Titanic (USA 1997)
Okay, es muss sein, es führt kein Weg daran vorbei: Kate und Leo also. Nicht nur, weil Liam Neeson und sein Filmsohn in Tatsächlich Liebe (2003), meinem allerliebsten Weihnachtsstreifen, das beste Rezept gegen jede Art von Kummer samt Schlaflosigkeit entdeckt haben, nämlich eine Überdosis Gefühl in Form eines Kuschelsofas und einer Titanic-DVD. Sondern auch, weil es selbst beim Wiedersehen nach über zehn Jahren nicht möglich ist, James Camerons monumentales Untergangsdrama ob seiner zeitlosen Eleganz und der detailverliebten Inszenierung nicht für schlichtweg brillant zu halten. Dieser nächtliche Sternenhimmel, dieses Atemanhalten, diese Ruhe, wenn der Ozeanriese an dem noch viel gigantischeren Eisberg entlangschrammt - das ist ganz großes Kino.
Die Schlüsselszenen des Films spielen sich jeweils an der Reling als Grenze zwischen dem festen Boden unter den Füßen einerseits, dem Abgrund über dem Meer andererseits ab, man könnte es auch als Übergang zwischen dem Leben im Jetzt und einer möglichen, wünschenswerten oder auch bedrohlichen Zukunft sehen. Da sind einmal, zu Beginn der Geschichte, Jack (Leonardo DiCaprio) und sein Freund Fabrizio mit ihrer überbordenen Freude darüber, dass sie die Fahrkarten für die Überfahrt nach Amerika beim Kartenspiel gewonnen haben. Jack klettert auf die Reling am Bug des Schiffes, streckt die Arme zur Seite und jauchzt vor Glück: „I am the king of the world!“ (Regisseur Cameron hat dieses Zitat später bei der Oscarverleihung wiederholt.)
Wenig später wird Rose (Kate Winslet), die sich im goldenen Käfig ihres luxuriösen Lebens gefangen wähnt, über die Reling am Heck steigen. Tief unter sich sieht sie das wilde Schäumen des Wassers, und um ein Haar stürzt sie sich in den sicheren Tod. Doch Jack gelingt es, sie mit der Drohung, dann müsse er ihr wohl oder übel hinterher springen, von ihrem Plan abzubringen. Was folgt, ist diese wunderbar zarte Liebesgeschichte, die gemäß dem Vorbild von Romeo und seiner Julia gerade deshalb so hell lodert, weil sie von Anfang an unter dem düsteren Stern der jungen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus steht.
Legendär sind die Spiegelungen der bereits erwähnten Szenen im weiteren Verlauf des Films. Zuerst die optimistische Variante, in der Jack Rose mit geschlossenen Augen auf die Reling ganz vorn am Schiff lockt. Der Wind umweht sie, und sie halten einander an den Händen. „Open your eyes!“, fordert Jack Rose auf, und auf einmal gehen ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Augen auf und sie sieht die Fülle an Möglichkeiten, die das Leben für sie bereithält: „I’m flying!“ Dann kommt es zu einem der schönsten Küsse der Kinogeschichte: dieses Ineinanderfließen der Bewegungen und die Schönheit des Farbenspiels, des Wassers und des lodernden Horizonts, wenn die Kamera das Schiff und die Gefühle der beiden Verliebten wieder und immer wieder umkreist. Und schließlich holt uns die Überblendung auf den Rumpf des gesunkenen Schiffes in die tragische Realität zurück. „That was the last time Titanic saw daylight“, lautet der poetische, gleichzeitig ernüchternde Kommentar der alten Rose, die sich zu diesem Zeitpunkt auf einem Forschungsschiff direkt über dem Wrack auf dem Meeresboden befindet.
Wenn die Katastrophe ihren Lauf nimmt, sich das mächtige Heck hoch aus dem Wasser hebt und dann der Rumpf auseinanderbricht, kämpfen sich Jack und Rose ganz nach oben durch und klettern abermals über die Reling. Neben ihnen schlittern und fallen Menschen in die Tiefe wie in den Schlund eines urzeitlichen Ungeheuers. Als schließlich auch der hintere Teil des Schiffes versinkt, klammern sie sich am Geländer fest. „This is where we first met“, erkennen sie die umgekehrten Vorzeichen.
Es ist wiederum die alte Rose, die der Geschichte ihren Schlusspunkt setzt. Wir haben die wunderbar traurige Abschiedsszene noch vor Augen und Jacks Satz im Ohr, dass es das größte Glück in seinem Leben gewesen sei, die Tickets zu gewinnen und dadurch Rose zu begegnen, und dann Jacks erfrorenen Körper langsam in die endlos dunkle Tiefe des Meeres sinken sehen. Die über hundertjährige Rose steigt nun im weißen Nachthemd auf die erste Sprosse der Reling des Forschungsschiffes. Sie lässt das Diamantdiadem, mit dem Jack sie einst gemalt hat, ins Wasser fallen, dann legt sie sich hin, um zu sterben - im Schlaf und nach einem langen, erfüllten Leben, wie sie Jack einst im eisigen Wasser versprochen hat. Im Tod kehrt sie zu all den anderen zurück, die auf der Titanic den Tod gefunden haben, und zu ihrem Liebsten, der an der Uhr im Stiegenaufgang des Schiffes auf sie wartet. Jetzt sind sie beide über die Reling gestiegen, die das Ende des Lebens begrenzt, und wieder vereint. Es darf geschluchzt werden, und nein, das meine ich nicht ironisch.