Spiel mir das Lied vom Tod (C’era una volta il West, USA/Italien 1968)
Was soll ich sagen, es ist schlicht und einfach das stärkste Duell der Filmgeschichte, dieser Höhepunkt von Sergio Leones Oper um Rache und Gier und die Besiedelung des amerikanischen Westens entlang der Bahnlinien. „So you found out you’re not a businessman after all“, stellt Charles Bronson, der „Mundharmonikaspieler“ fest, als Henry Fonda, der skrupellose Bösewicht mit Namen Frank, ihm auf der Baustelle der Eisenbahnstation gegenübersteht. „Just a man“, ist dessen lapidare Antwort. Damit ist alles gesagt zwischen den beiden Männern, nichts zählt mehr, nicht das Land, Geld oder Frauen. Allein den Grund für das Auftauchen des Geheimnisvollen zu erfahren, der seine Bande aufgerieben und seine Geschäftspläne zerstört hat, hat Frank hergetrieben.
Die Arena für das Drama, das nun folgt, ist ein staubiger Platz abseits der Gebäude. Wie Tänzer in einem Spiel auf Leben und Tod schreiten sie das Terrain ab, ohne einander dabei aus den Augen zu lassen. Extreme Close-ups wechseln mit weiten Kamerawinkeln, Fondas Blick wägt den Sonnenstand ab, er ist merklich nervöser als Bronson, in dessen Gesicht kein Zwinkern und kein Mienenspiel auszumachen sind. Dann stehen die beiden Männer einander gegenüber, die Musik verstummt, allein der Wind ist zu hören. Ein Verharren ist das, es passiert nichts und gleichzeitig so Vieles, denn da ist die Erinnerung an einen Tag, der das Leben eines Jungen verändern sollte und damit das ganze Leben des Mundharmonikaspielers, der dieser Junge einmal war. Frank, wesentlich jünger, schreitet auf die Kamera zu, er klemmt dem Jungen die Harmonika zwischen die Zähne. „Keep your lovin’ brother happy“, meint er zynisch. Der Bruder steht auf den Schultern des Jungen, sein Kopf steckt in der Schlinge eines Glockenseils. Leone inszeniert das Bild der Brüder unter dem gemauerten Steinbogen mit der Glocke, an dem lässig die Banditen lehnen, vor den roten Felsblöcken und der endlos weiten Szenerie des Monument Valley wie ein Gemälde. Der Schweiß, die Tränen, die Ausweglosigkeit, die Wut, die keine Möglichkeit sieht, sich zu entladen, das Keuchen des Atems, das durch die Mundharmonika zur perversen Todesmelodie gerät. Dann stößt der Bruder am Seil den Jüngeren weg und im Duell Jahre später ertönen Schüsse. Frank sinkt in den Staub, ebenso in der Erinnerung der Junge. „Wo are you?“, sind die letzten Worte, die der sterbende Frank hervorbringt. Die Harmonika zwischen den Lippen gibt ihm im Tod die ersehnte Antwort.
Natürlich gibt es da Fred Zinnemanns Zwölf Uhr Mittags (1952) mit dem berühmten Showdown, in dem Gary Cooper als Marshall von den verängstigten Bewohnern der Stadt keine Unterstützung erhält und trotzdem seinen Mann steht, und natürlich sind da die Shootouts in Leones Dollar-Trilogie (1964-1968), in denen Clint Eastwood als „Mann ohne Namen“ die finale Schießerei zu absolvieren hat. Ein mit solcher Brillanz choreographiertes Todesballett wie in Spiel mir das Lied vom Tod hat es jedoch weder vorher noch nachher wieder gegeben. Leone wurde zuweilen als Manierist bezeichnet, der Stil seiner Inszenierungen ist fürwahr getragen von einer außerordentlichen kapriziös-spannungsgeladenen Kraft. Nehmen wir, zum Beispiel, diesen minutenlang hinausgezögerten Schusswechsel am Anfang des Films, als drei finstere Männer in langen Mänteln am Bahnhof auf die Ankunft eines Zuges warten. Die markigen Gesichter unter den breitkrempigen Hüten, das Knarren eines Schildes, das Surren einer Fliege, die Schweißperlen auf der Stirn und dazu nur die Geräusche des heißen Windes und die von der Sonne gebleichten Farben jenseits des Bahnhofsgebäudes – die Szene erinnert an David Leans epochales Epos Lawrence von Arabien (1962) und darin an das schier endlose Heranreiten von Omar Sharif aus dem fatamorganaartigen Hitzeflimmern der Wüste auf einen Brunnen zu, aus dem der Begleiter des Titelhelden gerade ohne Erlaubnis Wasser geschöpft hat. Bei Leone wie bei Lean finden diese Lehrstücke an perfektem filmischem Timing durch Schüsse ein abruptes Ende.
„Hier ist der Westen“, heißt es in John Fords Der Mann, der Liberty Vallance erschoss (1962), und weiter: „Unsere Legenden wollen wir bewahren. Sie sind für uns wahr geworden.“ Eine „Legende über die Legende des Westens“ nannte Jo Müller Fords wehmütige Reflexion dessen, was das Genre im Grunde genommen ausmacht, die noch ein letztes Mal den Glauben an Amerika als das gelobte Land hochhält. „Es war einmal eine Wildnis“, hören wir gegen Ende des Films, „jetzt ist es ein Garten.“ Sergio Leones Filme setzen darauf einen krassen Kontrapunkt. In ihrem Pathos und der gewollten Künstlichkeit treffen die Eindrücke, die sie von Amerika zeichnen, dem nun doch nicht so gelobten Land, präzise den Kern der Dinge. Es sind Bilder einer geradezu peinigenden Sehnsucht nach Idealen, deren Realisierung so fern ist wie für den verkrüppelten Eisenbahntycoon, dem master mind hinter Franks übler Bande, eines Tages wirklich einmal die Wellen des Pazifiks vor Augen zu haben. Dieser Mann liegt, als es mit seinem Leben zu Ende geht, im Staub abseits der Schienen, er kriecht mit letzter Kraft auf ein schmutziges Wasserloch zu und hat das Rauschen der Meeresbrandung im Ohr wie einen Abgesang auf alles, was einmal Gültigkeit besaß.
Ähnlich bleibt für Leone die splendid isolation der Prärie ein barocker Traum der reinen Schönheit, der für eine Vielzahl seiner Charaktere letztlich zum Alptraum gerät. „Das in jeder Einstellung schmerzlich präsente Bewusstsein von der Vergeblichkeit, den Traum ungebrochen zu reproduzieren, sichert dem Film die Authentizität des Unwirklichen“, schreibt Hans-Christoph Blumenberg. Insofern huldigt Leone amerikanischen Mythen, das „Es war einmal/Once upon a time …“ im Originaltitel deutet auf diese märchenhafte Überhöhung. Heute erscheint uns Spiel mir das Lied vom Tod als Höhepunkt und als Apotheose des Westerngenres, im gleichen Moment jedoch treibt Leone die Huldigung durch seinen immanenten Pessimismus und Zynismus in die Selbstauflösung. Der Traum vom Wilden Westen, durch die Augen des Italieners Leone reloaded und gleichzeitig ausgeträumt.