Dieses Interview führte der HOMO Littera Verlag anlässlich der Veröffentlichung des Romans Hände mit mir. Es ist auch auf der Homepage des Verlags nachzulesen und wurde in der Festschrift "Fünf Jahre HOMO Littera" abgedruckt.

 

HOMO Littera: Hallo Paul. Dein Roman „Hände“ hebt sich nicht nur wegen deines eigenen Schreibstils, sondern auch aufgrund der Thematik hervor. Würdest du unseren Lesern kurz erzählen, worum es in „Hände“ geht?

Paul: Es geht um Paul Kilian, der schon als Kind von seinem Vater nur Abneigung und Aggressivität erfährt. Deshalb empfindet er Männerhände als etwas Gefährliches. Einzig die Hände seiner Mutter spenden ihm Trost und Zärtlichkeit. Als der Vater eine Hand verliert, kann er ihn zwar nicht mehr schlagen, doch Zuneigung oder ein nettes Wort erlebt Paul trotzdem nicht. So setzt der mittlerweile erwachsene Paul sein Augenmerk auf Männer, die eine Handprothese tragen. Er ist überzeugt, dass ihm eine Plastikhand mehr Liebe schenken kann als eine echte. Als Paul im Verlauf der Handlung dann aber auf Alexander trifft, kommen seine Vorstellungen ins Wanken. Alexander trägt nämlich keine Handprothese, und Paul weiß nicht, ob er zur Liebe zu einem Mann ohne Prothese überhaupt fähig ist.

 

HOMO Littera: Wie ist die Idee zu „Hände“ entstanden?

Paul: Ich kann das gar nicht so genau festmachen. Die Eindrücke und Ideen gehen mit einfach so lang im Kopf herum, bis sich aus ihnen eine Geschichte mit Hand und Fuß bildet. Bei „Hände“ kann ich aber immerhin sagen, dass es da im Fitnesscenter einmal einen jungen Mann mit nur einer Hand gab, dessen Geschicklichkeit an den Geräten ich sehr bewundert habe. Und dann kam eines Tages der Besuch der romanischen Kirche von Schöngrabern im Weinviertel hinzu, deren Fresken im Innenraum und steinerne Bibel an der Außenmauer der Apsis mich faszinierten. Daraus entstand der erste Satz meines Romans: „In der Nacht vor seinem dreizehnten Geburtstag zerstörte Paul Kilian mit Hilfe von Hammer und Meißel die Hände der männ­lichen Figuren auf den spätromanischen Fresken in der Kirche von Obergra­bern ...“ Und da ich den so gelungen fand, musste ich einfach ein Buch daraus machen.

 

HOMO Littera: Dein Protagonist Paul setzt sein Augenmerk auf Männer mit einer Handprothese. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Im Laufe der Geschichte sammelt er sogar Adressen von Männern, die eine Handprothese tragen. Wo gliederst du selbst Pauls Vorliebe ein? Fetisch? Psychose? Denkst du seine Vorliebe fällt in den Bereich des „Amelotatismus“ (Amputationsfetischismus)?

Paul: Oh Gott, ich bin kein Fachmann für solche Dinge, ich schreibe einfach auf, was mir zu meinen Figuren einfällt – ich erfinde bloß Geschichten. Ich habe eine ziemlich naive Herangehensweise an meine Texte – sie basieren auf keinen theoretischen Überlegungen, sondern auf Figuren, die ich so echt wie möglich zu gestalten versuche, und meinem Ansinnen, dies in einer möglichst stimmigen und unverkitschten Sprache zu tun. Ich denke, Paul hat einen Fetisch, das kann man wohl so sagen. Und für diesen Fetisch, der für Paul zu einer Art Heimsuchung wird, gibt es verständliche Gründe in seiner Kindheit. Jede weitere Interpretation überlasse ich meinen Leserinnen und Lesern.

 

HOMO Littera: Wie stehst du selbst zu dem Thema „Amelotatismus“? Denkst du, es ist ein Tabuthema, über das in der Öffentlichkeit nicht gesprochen wird?

Paul: Ehrlich gesagt kannte ich diesen Ausdruck gar nicht – interessante Frage. Ich habe das jetzt mal gegoogelt und mich schlau gemacht. Grundsätzlich bin ich natürlich dafür, dass es in der (auch öffentlichen) Diskussion keine Tabuthemen geben sollte. Tabus schaffen Ängste und Probleme, sie führen zu Ausgrenzung und Intoleranz. Reden sollte man über alles dürfen und können. Dass das leider nicht immer der Fall ist, ist schlimm. Gerade Menschen, die in einem schwulen Verlag arbeiten, werden wahrscheinlich ein Lied davon singen können.

 

HOMO Littera: Du hast deine Charaktere in „Hände“ so geschaffen, dass man als Leser oftmals das Gefühl hat, sich nicht entscheiden zu können, auf welcher Seite man stehen soll. Man leidet mit ihnen, hasst sie aber auch in bestimmten Momenten. Warum dieses Wechselspiel der Gefühle für den Leser? Warum keine eindeutige Zuweisung von Gut und Böse?

Paul: Es gibt kein eindeutiges Gut und Böse, würde ich sagen. Wir alle sind Jekyll UND Hyde in einer Person. Und die Graubereiche sind ohnehin immer die interessantesten. Es freut mich, dass du meine Charaktere so beschreibst, denn dann sind sie mir wohl interessant gelungen. Es gibt für mich nichts Langweiligeres, als über diese eindeutig Guten zu lesen, denn das ergeht sich doch nur in Klischees. Figuren mit Rissen und Kanten, gebrochene Charaktere sind es, die mich faszinieren. Selbst die klassischen Superhelden haben in den modernen Verfilmungen ihre dunklen Seiten, weil mittlerweile klar ist, dass sie sonst einfach fade Abziehbilder wären.

 

HOMO Littera: Oftmals gehst du bei der Erzählung der Handlung deiner Bücher nicht chronologisch vor, sondern springst in der Zeit vor und zurück – so auch bei „Hände“. Eine Leserin meinte dazu einmal, die einzelnen Kapitel von „Hände“ sind wie Puzzleteile, die sich Stück für Stück zu einem Ganzen zusammenfügen. Was sagst du dazu? Gibt es einen bestimmten Grund, warum du eher eine sprunghafte, nicht chronologische Erzählung deiner Romane bevorzugst?

Paul: Diese Leserin hat das wunderbar formuliert, finde ich. Wir alle sind lebendig in unserem Hier und Jetzt, gleichzeitig aber auch in unserer Vergangenheit und Zukunft. Wir sind Kinder unserer Herkunft und des Erlebten und Gefühlten und gleichzeitig unserer Wünsche, Vorstellungen, Sehnsüchte und Ängste, was das Kommende betrifft. Diese Idee versuche ich durch meine Herangehensweise an Texte zu spiegeln. Zudem denke ich, dass dadurch Spannung geschaffen wird. Mein Talent liegt wohl darin, diese Puzzlesteinchen so anzuordenen, dass sie einander im Ablauf der Geschichte logisch und natürlich ergänzen und dabei keine Verwirrung, sondern Interesse erzeugen. Außerdem bin ich ein Serien-Junkie und von der komplexen Erzählweise von „Lost“ etc. beeinflusst.

 

HOMO Littera: Wir bedanken uns für das Interview und wünschen dir weiterhin alles Gute und viel Erfolg!

Paul: Sehr gern, vielen Dank! Möge der Erfolg ein gemeinsamer sein.