Diese Fragen stellten mir Leserinnen und Leser im Rahmen der "Special Week" der Bloggerin Juliane Seidel im Jänner 2016.
Ines Schmidt fragte mich:
Wo schreibst du am liebsten und wann schreibst du?
Mit welchem Schriftsteller würdest du gerne mal plaudern und warum?
Hier meine Antwort:
Hallo Ines – danke für deine Fragen!
Zur ersten: Ich schreibe eigentlich immer am Laptop am Tisch in meinem Arbeitszimmer. Dort habe ich völlige Ruhe und leise Musik im Hintergrund. Neue Kapitel schreibe ich immer vormittags; am Nachmittag lese ich den Ausdruck durch, korrigiere ihn, tippe die Änderungen ins Manuskript, drucke das erneut aus, korrigiere nochmals, tippe nochmals ein - und so weiter, bis ich endlich damit zufrieden bin. Und am nächsten Tag beginne ich mit dem nächsten Kapitel.
Mit wem ich mal gern plaudern würde? Mit meiner Autorenkollegin Jana Walther. Wir haben uns übers Internet kennen gelernt und schon sehr viele Mails ausgetauscht. Also haben wir ja eigentlich schon des Öfteren miteinander geplaudert. Aber persönlich, from face to face, haben wir uns noch nie getroffen. Wir wohnen einfach viel zu weit von einander entfernt. Also mit Jana würde ich mich mal sehr gern auf einen Kaffee treffen. Wir sind ja, was unsere Literatur betrifft, Verwandte im Geiste.
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Nun zu den Fragen von Sabine:
Hallo Paul, hier meine Fragen:
Wie kommst du auf deine Geschichten?
Wie entwickelst du deine Charaktere?
Wie entscheidest du, wie deine Protas heißen? Suchst du die Namen aus Namenssamnlungen aus, oder entscheidest du ganz spontan?
Danke für deine Antworten
Gruß Sabine
Danas Fragen gingen in dieselbe Richtung:
Ich würde gern wissen wollen, ob es für die Charaktere in den Büchern lebende Vorbilder gibt. Leute, die Paul Senftenberg beim Schreiben
inspirieren, an denen man sich orientiert oder von denen man Eigenarten/Macken abschaut.
Lieben Gruß
Dana
Meine Antwort:
Hallo Sabine und Dana – auch euch herzlichen Dank für eure Fragen, die ich, weil sie einander ähneln, gleich auf einmal beantworten möchte.
Ich gehe einfach wach durchs Leben, würde ich sagen, und so „springen“ mich Geschichten geradezu an. Eine Beobachtung, ein Mensch, der mir interessant erscheint, eine Geschichte, die mir jemand erzählt, aber auch mal eine Notiz in einer Zeitung oder die Aura eines ganz bestimmten Ortes, ganz allgemein auch das alltägliche Leben in dem Umfeld, in dem ich wohne, natürlich auch persönliche besonders freudige oder auch schmerzliche Erfahrungen – all dies kann den Prozess in Gang setzen, der schließlich zu einer Romanhandlung führt. Und genauso ist es mit meinen Charakteren, die meist eine Mischung aus Menschen sind, die ich persönlich kennen lernen durfte, und meinen Gedankenspekulationen. In einer Namenssammlung habe ich für sie noch nie blättern müssen, denn die Namen kommen mir ganz spontan, meistens ganz am Anfang, noch bevor ich wirklich viel über die Charaktere weiß.
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Steffen wollte von mir wissen, "ob der Autor einer der vielen Autoren mit Pseudonym ist (...), daher weiß ich nun nicht, ob ich von ihm oder ihr sprechen sollte :)"
Und er stellte auch diese Frage:
Erstmal keines Deiner Bücher mit den schönen Covern kennend, nebenbei interessiert mich der Maler der wunderbaren Cover von "Eine ganz andere Liebe"
und "Narben".
Meine Frage bezieht sich auf Deine Zuwendung zur Novelle, denn ich mag diese Literaturgattung ebenfalls sehr, die verdichtete Konzentration auf ein
Hauptthema, die leider etwas unterrepräsentiert ist. Welchen Reiz bietet Dir die Novelle, bevorzugst Du sie eventuell gegenüber dem Roman?
Viele Grüße, Steffen Marciniak
Die Antwort: Hallo Steffen – „Paul Senftenberg“ ist zwar ein Pseudonym, das ich mir erwählt habe, ich bin aber tatsächlich ein Mann ;-)
Der Maler der Coverbilder von „Eine ganz andere Liebe“, „Narben“ und auch „Damals ist vorbei“ heißt Martin-Jan van Santen, er ist Holländer. Du findest Infos zu seinem Leben und seinen Bildern auf seiner Homepage www.martinjanvansanten.com. Ich selbst bin im Internet über seine Bilder gestolpert, die mir vorkamen wie direkt aus manchen meiner Bücher entsprungen. MJs Sicht der Welt und besonders der jugendlich-männlichen Schönheit – hier gibt es, obwohl wir beide in unterschiedlichen künstlerischen Bereichen arbeiten, große Parallelen. Ich habe mir damals ein Herz genommen und ihn angeschrieben und hatte großes Glück: MJ war begeistert von der Idee, seine Bilder auf dem Cover meiner Bücher zu finden. Erfreulicherweise war auch der Verlag für diese Idee zu gewinnen, was gar nicht so selbstverständlich war, denn die meisten schwulen Bücher ähneln, was das Cover betrifft, einander doch wie ein Ei dem anderen. So denke ich, dass sich meine Cover in positiver Weise von anderen unterscheiden. Bei den Covern für die Bücher aus dem Homo Littera Verlag haben wir uns dann für sehr aussagekräftige S/W-Fotos entschieden, die ich selbst im Internet erstöbert habe; auch hier war mir die Unterscheidbarkeit wichtig.
Zu deiner Frage bezüglich der Gattung der Novelle: Ich bin grundsätzlich ein wenig skeptisch gegenüber allen Büchern über 300 Seiten. Hat die Autorin/der Autor tatsächlich so viel Interessantes zu erzählen, dass mich das über so viele Seiten und so lange Lesezeit hinweg mitzureißen weiß? Nun ist klar, dass es sehr viele Romane gibt, die auch für mich gar nicht dick genug sein können, denken wir nur an Marquez oder auch die frühen Bücher von John Irving. Dennoch denke ich mir nicht selten bei der Lektüre von Büchern, dass die eine oder andere Kürzung nicht schlecht gewesen wäre. Was ich hingegen liebe, sind Kurzgeschichten oder eben auch Novellen, deren Narrativ geradezu aus dem Leben gerissen zu sein scheint. Wir begegnen den Protagonisten an einem entscheidenden Punkt ihres Lebens und verlassen sie einige Zeit darauf meistens in einer anderen solchen umwälzenden Situation, so wie es im Leben halt einfach ist. Der brillante erste Satz einer meiner liebsten Kurzgeschichten, Katherine Mansfields „The Garden Party“, lautet: „And after all the weather was perfect.“ Da können wir schon gleich mal drüber nachdenken, was dieses „And after all“ impliziert – herrlich! Und fall du sie noch nicht kennst ein Tipp: Lies Truman Capotes Short Stories „Baum der Nacht“. As good as it gets, würde ich sagen.
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Mana schrieb:
Hallo Juliane, hallo Paul,
bisher kenne ich nur die Kurzbeschreibungen von Pauls Büchern und habe "Hände", noch ungelesen, auf dem Reader. So kann ich leider noch nichts dazu
sagen, wie mir die Geschichten gefallen.
Wenn ich allerdings von den Leseproben und den Covern ausgehe, hat er schon alleine dafür bei mir einen kleinen Sonderbonus. Die Cover stechen mir
sofort ins Auge und ich mag es, wenn in Büchern auch schwierige Themen angegangen werden und wenn z. B. Menschen mit Handicap, sei es körperlich oder seelisch, die Hauptrolle
spielen.
Mich würde interessieren:
1. Bevorzugt Paul eine spezielle Schreibmusik, um sich in die richtige Stimmung zu versetzen?
2. Gibt es einen Gay-Movie, den er als besonders gelungen und empfehlenswert empfindet?
Liebe Grüße aus München
Mana
Drauf antwortete ich:
Hallo Mana – danke auch dir für deine interessanten Fragen.
Ich habe beim Schreiben tatsächlich gern Musik laufen, aber ganz leise im Hintergrund. Und da bevorzuge ich ruhige Musik, das kann Klassisches sein oder leicht Jazziges, Jamie Cullum zum Beispiel. Nicht zu laut, nicht zu aufwühlend – aber auch nicht zu einschläfernd. Werbung im Radio würde mich total aus der Stimmung werfen, in der ich mich beim Schreiben befinde. Wenn ich Musik in den Text integriere, spiele ich sie, während ich die Szene schreibe, und lasse sie dann beim Durchlesen auch dazu laufen, um abzuchecken, ob sie auch wirklich passt. Du kannst dir denken, dass ich bei Narben oft Wouter Hamel gespielt habe ;-)
Puh, nur einen schwulen Film zu empfehlen, fällt mir wirklich sehr schwer. Ich finde praktisch alle über achtzig Filme, über die ich in Gay Movie Moments schreibe, toll, sie sind voller Szenen zum Niederknien. Doch ich will mich nicht um die Antwort drücken und entscheide mich jetzt mal für Contracorriente. Das ist ein Film aus Peru, der wie kaum ein zweiter von jenem magischen Realismus getragen ist, den Autoren wie Marquez oder Allende auch bei uns bekannt gemacht haben. Am Schluss der Abschied der zwei Männer voneinander auf dem kleinen Boot im Meer – Gott, was habe ich da geheult! Aber jetzt dauert es ja nicht mehr allzu lang, ein halbes Jahr vielleicht, bis Gay Movie Moments herauskommt. Dann kannst du dich von einer langen Liste an Gänsehautmomenten des schwulen Films inspirieren lassen.
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Sarah erzählte uns Folgendes:
Hallo Paul und Juliane,
das war wieder eine interessante Special Week. Ich habe noch kein Buch gelesen von Paul, aber "Hände" wartet bereits im Regal darauf, gelesen zu
werden. Ich habe es beim Stöbern nach neuen interessanten Büchern entdeckt, und nachdem Juliane es auch noch so begeistert empfiehlt, bin ich doppelt gespannt. Wo ich Pauls Bücher lese? Wenn ich
demnächst mit "Hände" beginne, wird es wohl noch kalt sein, also werde ich es abends in meinem Bett lesen. Ich mache es mir dann mit Schlafanzug, meinen Kuscheltieren und einem vorgewärmtem
Kissen bequem. Ich gehe dafür auch gerne zeitiger ins Bett (zwischen 19-20 Uhr), denn einmal im Bett, lese ich nur noch.
Was ich sehr interessant finde, ist, dass dir der erste Satz deiner Geschichten sehr wichtig ist. Wenn der nicht sitzt dann geht nichts. Ich
schreibe selber Geschichten und mir geht es da genauso, egal wie weit meine Idee im Kopf ist, solange ich den Anfang nicht habe, kommt die Geschichte auch nicht zu Papier.
Liebe Grüße, Sarah
Darauf schieb ich diese Antwort:
Hallo Sarah – da geht es mir ganz ähnlich wie dir, auch ich lese am liebsten im Bett, und wenn mich eine Geschichte wirklich fesselt (wie zuletzt der Roman Herrlichkeit – soviel Herzklopfen hatte ich schon lang nicht mehr – und am Schluss die Augen voller Tränen!), kann es sehr spät werden.
Ja, der erste Satz scheint wirklich für viele Autoren von immenser Wichtigkeit zu sein. Ich habe mal drei Jahre an einem gefeilt und bin nicht weitergekommen, weil meine Sätze allesamt einfach zu kompliziert waren. Als dann plötzlich, von einem Moment auf den anderen, der richtige erste, ganz einfache Satz da war, ging alles weitere ziemlich rasch. Deshalb kann ich auch nicht verstehen, dass ich immer wieder Bücher aufschlage, bei denen man sich mit dem Beginn offenbar nicht allzu viel Mühe gemacht hat. Nur gaaanz selten kann ich mit einem Roman etwas anfangen, der mit einer direkten Rede beginnt – wie stehst du da dazu? John Irving, so kann man lesen, beginnt übrigens immer mit dem letzten Satz und rollt dann beim Entwerfen seiner Geschichte diese von hinten nach vorn auf; auf diese Weise ist ihm dann beim Niederschreiben vom Anfang bis zum Schluss stets sein Ziel vor Augen. Mir ist es bei Eine ganz andere Liebe ähnlich gegangen, da hatte ich auch als allererstes den letzten Satz.
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Biggys Frage: Ich wüsste gern ob und wenn ja, welches Buch Paul gern verfilmen würde, und wen er sich als Hauptdarsteller aussuchen würde, wenn er die Wahl hätte.
Hallo Biggy – eine sehr coole Frage! Natürlich träume ich als Filmfan auch davon, dass mal eines meines Bücher verfilmt wird – ich glaube nur nicht wirklich daran, dass das auch mal passieren könnte. Und wenn doch, dann wäre das natürlich auch ein Wagnis; nicht selten hört und liest man von Autoren, die angesichts dessen, was Drehbuchautoren und Regisseure aus ihren Geschichten gemacht haben, entsetzt sind. Das gilt ebenso fürs Theater, denke ich. Aber man muss sich als Autor klar sein, dass es sich beim Buch und dem Film um zwei Medien handelt, die eben nicht nach den selben Gesetzmäßigkeiten funktionieren; und auch, dass wenn zehn Menschen ein und dasselbe Buch lesen, sie in Wahrheit zehn verschiedene Bücher lesen, so unterschiedlich „verstehen“ sie den Text und sehen ihn vor ihrem inneren Auge Gestalt annehmen.
Aber wie auch immer, ich kann mir grundsätzlich alle meine Texte als Filme vorstellen, schließlich habe ich ja, wie bereits in anderen Fragen und Antworten diskutiert wurde, einen sehr „filmischen“ Schreibstil; hier ist etwa die Abfolge von relativ kurzen Szenen genannt. Für die Besetzung würde ich mir junge, unverbrauchte Gesichter vorstellen. Ein Robert Stadlober vor zehn Jahren vielleicht, ähnlich wie in „Sommersturm“, ein Kodi Smit-McPhee zu Beginn seiner Karriere – Gesichter, in denen die Verletzlichkeit und der Selbstzweifel erkennbar sind, die viele meiner jungen Charaktere geradezu heimsuchen. Kennst du den brillanten (nicht schwulen) österreichischen Psychothriller „Ich seh Ich seh“ – die Zwillinge, die die zwei Protagonisten spielen – so spontan, so echt, so unvermittelt. Ein Regisseur, der das Herzblut meiner Geschichten teilt und Darsteller wie diese beiden entdeckt, das wäre was!