Angeln gehoben scheint: Ein Soldat hebt seinen abgetrennten Arm auf und trägt ihn mit sich herum, ein anderer versucht, seine Eingeweide wieder in den Körper zu drücken, von einem Verletzten, den Miller hinter sich herzieht, bleibt nur noch der Oberkörper übrig – das Schicksal veranstaltet mit den Soldaten Russisches Roulett; wie ohne Plan und der Unterscheidung zwischen Gut und Böse fährt der Tod seine reiche Ernte ein. Ich habe einmal vom Krieg als der „Nachäffung der Schöpfung durch das Schaffen von Nichts“ gelesen: vom „Erzeugen von Tod, an Orten, an denen vorher das Gegenteil von Nichts herrschte, nämlich Leben.“ Es gleicht einer pervertierten Umkehrung der „Creatio ex nihilo“, des Gedankens der göttlichen Schöpfung. Im Grunde genommen will man die ersten fünfundzwanzig Minuten von Spielbergs Film gar nicht sehen, dieses radikale, kompromisslose, unbarmherzige Schaffen von Nichts, und ist dennoch fasziniert von der grandiosen Machart dieses Kampfes zwischen Sinn und Wahnsinn inmitten einer entgleisten Realität.
Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr verliert sie ihren dokumentarischen Charakter, desto mehr Struktur erhält sie stattdessen und konventioneller wird die Erzählung. Miller und seine Männer gelingt es, sich Deckung zu verschaffen und von dort aus eine deutsche Geschützstellung zu erstürmen, ein Sniper geht in Position, die Deutschen werden aus ihren Bunkern und Schützengräben getrieben und im Vergeltungsrausch der Amerikaner wie Vieh abgeschossen. Der Schluck aus der Wasserflasche, mit immer noch zitternden Händen, schließt den Bogen zur ersten Einstellung dieser Sequenz, unzählige Leichen treiben auf den blutenden Wellen und liegen zwischen toten Fischen auf dem Strand. Der Rest des Films, eigentlich der Hauptteil des Narrativs um die Rettung des letzten lebenden Sohnes der Familie Ryan, ist immer noch exzellent gemachtes Kino, keine Frage. Die erschreckende, schockierende Brillanz der Einstiegssequenz hingegen erreicht er nicht. Vielleicht ist das aber auch besser so; wir würden es anders wohl gar nicht ertragen.