Der weiße Hai (Jaws, USA 1975)
Soweit ich mich erinnern kann, gab es vor Steven Spielbergs Der weiße Hai keinen Film, zu dem ein Trailer im Werbefernsehen lief. Als der Streifen nach Österreich kam, war ich erst elf Jahre alt und dachte nicht einmal
in meinen wildesten Vorstellungen daran, ihn im Kino sehen zu können. Doch mir genügte ohnehin der Trailer, um meine Fantasie anzukurbeln. Ich saß damals manchmal stundenlang vor dem
Fernsehapparat, nicht wegen der Programme, sondern wegen der Werbeblöcke dazwischen. Wobei es ungewiss war, ob der Trailer an diesem Abend überhaupt laufen würde. Wenn es dann wirklich soweit
war, wenn zu der Kamerafahrt durch Unterwasserpflanzen dieses herrlich schaurige Thema von John Williams einsetzte und dann in immer rasanteren Schnitten ein Stakkato der Spannung erzeugt wurde,
ohne dass das für den Titel verantwortliche Ungeheuer auch nur einmal zu sehen war, war dies einer der entscheidenden Momente, aus denen meine Liebe zum Film und zum Kino geboren wurden.
Überaus gelungene Szenen gibt es in Der weiße Hai zuhauf, Spielberg stellte mit seinem Film das Genre des Spannungskinos auf den Kopf wie sonst nur Hitchcock zuvor und schuf den ersten Blockbuster der Kinogeschichte. Es ist erstaunlich, wie perfekt er auch heute noch als Provokation dessen funktioniert, was jederzeit aus den Tiefen des Meeres wie aus jenen unseres Unterbewusstseins aufsteigen und unser Leben, wie wir es im Griff zu haben glauben, von einem Augenblick auf den anderen in Frage zu stellen vermag.
Da ist die legendäre Eröffnungsszene, in der eine nackte junge blonde Frau bei ihrem Mondscheinbad attackiert und im Wasser herumgewirbelt wird, wobei der Angreifer noch gänzlich unsichtbar bleibt. Da bricht Panik am Strand aus, als eine Haiflosse gesichtet wird, die Schwimmer versuchen, aus dem Wasser zu kommen und sich dabei nicht um Kinder und andere Badende scheren, eine Szene, die Todd Field in seinem Film Little Children (2006) auf grandisose Weise reflektiert, wenn er einen pädophilen Mann im Freibad in einen Pool mit Kindern steigen lässt. Da gibt es ironischen comic relief, wenn der Seebär Robert Shaw und der Meeresbiologe Richard Dreyfuss auf dem Boot, mit dem sie sich gemeinsam mit Roy Scheider alias Polizeichef Brody zur Haijagd aufgemacht haben, in einer Art Wettbewerb einander ihre Wunden präsentieren. Doch die Stimmung schwenkt gleich wieder um, wenn Shaw mit glänzenden Augen und unheimlicher Ruhe in der Stimme vom Sinken der USS Indianapolis während des Zweiten Weltkriegs und den darauf folgenden Haiattacken auf die Überlebenden erzählt. Wenn dann der Kampf der drei Männer gegen den Hai ausgebrochen ist, wenn die Musik unsere Emotionen aufpeitscht und der Hai den Käfig demoliert und dann das ganze Boot, wenn Robert Shaw ihm ins offene Maul rutscht und Brody schließlich auf dem Mast des sinkendes Schiffes liegt und auf das Ungetüm schießt, das ihm durchs Wasser entgegen pflügt, sind die einzelnen Momente längst zu grandiosem Gänsehautkino verschmolzen, von dem man den Eindruck hat, dass es besser, packender, effektiver nicht inszeniert werden könnte.
Im Finale des Films explodiert der monströse Hai, weil Brody es schafft, die Druckluftflasche, die das Ungetüm zwischen den Zähnen hat, zu treffen. In meiner Kindheit genügten einige kurze Ausschnitte im Fernsehtrailer für eine Inititalzündung, die in mir als Zuschauer stattfand: für den Urknall meiner lebenslangen Liebe zu den bewegten Bildern, von denen ich, das war mir klar, mehr, viel mehr, wollen würde.