Über das Finden von Heimat im Schreiben                     und in meinen Büchern

 

"Die Antwort ist, dass ich mir im Schreiben die Heimat schaffe.

Ich schreibe etwas und mache es damit zu der Heimat, über die ich schreibe."

Bernhard Schlink, Gedanken über das Schreiben

 

Ich veröffentliche seit 2009 schwule Literatur. Mein erster Roman Damals ist vorbei erschien im Bruno Gmünder Verlag, danach gab es trotz des Erfolgs des Buches eine längere Durststrecke, die mich schon fast verzweifeln ließ. Einerseits sorgten die finanziellen Schwierigkeiten des Verlags für ziemliches Chaos, was klare Strukturen und kompetente Ansprechpartner betraf. Andererseits kostete mich die Kommunikation mit zwei bekannten Verlegerpersönlichkeiten, die alles besser zu wissen glaubten und im Grunde genommen zu keinen eindeutigen Aussagen in der Lage waren, viel Zeit und Energie. Doch dann klappte es auf einmal wieder mit der Verlagssuche, und nun habe ich bei Himmelstürmer und Homo Littera ein literarisches Zuhause gefunden.

2013 erschien in ersterem Verlag der Roman Eine ganz andere Liebe, im Jahr darauf das Buch Narben und eine überarbeitete Neuauflage von Damals ist vorbei. Ebenfalls 2014 kam bei Homo Littera die Novelle Der Stammbaum heraus, 2015 der dramatische Roman Hände. In diesem Verlag erschien auch mein erstes Sachbuch: Bei Gay Movie Moments handelt es sich um eine Sammlung von Essays über die stärksten Szenen aus schwulen Filmen und Serien, um, wie ich es nenne, schwule filmische Gänsehautmomente, die Ende 2017 publiziert wurden. Bereits im Februar 2017 wurde mein Roman Ein Lächeln mit Zukunft als Hardcover im Himmelstürmer Verlag veröffentlicht, im April 2018 kam ebendort der Roman Fahren mit wehendem Haar. Ein Reigen heraus.


Schon des Öfteren wurde in Rezensionen mein Stil thematisiert, der in meist kurzen Kapiteln blitzlichtartig Szenen aus dem Handlungsverkauf herausreißt und beleuchtet und dabei auch mit Rückblenden in die Vergangenheit der Charaktere arbeitet; ich wurde auch schon mehrmals in Interviews danach befragt. Eine Leserin hat es treffend so bezeichnet, dass meine Texte aus Puzzlesteinen zu bestehen scheinen, die sich erst im Laufe der Zeit zu einem stimmigen Gesamtbild zusammensetzen. Ich denke, dass es sich dabei um eine sehr filmische Schreibweise handelt, die Spannung zu erzeugen vermag. Jüngst hat mich eine Passage in Peter von Matts lesenswerter Abhandlung Sieben Küsse. Glück und Unglück in der Literatur (Hanser Verlag 2017) in dieser Richtung aufhorchen lassen. Er stellt darin die Romantradition des 19.

Jahrhunderts, die üblicherweise mit Hilfe eines großen Figurenpersonals ganze Gesellschaften skizziert und die Ereignisse rund um die Protagonisten in ein soziales Ganzes einzufügen weiß, dem Verfahren des Nouveau Roman und im Speziellen der Autorin Marguerite Duras gegenüber. Von Matt wörtlich: "[Sie] verweigert den panoramatischen Blick, reduziert die Überschau auf wenige immer wiederkehrende Orte und Vorgänge. Was geschieht, ist scharf gezeichnet, herangezoomt wie in einem Film, dazwischen leere Räume." (Seite 211) Interessant sind hier für mich diese bewusste Reduktion auf einzelne Szenen, auf Blitzlichter, die uns aus nächster Nähe in die Gesichter und Geschichten der Charaktere blicken lassen, und besonders auch der Verweis auf den Film. Genau damit fühle ich mich in meiner speziellen Art zu schreiben besonders verbunden.


Bei der Vorstellung eines Buches mit seinen gesammelten Drehbüchern im Jänner 2019 kritisierte der österreichische Ausnahmeregisseur Michael Haneke die von ihm als solche apostrophierte Erklärungswut von Journalismus und Fernsehen: Bevor sie gestellt wird, ist jede Frage schon dreimal beantwortet. Ich möchte hier hinzufügen: Auch viele Leserinnen und Leser scheinen Texte zu erwarten, in denen jeder Aspekt haargenau erklärt, sämtliche mögliche Hintergründe ausgeführt und - für manche esssentiell - ein Ende nicht bloß angeboten, sondern geradezu in Stein gemeisselt wird, eines, in dem keine Spielräume offen bleiben. Ich setzte in meinen Romanen ganz bewusst ein mehr oder weniger offenes Ende, das jeweils versucht, den Zauber eines Moments der unterschiedlichen möglichen oder unmöglichen Wege zuzulassen, die sich vor meinen Charakteren auftun, den Moment ihres Atemholens, bevor sie eine Entscheidung treffen oder auch nicht. In der Tat ist diese meine Methode schon in so manchen Rezensionen moniert worden. Ich sehe sie aber genauso wie Michael Haneke in seinem kritischen Kommentar, der darin den Versuch beschreibt, in seinen Filmen Fragen bewusst nicht zu beantworten, sondern sie an die Rezeption weiterzugeben. Sein Leitmotif dabei sei: „Was kann ich noch weglassen, das der Zuschauer mit seiner Phantasie auffüllen muss? Und er resumiert: Ich denke, das ist das Wesen von Kunst: dass man durch Aussparung im Anderen etwas zum Erblühen bringt.“ In diesem Sinne hoffe auch ich, durch meine Geschichten und die Art und Weise, wie ich sie gestalte, auf das Sprießen vieler Blüten in der Phantasie meiner Leser*innen.

Es war Bodo Kirchhoffs Mexikanische Novelle, die mir als jungem Mann die Augen dafür geöffnet hat, wozu Literatur in der Lage sein kann. Der deutsche Autor schreibt darin über ganz große Gefühle – dies aber auf eine kühle, glasklare, fast distanzierte Weise, die dennoch Emotionen zulässt, die schon auch mal über Leben und Tod entscheiden mögen. Ob man denn über die Liebe schreiben könne, ohne ins Kitschige zu verfallen, fragt Kirchhoff in seinem späteren Roman Infanta und gibt mit seiner gelungenen Geschichte gleich selbst die Antwort darauf. Dies ist seitdem mein Ansinnen, denn im Grunde genommen drehen sich alle meine Texte um zwischenmenschliche Beziehungen, um die Liebe mit all ihren Höhen und Tiefen. Ich versuche dabei, meine Sprache so präzise wie möglich zu halten, kein Wort zuviel, aber auch keines zu wenig zu sagen, eben jene stilistischen Klischees zu vermeiden, denen sich Erzählungen, die sich um die Empfindungen ihrer Charaktere kümmern, so oft ergeben.

Mir wurde schon oft attestiert, sehr filmisch, sehr visuell zu schreiben, was vielleicht auch mit meiner Leidenschaft für Filme und das Kino zusammenhängt. Schon in meinem ersten Roman Eine ganz andere Liebe spielen ein Filmklassiker, nämlich Frankenstein, und die Aufführung in einem Freiluftkino eine zentrale Rolle; dort kommt es zum
ersten Kuss zwischen den beiden Protagonisten. Wenn ich in meinen beiden jüngsten Romanen Ein Lächeln mit Zukunft und Fahren mit wehendem Haar die Schicksale gleich mehrerer Figuren aufrolle und wie beim Zusammensetzen eines Puzzles miteinander verbinde, mag dies den strukturellen und narrativen Charakter einer jener Fernsehserien haben, die heute im Vergleich zum von der Sucht nach Sequels intellektuell gelähmten Hollywood oft die interessanteren Geschichten erzählen. Nicht von ungefähr habe ich mich in meinem ersten Sachbuch Gay Movie Moments in der Form von Essays an die Analyse von schwulen Gänsehautmomenten in Filmen und Serien gewagt.

Die Konflikte, in denn sich meine schwulen Protagonisten gefangen sehen, haben sehr oft mit dem Prozess der Selbstfindung zu tun, sei es, dass sie ihn als unsichere Jugendliche durchmachen, sei es, dass sie erst später ihr Coming out haben oder dass sie im fortgeschrittenen Alter mit den Versäumnissen ihres Lebens zu hadern beginnen. In meinem Roman Fahren mit wehendem Haar sind es nicht weniger als acht Charaktere, die für unterschiedliche Lebensalter und Facetten der Einsicht stehen. Einige von ihnen spielen in meinem Beitrag zur Anthologie Sein schönster Sommer eine Rolle – den ich in der Form des Drehbuches zu einer ironisch gebrochenen schwulen Soap gestaltet habe. Womit sich der Kreis zum filmischen Schreibstil und meinem zentralen Thema schließt: den ewigen Wirren des Lebens und der Liebe.