We Are What We Are (USA 2013)
Der strömende Regen, die aufgeweichten Wege, die Frau, die verwirrt zu ihrem Pickup wankt und auf einmal Blut zu erbrechen beginnt, die im Straßengraben landet und dort jämmerlich ertrinkt – die Eingangsszenerie von Jim Mickles Remake des mexikanischen Horrorfilms Somos lo que hay (2010) von Jorge Michel Grau gibt den enerviernden Grundton des Streifens vor. Angeblich seien die Arbeiten von Michael Haneke für den Regisseur Inspiration gewesen, kann man allenthalben lesen. Mit vergleichbarer Kompromisslosigkeit geht er jedenfalls vor. Die Verhandlung einer Familienaufstellung der ziemlich übeln Sorte: die amerikanische Provinz, „white trash“, wie er im Buche steht, dazu religiöser Fanatismus, und das alles angereichert mit Country Music. „She was a good girl“, können wir in diesem weinerlichen Singsang hören und die Schlusfolgerung: „It was me that made her bad.“
Was die unschuldigen Seelen von zwei hübschen blonden Mädchen vergiftet, was sie zu Mord und noch mehr treibt, lässt sich gut mit einem allenthalben bekannten Satz nachvollziehen: „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“ Mit großer Raffinesse entwickelt Mickle seine Geschichte. Die Schwestern Rose und Iris Parker (Julia Garner und Ambyr Childers) sehen sich nach dem Tod ihrer Mutter dem übergroßen Druck ihres Vaters Frank (Bill Sage) ausgesetzt und wissen diesem vorerst nichts entgegenzusetzen. Menschen verschwinden und kommen bei den Parkers in den Eintopf. Es geht um religiöse Rituale, um die Ermordung einer hilflosen Frau und die korrekte Zerteilung ihres Körpers, um ein perverses Festmahl mit Anzug und schönen Kleidern, um Gebete bei flackerndem Kerzenschein vor den Tellern mit Fleischstücken in der Sauce. Doc Barrow (Michael Parks), der Vater einer Verschwundenen, findet am Flussufer das Stück eines menschlichen Knochens, Hilfssheriff Anders (Wyatt Russell) erklärt Iris seine Gefühle und wird beim Sex mit ihr flugs vom Vater erschlagen. Und alles spitzt sich auf den Moment zu, als Frank den Entschluss fasst, zusammen mit den Kindern seiner Frau in den Tod zu folgen.
Rose fällt das weiße Pulver auf und zieht den richtigen Schluss von wegen vergifteter Suppe. Momente großer Spannung, wenn die Schwester und der kleine Bruder Brot in ihre Teller brechen, wenn sie den Löffel zum Mund führen und blasen. Rose schlägt den Teller des Bruders zu Boden, der Vater fährt hoch – da unterbricht sie ein Klopfen an der Tür. Es ist Doc Barrow, bald sitzt er Frank am Tisch gegenüber, ein gegenseitiges Belauern ist das, ein Duell der Blicke und der Worte, wenn der Doktor davon berichtet, dass bei der Autopsie von Franks Frau eine Krankheit entdeckt worden sei, die nur vom Verzehr von Menschenfleisch herrühren könne. Und dann die direkte Frage: „Did you eat my daughter?“
Von jetzt an überschlagen sich die Ereignisse. Es kommt zu einem Schusswechsel, Iris wirft sich vor den Doktor und wird verwundet. Als sich der Arzt dann über sie beugt, schlägt ihn Frank mit einer Bratpfanne nieder. Trotz allem, das vorgefallen ist, scheint das Urvertrauen in den Vater ungebrochen. Rose und der kleine Bruder flüchten sich später wieder in Franks Arme, die Familie sitzt abermals um den Tisch herum und Frank füllt mit zitternden Händen die Teller seiner Kinder. „All ist forgiven in the eyes of the lord“, betet er salbungsvoll und küsst Iris auf den Mund. Und dann kippt die Szenerie und die Mädchen stürzen sich auf ihren Vater. Rose springt ihm an die Gurgel und beißt sich daran fest, Iris nagelt seine Hand mit einem Messer auf die Tischplatte und macht sich daraufhin ebenfalls über ihn her. Mit blutverschmierten Lippen, mit Irrsinn in den Augen und der Gier derer, die alles Rationale hinter sich gelassen haben, bringen sie ihr grausames Werk zu Ende.
Am nächsten Morgen verlassen die Schwestern und ihr kleiner Bruder die Stadt. Sie tragen saubere Kleider, mit ihren blonden Haaren wirken sie auf den ersten Blick wie Engel. Doch Rose hat ein Tagebuch mit den Aufzeichnungen ihrer Vorfahren über Kannibalismus mitgenommen. Und der bereits erwähnte Countrysong berichtet von Mädchen, die zu bösen geworden sind. Für Iris und Rose bedeutet der Tod des Vaters schlichtweg keinen Endpunkt, sondern die Fortführung der Traditionen ihrer Familie.