Im Kabinett des Doktor Horror

Silent Hill: Revelation (Kanada/Frankreich 2012)

 

I recognise terror as the finest emotion and so I will try to terrorize the reader. But if I find that I cannot terrify, I will try to horrify, and if I find that I cannot horrify, I’ll go to the gross-out.” Stephen King drehte sich mit uns in Danse Macabre (1981), seiner ganz persönlich gehaltenen Tour quer durch die Geschichte des Horrorgenres, sei es in der Form von Literatur oder Film, durch den, wie der Klappentext goutiert, „dark ballroom of horror“. Dabei beschreibt er auch die drei Stadien des Schreckens. Da ist zuerst die Angst vor dem Unbekannten, dem Brausen des Windes vor dem Fenster, dem Knarren auf der Treppe, den Geräuschen hinter einer Tür. Was folgt, nennt King den Horror, hier nimmt das furchteinflößende Unbekannte mehr oder minder feste Form und Gestalt an: die Tür geht auf, das Monster, die Kreatur, das Ungeheuer, das Ding ohne Namen taucht auf. Schließlich führt King das dritte Stadium des Ekels an, das Gefühl von Abscheu, erzeugt durch die mitunter explizite Darstellung von Fäulnis, Gestank, Innereien, Folter und Tod.

Kings Buchtitel nimmt indirekt Bezug auf die bereits im späten Mittelalter als ebenso bezeichnete Beschäftigung mit der Angst vor der Ungewissheit des Todes, der Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Lebens danach und dem Grauen vor allem, was damit zusammenhängt: dem Verlust von Kontrolle, der Bestrafung, der Dunkelheit, dem Bösen, der Gewalt und der Zerstörung des Einzigen, das Menschen als echte Referenz dienen mag, des Lebens. Im Lauf der Filmgeschichte hat sich am Prinzip der genannten drei Stadien nicht viel geändert, es obliegt dem modegleichen Wandel der Zuschauerpräferenzen, was vorherrscht: der geheimnisvoll-sanfte Grusel in nebelverhangenen Herrenhäusern inmitten düsterer Moore oder doch eher mittels Kettensägengemetzel abgetrennte Gliedmaßen und spritzende Blutfontänen, eben das, was man als „torture porn“ bezeichnen könnte und die Filmkritik als „splatter“, „gore“ oder „grand guignol“ kategorisiert.

Damit verbunden, wechseln auch die Orte, an denen der Schrecken Gestalt annimmt, vom Kabinett des Doktor Caligari bis zu ganzen Häusern aus Wachs, von verwunschenen Ortschaften hinter stillen Hügeln bis zu unterirdischen Minenlabyrinthen hinter ebensolchen, die laut Filmtitel Augen haben, von einsam in der Gegend herumstehenden heruntergekommenen texanischen Anwesen bis hin zu Dörfern inmitten unüberblickbarer Maisfelder. Dezitiert abzuraten, das wurde etwa in Wes Cravens Scream (1996) vergnüglich und aufs Anschaulichste persifliert, sei der Gang in den Keller, den Generatorraum oder auch in den zweiten Stock, wenn von dort seltsame Geräusche kommen, man halte sich von Holzhütten im Wald und dem dortigen lauten Vorlesen geheimnisvoller Formel aus längst verschollenen und nun wiedergefundenen Büchern tunlichst fern und – die gefährlichste Aktivität von allen – praktiziere niemals Sex in einem Fahrzeug, denn dieser führe unweigerlich zum baldigsten Tod.

Eine besonders innovative Location überrascht uns im Sequel der Computerspieladaption Silent Hill überrascht, die den Zusatztitel Revelation trägt, also Enthüllung oder Offenbarung. Der Film an sich ist kaum der Rede wert, diese eine Szene aber umso mehr: ein surreal anmutendes Setting, die Hölle wie aus einem Bosch-Gemälde. Der austauschbare fesche junge Held und die austauschbare hübsche junge Heldin der Geschichte befinden sich in allerhöchster Not und geraten – jetzt kommen wir zum Ort des Geschehens – in einen Operationssaal. Essentiell dabei sind der total schmutzige Look desselben fernab jeglicher Hygienestandards und das Personal: eine ganze Horde von Krankenschwestern, die wahrlich schon bessere Zeiten gesehen haben und echt grausiges Instrumentarium in ihren Händen halten – riesige Spritzen, Beile, Messer; der Freud hätte seine Freud angsichts der prallen Symbolik. Das Ärgste sind aber die Gesichter der Nurses, dieselben sind nämlich nicht vorhanden. Eine grausig zugewucherte, narbengewebsartig wirkende Sache ist das, ohne Augen, ohne Nase, ohne Mund. Und diese Schwestern stehen still und starr in der Gegend herum.  

Doch plötzlich kommt Bewegung in sie und die ganze Szenerie. Zwei gasmaskendekorierte Typen schieben nämlich den austauschbaren feschen jungen und für ihn recht ungünstigerweise auf einer Bahre festgeschnallten Helden in den Raum. Und gleich sehen wir: Die Krankenschwestern werden bei der kleinsten Regung um sie herum hyperaktiv, was sich in wildem Ausholen und Herumschlagen ihrer grausigen Mordwerkzeuge und dem daraus resultierenden Dahingemetzel der Gasmaskentypen zeigt. Als diese dann reglos in ihrem Blute liegen und sich verständlicherweise nicht mehr rühren, erstarren die Nurses wieder. Und dann Stille und für den noch immer festgeschnallten austauschbaren feschen jungen Helden die doch recht schwierige Fragestellung: wie sich aus der misslichen Lage befreien, ohne die beilschwingenden Krankenschwestern wieder zu aktivieren?

Ein kleiner, nicht sehr intelligenter, streckenweise ziemlich dialogstelzender Horrorfilm, und darin diese herrlich perfide, wunderbar instumentierte Szene der absoluten Hilflosigkeit: Überaschung pur. Und ohne dieselbe vermiesen zu wollen, kann verraten werden, dass dem jungen Helden die Flucht aus dem OP-Saal gelingen wird. Ich sage nur: Die austauschbare hübsche Heldin hat sich unter der Bahre versteckt. Und ja, natürlich ist sie blond.