Das Tor zum Wahnsinn

Shining (GB/USA 1980)

 

Angeblich ist es die am häufigsten wiederholte Einstellung der Filmgeschichte, wenn Wendy, zitternd vor Todesangst, um ihr Leben schreit und ihr Mann Jack, in den Wahnsinn abgedriftet, mit der Axt auf die Tür eindrischt, hinter der sie sich verschanzt hat. Laut Stanley Kubricks eigenen Aussagen musste sie nicht weniger als 127-mal gedreht werden.

Im riesigen Komplex des Overlook-Hotels in den Bergen von Colorado ist der Schriftsteller und ehemalige Lehrer Jack Torrance für den Winter als Hausmeister angestellt. Eingeschneit und somit abgeschlossen von der Außenwelt, driftet er, mit Schrecken beobachtet von seiner Familie, der genanten Wendy und seinem kleinen Sohn Danny, allmählich in den Wahnsinn ab. Der Autor Stephen King soll mit Kubricks Adaption seines Romans recht unzufrieden gewesen sein, wenngleich diese nicht mit höchst einprägsamen Szenen geizt. Wenn Danny immer wieder auf seinem Dreirad durch die schier endlosen Gänge des Hotels fährt und dabei das immer gleiche Geräusch der Räder auf Teppich und Holzboden zu hören ist; wenn sich an den verschiedensten Orten des Gebäudes und Areals allerlei unerklärliche Erscheinungen manifestieren; wenn Wendy beim heimlichen Lesen von Jacks Manuskript feststellen muss, dass er über Wochen einen einzigen, sich wiederholenden Satz geschrieben hat: „All work and no play makes Jack a dull boy“; wenn Jack seine Frau daraufhin die breite Prachtreppe hinauf verfolgt und sie sich trotz eines Baseballschlägers seiner kaum zu erwehren weiß; wenn im Finale des Films Danny vor seinem Vater durch den stark verschneiten Irrgarten flieht und es ihm gelingt, ihn auf eine falsche Fährte zu locken, indem er in seinen eigenen Fußspuren rückwärts läuft … Kubricks suggestive Bilderwelt erschafft ein an den Nerven zerrendes Meisterwerk, eine, wie das Lexikon des Internationalen Films so schön formuliert, „virtuos inszenierte Studie über die Wechselwirkung von Wirklichkeit und Schein, Realität und Illusion, über die traumatischen Abgründe, die sich jenseits des gesunden Menschenverstandes auftun.“

Dennoch, bei dieser Überfülle an starken Eindrücken ist es die Axtszene, die sich am nachhaltigsten in das kollektive Rekordebuch des Kinos eingeschrieben hat, und zwar nicht in erster Linie wegen der Probleme beim Dreh. Shelley Duvall und Danny Lloyd als Mutter und Sohn agieren eher als Stichwortgeber für das Augenrollen und Zähneblecken, das hemmungslose Grimassieren von Jack Nicholson, dabei rückt Kubrick das Symbol der Tür als zentrales Motiv in den Fokus von Kamera und Schnitt. Türen funktionierten schon immer als narratives Element in Horrorfilmen, als Membran zwischen zwei Handlungsräumen - auf der einen Seite der noch unversehrte Protagonist in einem brüchigen Schutzbereich, auf der anderen die Bedrohung in Gestalt des Eindringlings. Die veritable Gefahr des Eindringens des „Anderen“ erzeugt Suspense und Thrill und Kubrick diese Emotionen durch Jacks Axthiebe. Durch sie bricht im wahrsten Sinne des Wortes der Wahnsinn in die vormals heile Welt, hier das Schlafzimmer der Familie und in einem weiteren panischen Rückzug das Badezimmer als intimstem Raum. Die Kamera folgt Jacks Penetration dieses Bereiches, folgt seinem Wüten, als wäre sie auf seiner Seite: Zuerst ist sie seinem weiten Ausholen und den Schlägen immer ein wenig hintennach, in weiteren Einstellungen folgt sie den Hieben direkt, in den letzten ist sie ihnen sogar voraus. Und dann splittert das Holz und Jack hält seinen Kopf ganz dicht an die Tür: „Wendy, I’m home.“ Dass Nicholson diese Worte in eher ruhigem Ton spricht, wie den alltäglichen Gruß eines treusorgenden Ehemanns, der abends von der Arbeit zu seiner Familie heimkommt, stellt einen krassen Gegensatz zur Fratze dar, zu der seine Gesichtszüge mittlerweile geronnen sind, und wirkt dadurch noch heimtückischer auf unser Nervenkostüm.

Denn so etwas wie Normalität existiert nicht mehr zwischen den Mitgliedern dieser Familie und ebenso wenig in ihrer Wohnung, in der es nur noch um das blanke Überleben geht. Jack spielt den Wolf im Gedicht um die drei kleinen Schweinchen: „Little pigs, let me come in!“, ruft er, als er sich an die Badezimmertür macht, und pervertiert damit das, was an heimeligem Beisammensein einer Familie das Normale wäre. Eben solches passiert mit der Begrüßungsformel aus der Johnny Carson-Fernsehshow, wenn er schließlich gefährlich säuselt: „Here is Johnny!“ Doch Wendy hat die Konnotation verstanden und zieht die drastischen Konsequenzen: Als Jack seine Hand durch einen Spalt in der Tür nach dem Knauf ausstreckt, sticht sie mit dem Messer darauf ein. Der Medienwissenschaftler Stefan Höltgen benennt die „transitionale (Raum überwindende) und die transgressive (Moral überwindende) Funktion“ des Symbols der Tür im Horrorfilm. In der „heteronormativen Welt des Nicht-Horrors“ trenne eine solche Barriere Gegensätze wie gesund/krank, normal/verrückt und Lust/Schmerz.

Ist ihre Schleuse aber erst einmal gebrochen, hält das Böse ungehindert seinen Einzug. Dann bleiben nur noch das Kreischen und Laufen und das Zurückschlagen. Jack erfriert schlussendlich im Irrgarten, den Blick irr nach oben gerichtet. Ob Wendy und Danny dieses Bild als Katharsis wahrnehmen, ob sie es denn überhaupt zu Gesicht bekommen, wird uns verschwiegen. Die Tür, die für sie den Rückweg zu einem normalen Leben darstellen würde, hat Kubrick in unserer Vorstellung wohl für immer verschlossen.