Tatsächlich ... Liebe (Love Actually, GB/USA/Frankreich 2003)
Wahrscheinlich haben schon so manch unglücklich Verliebte sich diese herrliche Filmszene zum Vorbild genommen. Die Textkarten, der Kassettenrekorder, daraus die leise Musik von „Stille Nacht“, wenn sich Mark (Andrew Lincoln) als einer entpuppt, der trotz aller Aussichtslosigkeit mit der Liebe, die er für die mit seinem besten Freund verheiratete Keira Knightly all die Zeit mit sich herumgetragen hat, nicht mehr hinter dem Berg halten will. Im nächsten Jahr, so Mark, würde er mit viel Glück mit einer Frau ausgehen, die so aussehe wie die Models auf einer der Karten, die er der Unerreichbaren entgegenhält, doch weil Weihnachten sei und man an diesem Abend die Wahrheit sagen solle: „To me you are perfect and my wasted heart will love you …“ – Und als man sich schon fragt, wie in aller Welt sich jemand allen Ernstes solche Sätze zu schreiben traut, reisst Drehbuchautor/Regisseur Richard Curtis das Ruder aus dem Schmalz: „… until you look like this:“ Und auf der nächsten Karte sehen wir das Foto einer verschrumpelten Mumie.
Mark bringt sein Wagemut zumindest einen freundschaftlichen Kuss der Angebeteten ein und die Gewissheit, getan zu haben, was ganz einfach getan werden musste: zu diesem Zeitpunkt, an diesem Ort. Genau die Stimmung dieser Szene zwischen hemmungslosem Sentiment und dessen mal sarkastischer, dann wieder liebevoller Brechung macht den Reiz von Love Actually aus und den Film zum Inbegriff einer durch und durch „very British romantic comedy“. Wenn Bill Nighy als abgehalfterter Rocksänger die Wette eingeht, splitterfasernackt aufzutreten, sollte er bis Weihnachten die Nummer eins der englischen Charts werden, oder Colin Firth als liebeskranker Schriftsteller seiner portugisischen Haushaltshilfe vor vollem Lokal und versammelter Verwandtschaft einen Heiratsantrag in der fremden Sprache macht; wenn Liam Neeson und sein kleiner Filmsohn Thomas Sangster sich eine Dosis „Kate&Leo“ geben, um den eigenen Kummer zu bekämpfen, oder sich der in puncto Frauen im kalten England glücklose Kris Marshall in die USA aufmacht, wo sein Akzent geradezu unglaubliche Auswirkungen auf das weibliche Geschlecht zeitigt; wenn sich schließlich Hugh Grant als Premierminister in seine Sekretärin verliebt, des nächtens beckenschwingend durch Number 10, Downing Street tanzt und es dem überheblichen US-Präsidenten (Billy Bob Thornton) bei einer Pressekonferenz mal so richtig reinsagt: Curtiz’ weihnachtliche Fahrt durchs Londoner Märchenwunderland umschifft mit fast schlafwandlerischer Sicherheit sämtliche Klippen von Peinlichkeit, was seine lupenreine Weltverzauberung zur reinen „pleasure“ ohne jedes Quentchen „guilty“ macht.
Einmalig ist auch die Szene bezeichnen, in der „Mr. Bean“ Rowan Atkinson aus der kleinen Rolle eines Warenhausverkäufers ganz großes Kino macht. Alan Rickman drückt die Midlifekrise ganz gewalig, und während seine Frau Emma Thompson ihrerseits Weihnachtsgeschenke aussucht, ersteht er für seine Sekretärin eine goldene Halskette. Er drängt auf einen möglichst raschen Abschluss des Geschäftes, Geheimhaltung ist alles. „Would you like it gift-wrapped?“, fragt Atkinson mit unschuldigem Augenaufschlag und geriert diesen im Grunde genommen simplen Verpackungsprozess zu einem Zeremoniell voll Grandezza und fast royalen Ausmaßes. „This is so much more than a bag!“, weist er Rickman zurecht, dem das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben steht, versucht dessen Nervosität aber durch die Versicherung zu beruhigen, „ready in the flashes of flahes“ zu sein. „Prontissimo“ würde er zu Werke gehen, betont er während des großzügigen Verteilens von allerlei Dekomaterials im durchsichtigen Plastiksack, und während er noch Lavendel daüberreibt und Zimtstangen hinzufügt: Das alles sei doch nur „the work of a moment.“
Die Ehefrau findet das Geschenk in einfacherer Verpackung in der Manteltasche ihres Mannes und glaubt ihrerseits am Weihnachtsabend an ein Schmuckstück unter dem Baum. Von Wolken, die das Sonnenlicht blockieren, singt Joni Mitchell im Lied „Both Sides Now“, die CD dazu ist das Geschenk, das Emma Thompson an Stelle der erwarteten Halskette in der Schachtel vorfindet. Liebe nur als Märchen, als unerreichbare Illusion, davon handelt der Song als Hintergrund zu der Gänsehautszene, in der die betrogene Ehefrau im Schlafzimmer um Fassung ringt. Sie steht in dem Zimmer wie fehl am Platz, die Kamera streicht über die Familienbilder auf der Kommode, doch die Jahre der Ehe zerrinnen ihr in diesen Momenten zu Lug und Trug. Wenn sie die Bettdecke glattstreicht, eine Geste, die ihr in all den Ehejahren wohl schon zur Routine geworden ist, und dabei die Tränen hinunterschluckt, um den Kindern nicht das bevorstehende Krippenspiel zu verpatzen, dann ist das inmitten all der bunten Filmwelt ein Augenblick, der direkt ins Herz trifft.
Kitsch as kitsch can – zweifellos ist Love Actually in seiner emotionalen Übersteigerung, die im finalen Mosaik von Umarmungen auf einem Flughafen mündet, einzigartig. Doch es ist die zweite der beiden Seiten, es sind die Momente der Wahrheit, die immer wieder unvermittelt auftauchen, die den Film zu dem modernen Weihnachtsklassiker machen, zu dem er beim alljährlichen Wiedersehen längst geworden ist.