Tod auf dem Nil (Death on the Nile, GB 1978)
Es ist Nacht, aus dem Old Cataract Hotel, das sich in Wirklichkeit in Assuan befindet, hier aber für Kairo stehen soll, dringt beschwingte Musik. Wir befinden uns in einer Ära, in der das Reisen noch ein Privileg der Society war, und dementsprechend sieht das high class Setting aus, in dem sich eine Auswahl der Crème de la crème von Hollywoodstars versammelt hat. Ein Tanzsaal, im Stil des Art deco dekoriert, darin bewegen sich gemäßigten Schrittes schöne und reiche Menschen, prächtig kostümiert. Da sind Bette Davis und Maggie Smith, Jane Birkin und Mia Farrow, George Kennedy und Angela Lansbury, allesamt Verdächtige in einem Mord, der auf einer Dampferfahrt auf dem Nil erst begangen werden wird, alle mit einem prächtigen Motiv und einer Reihe von Gelegenheiten ausgestattet, im Rahmen von Ausflügen zum Sightseeing oder abends nach dem Dinner an Deck das gefasste Vorhaben auch in die Tat umzusetzen. Sie haben alle nur Augen für Lois Chiles als schmerzhaft selbstbewusste Millionenerbin Linnet, und auch Peter Ustinov entgeht nichts, was sich um ihre Person herum abspielt. Obwohl Ustinov Agatha Christies belgischem Meisterdetektiv Hercule Poirot, den er in diesem Film zum ersten Mal verkörpert, im Aussehen nicht ähnlich ist, stiehlt er mit seiner unnachahmlichen Exzentrik Albert Finney, dem Poirot aus Mord im Orient-Express (1974), zweifellos die Show. David Niven gibt seinen Freund Colonel Race, einen Versicherungsdetektiv. Der Colonel erwähnt einen früheren Fall und begeht den Fehler, von Glück bei der Auflösung zu sprechen. Poirot korrigiert ihn, Glück wäre für ihn keine Kategorie, als „kausalitär geahndete Methode der Aufklärung“ könnte man bezeichnen, was Poirot wesentlich charmanter seine berühmten „little grey cells“ nennt. „I’ve forgotten your opinion about yourself“, reagiert der Colonel pointiert auf Poirots selbstgefälligen Stolz.
Später, nach missglückten Anschlägen auf Linnets Leben und dem schließlich geglückten Verbrechen, dem auch die Morde an zwei weiteren Mitgliedern der Reisegruppe folgen, wird Poirot, wie das bei klassischen whodunits der Brauch ist, das Funktionieren seiner grauen Zellen unter Beweis stellen. In seinem abduktiven Konzept der Überführung von Tätern wird er die Verdächtigen in der Lounge des Nildampfers, einer typisch begrenzten Umgebung für solche Kriminalgeschichten, versammeln und eine nach dem anderen ihre kleinen kriminellen Verfehlungen erläutern. Von Veruntreuung und Erpressung ist hier die Rede, Juwelendiebstahl und ärztlichen Kunstfehlern. Doch Poirot hält sich damit nicht länger auf, denn was nun folgt, ist das Finale mit der Überführung der tatsächlichen Täter, in diesem speziellen Fall ein höchst dramatisches Unterfangen mit auch für Poirot traurigem und unbefriedigendem Ausgang.
Dieser Moment ist im Tanzsaal des Luxushotels zu Beginn des Films und der Reise auf dem Nil noch fern. Es kommt zum herrlich theatralischen Auftritt von Angela Lansbury als berühmt-berüchtigte und stets beschwipste Autorin von – wie sie es selbst mehrmals betont – höchst erotischen Romanzen. Sie tritt gleich gehörig ins Fettnäpfchen, als sie Poirot „Porridge“ und einen Franzosen nennt. Und dann beginnt die Kapelle einen Tango zu spielen, einen Tanz, dessen Sinnlichkeit der Autorin natürlich wie geschaffen für eine Frau wie sie erscheint. Rudolph Valentino habe gemeint, „it takes tiles to tango“, schwärmt die alternde Diva in Andrew Lloyd Webbers Musical Sunset Boulevard nach Billy Wilders gleichnamigem Film aus dem Jahr 1950. Diese Idee von Klasse und Stil wird ad absurdum geführt, als Poirot in weiser Voraussicht die Tochter der Autorin zum Tänzchen bittet und deren Mutter sich daraufhin an den armen Colonel Race wendet: „Do you tango, Colonel?“ Und als dieser verneint, folgt die Drohung: „I will teach you.“
Flugs setzt sie ihr Vorhaben in die Tat um, und was folgt, ist ein wahres Gustostückerl an Drehungen und Wendungen, an falsch gesetzten Schritten und verhinderter Grazie. David Niven, stets die quintessentielle Verkörperung des britischen Gentlemans, sieht sich auf dem Marmorboden des altehrwürdigen Hotels herumgewirbelt von einer erotisch aufgeladenen Schnapsdrossel. Allein sein leidender und dennoch um Contenance bemühter Gesichtsausdruck macht uns genauso großen Spaß, wie ihn die Darsteller*innen beim Dreh offensichtlich hatten.