Road to Perdition (USA 2002)
Es gibt dieses Foto von Robert Capa aus dem Jahre 1941, das Ernest Hemingway zusammen mit seinem kleinen Sohn Geoffrey zeigt. Ganz entspannt sitzen sie am Ufer eines Sees, die Jagdgewehre sind beiseitegelegt. Hemingways Blick schweift in die Ferne, sein Sohn hat die Augen geschlossen. Dieses Bild könnte geradewegs Hemingways Kurzgeschichte „Indianerlager“ entstammen, die ja auch tatsächlich autobiographische Züge trägt. Darin beschreibt der Autor, wie einem kleinen Jungen die Kindheit unter den Füßen weggezogen, dann aber doch wieder zurückgegeben wird. Sein Vater, ein Arzt, nimmt Nick mit zu einer schwangeren Patientin in ein Indianerlager auf einer Insel. „Das Kind will geboren werden“, erklärt der Vater seinem Sohn, „und sie will, dass es geboren wird. All ihre Muskeln arbeiten, um das Kind zu gebären. Das geschieht, wenn sie schreit.“ Mit dem Stolz des Vaters, der sich bemüht, seinen Sohn in die Geheimnisse des Lebens einzuführen, erklärt der Arzt Nick die Prozedur des Kaiserschnitts, den er durchführen muss. Doch dem Kind ist das alles bald zuviel. „Na, wie gefällt’s dir als Assistent?“, fragt ihn der Vater. Nick gibt ihm zwar die Antwort, die er hören will, blickt aber weg, „um nicht zu sehen, was sein Vater machte.“ Dieser ist ganz der euphorische Lebensretter „und gesprächig, wie Footballspieler im Ankleideraum nach dem Kampf.“ Dann aber eskaliert die Situation, als ein Indianer Selbstmord begeht: „Sein Hals war durchschnitten, von einem Ohr zum anderen.“ Für Nick kippt die Realität in einen bösen Traum.
Auch in dem Filmdrama Road to Perdition von Sam Mendes, der für seine Regie von American Beauty (1999) den Oscar erhielt und später für zwei wesentliche Einträge in die Reihe der James-Bond-Filme verantwortlich zeichnete (Skyfall, 2012 und Spectre, 2015), muss ein Junge, Michael (Tyler Hoechlin), Dinge mitansehen, die nicht gut für ihn sind. Sein Vater, Sullivan alias Tom Hanks, erledigt für den alternden Boss einer irischen Gangsterbande, dargestellt von Paul Newman in seiner letzten Rolle, im Winter von 1931 schmutzige Aufträge. Bei einem dieser Jobs kommt es zu einem Feuergefecht, vor Michaels Augen erschießt der Vater zwei Männer. Durch ein Kellerfenster beobachtet er, was er kaum fassen kann und was das Leben, wie er es kannte, von einem Moment auf den anderen völlig auf den Kopf stellt.
Das Konstrukt aus Versicherungen und Versprechen, dass Michael schweigen und den Clan
der Bande nicht in Gefahr bringen würde, hält nicht lang. Michaels Mutter und sein jüngerer Bruder werden ermordet, er und sein Vater müssen fliehen. Im Laufe dieser Flucht wächst das Band
zwischen ihnen in dem Maße, wie sich Sullivan von seinem Ziehvater, dem Gangsterboss, abnabelt. Schließlich setzt Sullivan den letzten Schritt. Der Regen geht wie ein Wasserfall über die Wagen
nieder, die in einer Seitengasse geparkt sind. Als der Gangsterboss und seine Leibwächter aus einem Lagerhaus ins Freie treten, treffen sie die lautlosen Salven, die Sullivan aus der Dunkelheit
der nächtlichen Schatten abgibt. Wie Marionetten, deren Fäden sich ineinander verheddert haben, tanzen die Sterbenden in den Tod. Ihr Boss bleibt übrig, er steht starr bei seinem Wagen und wartet
ab. Er sei froh, dass das Ende durch ihn komme, sagt der alte Mann, bevor ihn Sullivans Todesschuss trifft.
Was Sullivan zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass ihnen ein Killer auf den Fersen ist. Jude Law als Auftragsmörder Maguire, der mit psychotischer Besessenheit Fotos seiner Opfer sammelt, stellt sie schließlich in ihrem Zufluchtsort, einem Haus am Michigansee. Was den Regen der nächtlichen Schussszene ablöst, ist das gleichmäßige Rauschen der Wellen, sonst ist es ganz still, als Sullivan von einem großen weißen Zimmer aus aufs Wasser blickt. In seiner Reflexion im Fensterglas sehen wir, was er sieht, nämlich Michael, der mit einem Hund am Strand spielt; nach all der Gewalt ist das endlich einen Moment des Aufatmens und des Friedens. Da durchbrechen zwei Schüsse die Ruhe, Blut spritzt aus Sullivans Brust auf die Fensterscheibe. Erst als er zu Boden sinkt, bemerken wir Maguire in einer Ecke des Raumes hinter ihm. Der Killer baut seine Kamera auf, der Sterbende liegt verkrümmt vor der Linse. „Smile!“, fordert ihn Maguire auf. Womit er nicht gerechnet hat, ist Michael, der längst hinter ihm aufgetaucht ist, in der Hand einen Revolver. Er zielt auf den Killer, sein Vater schüttelt den Kopf. Maguire drängt den Jungen, ihm die Waffe zu überlassen, da gibt es einen letzten Schuss. Doch den hat nicht Michael abgegeben.
Der Ort, zu dem Vater und Sohn die Filmhandlung über unterwegs sind, heißt Perdition, das Wort bedeutet Verderben, Verdammnis und auch Verlust. Michael hat vieles verloren, seine Eltern, seinen Bruder, den Zusammenhalt der Familie und nicht zuletzt seine Unschuld. Dass es ihm Leid tue, sind Sullivans letzte Worte, als er, den Kopf in Michales Händen, stirbt. Auch der Doktor in Hemingways Geschichte will nicht, dass der kleine Nick die Leiche des Selbstmörders zu Gesicht bekommt, wenngleich darüber in der Folge nicht viele Worte verloren werden. Bei ihrer Fahrt von der Insel der Indianer zurück aufs Festland erlebt Nick den frühen Morgen wie eine Wiedergeburt. „Die Sonne stieg über den Bergen auf. Ein Barsch schnellte hoch und machte einen Kreis im Wasser. Nick ließ seine Hand im Wasser schleifen. Es fühlte sich warm an im schneidenden Morgenfrost.“ Nach all dem Leid und dem Tod, mit denen er sich unvermittelt konfrontiert sah, ist Nicks Reaktion das Gegenteil von Verzweiflung: „Am frühen Morgen auf dem See, als er im Heck des Bootes seinem rudernden Vaters gegenübersaß, war er überzeugt davon, dass er niemals sterben würde.“ Nick und Michael, beide Jungen haben ihre Kindheit verloren, doch die Gewissheit, dass ihre Väter für sie da sind, hat ihnen zumindest einen Teil davon wieder zurückgegeben. Der sterbende Sullivan konnte in einem letzten heoischen Akt des Aufbäumens gegen sein doch bereits unabänderliches Schicksal seinen Sohn davor bewahren, selbst ein Mörder zu werden; und dadurch hat er ihm die Chance auf eine Zukunft und auf ein neues, ein eigenes Leben geschenkt.