Bette Davis' Eyes

Was geschah wirklich mit Baby Jane? (What Ever Happened to Baby Jane?, USA 1962)

Wiegenlied für eine Leiche (Hush ... Hush, Sweet Charlotte, USA 1964)

 

Diese Augen, dieser Ausdruck tiefen Leids darin, die Enttäuschung über ein verwirktes Leben, über verlorene Träume und die Marter der Erkenntnis, dass die Zeit durch nichts zurückzudrehen ist und sich begangene Fehler nicht mehr korrigieren lassen: Innerhalb kurzer Zeit verkörperte Bette Davis in zwei Filmen des Regisseurs Robert Aldrich Frauen am Rande des Wahnsinns, der in einem der beiden Fälle auch über ihr zusammenschlägt. „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“, sagte Jean Paul einmal. Für die Charaktere, die Bette Davis in diesen Filmen verkörpert, ist diese Kraft kein Segen, sondern ein Fluch, und das, was für den deutschen Schriftsteller als Paradies erschien, ist für sie die Hölle.

Der erste der beiden Filme trägt den Titel Was geschah wirklich mit Baby Jane? und zeigt Bette Davis auf der Höhe ihrer Schauspielkunst. „I’ve written a letter to daddy“ heißt das Lied, das Baby Jane Hudson als Kinderstar im Varieté singt, dabei beschwört sie mit theatralischen Gesten die Liebe zum Vater, der sich in diesem Moment im Himmel anstatt an ihrer Seite befinde. Eine der fast lebensgroßen Puppen, die damals von ihr verkauft wurden, ist immer noch in Janes Besitz, als sie viele Jahre später ihre gelähmte Schwester Blanche pflegt und ihr gleichzeitig das Leben zur Hölle macht. Joan Crawford spielt Blanche, rund um die Dreharbeiten wurde viel über die Rivalität der beiden schwierigen Diven geschrieben. Ein Unfall jedenfalls beendete Blanches Filmkarriere, auch Janes Berühmtheit ist längst vorbei. Doch sie trägt noch weiße Spitzenkleider wie früher, ihr Gesicht ist geschminkt wie das Porzellan einer Puppe, mit hohen aufgemalten Brauen und schwarz umrandeten Augen. Jane trinkt Alkohol und klimpert dabei die Melodie von damals am Klavier. Sie hört sich als Kind singen und all der Schmerz über die verpasste Karriere ist in ihrem Gesicht auszumachen. Jane nimmt eine Masche aus dem Haar der Puppe und steckt sie sich in ihr eigenes, legt den Kopf schief und sieht im Schein einer Lampe ganz plötzlich ihr Spiegelbild. Da schreit sie auf und gerät in Rage und serviert Blanche deren geliebten Kanarienvogel zum Mittagessen.

Dass sie nicht für den Unfall der Schwester verantwortlich war, wie sie Blanche all die Jahre hindurch glauben machte, erfährt Jane in der letzten Szene des Films am Strand. Sterbend liegt Blanche im Sand, sie fleht Jane um Hilfe an und spricht zum ersten Mal die Wahrheit aus: dass sie selbst den Unfallwagen gelenkt und die damals betrunkene Jane die ganze Zeit nur ausgenutzt habe: „You weren’t ugly then, I made you this way.“ Von einem Augenblick auf den anderen geht in Janes Miene etwas vor sich, das Gefühl von Schuld, das sie so gemartert hat, fällt von ihr ab: „All this time we could have been friends.“ Und umringt von Menschen am Strand, tanzt sie nochmals das Lied vom toten Vater unweit des Platzes, an dem die tote Schwester liegt.

Zwei Jahre später gab ein Lied dem Film den Originaltitel Hush … hush, Sweet Charlotte – über den italowesternartigen und ziemlich glücklos gewählten deutschen Titel Wiegenlied für eine Leiche wollen wir kein Wort verlieren. Der Streifen war als Nachfolgefilm für Was geschah wirklich mit Baby Jane? konzipiert und folgt tatsächlich vergleichbaren Handlungsimpulsen und Figurenkonstellationen. Abermals wird Bette Davis psychothrillergemäß übel mitgespielt, diesmal ist Olivia de Havilland als ihre Cousine die Widersacherin. Gemeinsam mit Joseph Cotton als Hausarzt versucht sie, die psychisch extrem labile Charlotte endgültig in den Wahnsinn zu treiben. Charlotte fühlt sich immer noch für die grauenhafte Ermordung ihres Geliebten aus Jugendjahren im Rahmen eines prächtigen Balles in ihrem Südstaatenelternhaus verantwortlich, Kinder aus der Nachbarschaft verspotten sie deswegen, die Cousine möchte das Haus gewinnbringend verkaufen. Eines Nachts wacht Charlotte auf und hört aus dem Salon die ihr bekannte Melodie. Sie wähnt sich in der Vergangenheit, ruft nach John, dem Geliebten, und steht doch in einem leeren Raum mit zerbrochenen Spiegeln. Eine Pistole liege auf dem Klavierstuhl, Charlotte nimmt sie in die Hand und sieht das Blumenbouquet von damals und sich selbst in einem wunderschönen weißen Kleid. John ist da und verbeugt sich vor ihr, er reicht ihr die Hand und sie tanzen einen Walzer. Plötzlich kommt „Big Daddy“ auf sie zu, der gegen die Liebschaft mit John war, der Traum zerbricht wie die Spiegel, die unter Charlottes Schüssen zerbersten, als mit einem Mal John ohne Kopf vor ihr steht und sie aufschreit und nicht mehr ein noch aus weiß.

Aldrich schildert Charlottes Abgleiten in den Wahnsinn im Stil des Grand Guignol, eines Horrorstücks mit grotesken Zügen, und mit Hilfe von Schockeffekten, die den Zuschauern der damaligen Zeit wohl ziemlich hart erschienen. Bette Davis’ beinahe beängstigend intensives Spiel, das immer wieder im Ausdruck ihrer Augen kulminiert, macht jede Nuance davon nachvollziehbar. Durch Zufall belauscht sie später die Cousine und den Arzt von Balkon aus und erkennt, dass sie einer Inszenierung aufgesessen ist. Wutentbrannt stößt sie eine schwere Blumenschale von der Brüstung, die die beiden erschlägt. Auch die Identität von Johns wahrer Mörderin erfährt sie noch, und am Schluss ist ihr so etwas wie Erleichterung, ist ihr innere Ruhe vergönnt. Anders als Jane im früheren der beiden Filme hat sie es in einem letzten Aufbegehren geschafft, sich aus dem Sumpf der vergeudeten Jahrzehnte herauszuziehen. Und wenngleich sie die Realität ihrer eigenen Grenzen akzeptieren muss und derer, die ihre Umwelt ihr setzt, gelingt ihr ein letzter Schritt zu sich selbst.